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Comic Blog


Montag, 30. Juni 2014

Sechs aus 49 – Band 1 – Mathilde

Filed under: Biographie — Michael um 9:47

Sechs aus 49 - Band 1 - MathildeMathildes Vater ist kein Karl Marx, das System jedoch, das es einer Lottoanstalt ermöglicht mit einem Höchstgewinn von 60 Millionen Euro zu prahlen und den Menschen die Köpfe zu verdrehen, ist zu verachten. Mit seiner Denkweise stößt er regelmäßig bei Frau und Tochter an. Man könnte auch weniger freundlich sagen, er geht ihnen mit seinen Vorträgen über die Verderbtheit der Gesellschaft auf die Nerven. Mathilde hat derlei Phrasen, so nennt die Mutter die Wortspiele des Vaters, oft genug gehört, um nicht gleich von ihrem Gewinn zu erzählen, den sie gemacht hat. Denn die Hälfte der besagten 60 Millionen Euro gehören ihr.

Was wäre, wenn ein wildfremder Mensch einen Lottogewinn mit Dir teilt? Und nicht nur eine kleinere Summe, so ein Milliönchen, sondern einen richtigen Knaller: 60 Millionen. Und die Hälfte davon bekommst Du! Über die Grundidee, Millionär über Nacht und unerwartet, als Geschenk, grübelten bereits Nicolas Cage und Bridget Fonda in 2 Millionen Dollar Trinkgeld. Thomas Cadene geht noch einen Schritt weiter, holt die Supergewinne der Neuzeit in die Geschichte und knallt seinen beiden Gewinnern gleich 60 Millionen Euro um die Ohren. Die eine, Mathilde, weiß zunächst nicht, wie ihr geschieht. Der andere, Hippolyt, ist schon reich. Viel ändert sich für ihn nicht. Oder doch?

Und ob sich etwas ändert! Autor Thomas Cadene, der schnell erkannt hatte, dass ein Mammutprojekt dieser Art mit einem Zeichner allein nicht zu realisieren ist, arbeitet gleich mit mehreren Künstlern zusammen. Diese Änderung über die üblichen Duos oder Trios hinaus schafft einen besonderen Reiz, da jeder Zeichner seine optische Interpretation einbringt. Die Wirkung ist mal komödiantischer, mal tragischer, auch dramatischer, heiter oder düster, obwohl die Geschichte im Gleichklang forterzählt wird. Es ist ein gutes Beispiel, wie stark sich über die Optik die emotionale Reaktion des Lesers beeinflussen lässt.

Thomas Cadene beschreibt einen Millionengewinn. Nicht irgendeinen, nicht den höchsten, beileibe nicht den geringsten. Zuerst ist es ein Tagtraum, ein Unglauben, dann die Wahrheit, die Realität, der die Frage folgt: Was nun? Mit 30 Millionen Euro im Säckel muss doch nicht so, auf die bewährte Art und Weise weitergelebt werden? Und der Vater, der doch tatsächlich verlangt, das Geld zurückzugeben, der hat sie doch nicht mehr alle. Halbwegs freundlich formuliert. Das beantwortet jedoch nicht die elementare Frage: Was nun?

Mathilde beschreitet einen normalen Lebensweg, aus verantwortungsvollem Elternhaus, studiert, hat einen Freundeskreis. Dann schleicht sich mit dem Gewinn eine Veränderung ein, die zunehmend unheimlicher wird, da sie auch den Charakter angreift. Plötzlich lautet die Frage: Was muss ich mit 30 Millionen Euro überhaupt noch? Mathilde bewegt sich zuerst vorsichtig, später heimlich, schließt neue Bekanntschaften. Was zunächst nach einer, zugegeben, Seifenoper mit ungewöhnlichem Thema aussah, wird dank der französischen Sichtweise, auch der Art Geschichten zu erzählen, die auf frankophoner Seite der deutschen voraus ist, mit zunehmendem Tiefgang versehen.

Die Zeichner brillieren mit völlig gegensätzlicher Stilistik. Da findet sich eine bittersüße Art des Zeichnens, fast naiv zu nennen (Vincent Sorel). Zeichner wie Aseyn crashen das Szenario in einer Form der Selbstentblößung der Charaktere. Andere Zeichner wie Tanxxx finden eine sehr freundliche Annäherung mit für den unbedarften Comic-Leser sehr comic-artigen Figuren. Künstler wie Clotka warten mit einem verrutschtem Simpsons-Design auf. The Black Frog und Philippe Scoffoni treffen mit ihrer dokumentarisch, realistischen Stilistik für mich am meisten die optische Form einer Graphic Novel. Letzterer Zeichner bietet meiner Meinung nach auch die schönsten Interpretationen der Hauptdarsteller.

Die erwähnten Zeichner sind nur ein Ausschnitt der Bandbreite künstlerischen Schaffens, die hier zu finden ist. Jedes Kapitel, mit jedem Zeichnerwechsel also, enthält in Portraits vorangestellt die jeweils handelnden Akteure, damit der Leser trotz der optischen Veränderung sich schnell wieder einfindet.

Das können nur die Franzosen (immer noch meine Meinung) richtig gut! Thomas Cadene nimmt ein scheinbar leichtes Thema, offenbar eine Seifenoper und generiert aber viel tiefer reichend ein Zeitbild, bietet Komödie und Tragödie, leicht erzählt, interessant und unterhaltsam, sehr dicht. Wer auf der Suche nach einem im Comic wenig vertretenen Thema ist, Realismus in diesem Medium mag, sollte einen Blick riskieren. 🙂

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Oder bei Schreiber und Leser.

Links: Sechs aus 49 auf FAZ.NET

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