Ein Überfall soll die gereizten Matrosen wieder besänftigen. Die Piraten unter dem Kommando des Roten Korsaren fassen einen riskanten Plan. Sie wollen die kleine Stadt Vera Cruz angreifen, plündern und zwar von der Landseite her. Mitten in der Nacht schlagen sie sich durch den Dschungel und allen Unkenrufen zum Trotz scheint das ungewöhnliche Unterfangen doch zu gelingen. Allerdings hat der Rote Korsar es nicht als seine erste Aufgabe angesehen, Vera Cruz zu überfallen. Durch einen Zufall, einen sehr mysteriösen noch dazu, war der Schwarze Falke, sein Segelschiff, im bitteren Sturm einem anderen Schiff begegnet.
Viele aus der Mannschaft des Roten Korsaren glauben an ein Geisterschiff, das geradewegs in den hoch gepeitschten Wellen auf sie zusteuert und einen Zusammenprall nicht scheut. Ein Ausweichen ist nicht möglich. Als der Rote Korsar das fremde Deck betritt, schnell und ohne zu zögern, da der alte Kahn, wie es sich nun herausstellt, zu sinken droht. Aber der Piratenkapitän lässt sich von der Unbill nicht beirren und dringt in die Kajüten vor, wo er eine unglaubliche Entdeckung macht.
Das Schiff der verlorenen Seelen bildet das Auftaktabenteuer des dritten Bandes der Gesamtausgabe aus der Reihe Der Rote Korsar. Von Jean-Michel Charlier ist Der Rote Korsar als Figur entworfen, der weder sein Leben noch das anderer scheut, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Wenn etwas durch Mut oder Widerstand erlangt werden kann, meist ein Schatz oder ein Sieg, dann kennt der Pirat mit der Augenklappe und dem feuerroten Bart kein Halten mehr. Wer nicht den gleichen Mut aufbringt, bleibt im besten Falle zurück.
Dem Korsaren gegenüber steht Rick, der Sohn des Piraten, eine getreue Seele, aber kein Halunke wie sein Vater. Niemals würde er den Pfad des Gesetzlosen einschlagen. Nur in einem sind sich die beiden Männer einig, der junge wie auch der alte, nämlich in ihrer unverbrüchlichen Treue zueinander. Ist einer von beiden in der Bredouille, wird der andere nicht zögern, ihm zur Hilfe zu eilen. Und es ist dieses Verhalten, warum der Leser den Roten Korsaren nicht in Bausch und Bogen verdammen kann, denn diese Treue, auch Liebe zum Sohn macht den ansonsten unnachgiebigen Kämpfer auf See überaus menschlich.
Aber Jean-Michel Charlier, der Tausendsassa des Comics, der allein von der Masse seiner Veröffentlichungen her nicht viele Nachfolger unter den Comic-Autoren hat, beschränkt sich natürlich nicht nur auf die Beziehung der kleinen Familie untereinander. Mit dem zweiten Abenteuer Die Totenkopf-Insel, einer direkten Fortsetzung der ersten Geschichte im vorliegenden Sammelband, geht es auch in die nächste Runde um einen geheimnisvollen Schatz von Henry Morgan, einer der bekanntesten Freibeuter, die jemals die Meere befuhren.
Für die Helden ist dieser Pirat der Anstoß zu Spekulationen über die sagenhafte Größe eines versteckten Vermögens. Allerdings ist es auch gemäß des dunklen Ruhms dieses legendären Gauners an einer nicht gerade ungefährlichen Stelle verborgen. Das Meer ist eine finstere Geliebte, die einen Seemann nur zu gern in die Tiefe zieht. Und vor Feuerland ist diese Gefahr ganz besonders groß. Jean-Michel Charlier trumpft mit einem dichten Szenario auf, in dem sich nicht nur Piraten einander feindlich gegenüber stehen, sondern auch die Natur zur Obacht zwingt und das Auftauchen einer dritten Partei das Blatt erneut wendet.
Gerettet von einem Schurken! Welche Schande! Rick will eben das nicht sein, ein Schurke. Eine Nichte des spanischen Vizekönigs sieht das ein wenig anders. Die Falle der Spanier nimmt den Leser mit den Bildern eines großartig zeichnenden Victor Hubinon in die adeligen Kreise Spaniens. Man schickt sich an, sich auf einem Umweg am Roten Korsaren zu rächen. In dieser Episode, die auf ihre Art sehr stark an alte Piratenfilme, bei Hofe spielend, erinnert, kommt Hubinons grandiose Fähigkeit, individuelle Charaktere zu kreieren, voll zum Tragen.
Ein schöner redaktioneller Teil über den Menschen wie auch den Künstler Hubinon gibt feine Informationen zum Leben und Arbeiten des Comic-Künstlers in einer der Hochzeiten des Mediums. Die drei Geschichten liefern eine geballte Ladung Pulverdampf, über die sich Fans des Genres nur freuen können. Wer Piratenabenteuer lieber traditioneller mag, oder moderne Vermischungen neuerer Erzählkultur scheut, kann nicht am Roten Korsaren vorbei. 🙂
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