Rachel ist tot. Es ist für Rachel sehr schwer diesen Zustand zu akzeptieren, immerhin läuft sie herum, ist sich all ihrer Sinne bewusst, fühlt sich nur so kurz nach dem Aufwachen nicht allzu gut. Ihre Augen blicken seltsam, das fällt hier und da jemandem auf, aber ansonsten verbessert sich ihre allgemeine Verfassung zusehends. Dennoch benötigt sie Hilfe. Ihre Tante Johnny, die mit Leichen arbeitet, ihre Zeit während des Jobs vornehmlich allein verbringt, ist ihre erste Ansprechpartnerin, der sie sich anvertraut. Allerdings ist Tante Johnny über ihre Arbeit ein wenig wunderlich geworden. Ein kleiner Selbstgesprächplausch mit Toten ist für sie eine ganz normale Angelegenheit geworden. So muss Rachel erst einmal Überzeugungsarbeit leisten und beweisen, dass es sich bei ihr um keine Halluzination handelt.
Terry Moore, jahrzehntelang im Comic-Geschäft als Zeichner und Autor tätig, bekannt durch seine Serien STRANGERS IN PARADISE und ECHO, nimmt sich nun der Untoten von einer ungewöhnlichen Seite her an. Denn Rachel, die seiner neuen Serie auch den Titel gibt, bleibt nicht allein auf seltsamen Pfaden in der amerikanischen Kleinstadt mit dem bezeichnenden Namen Manson. Etwas geht um in dieser Gegend und sein mysteriöses Zentrum liegt in einer Gegend namens Firehill, einer Landschaft, der nachgesagt wird, dass es dort spukt. Das Böse (wenn es das Böse ist) hat ein Dutzendgesicht und seine Motivation bleibt nach dem ersten Band noch undurchschaubar. Aber welchen Antrieb braucht das Böse schon, bloß um böse zu sein?
Schwarzweiße Zeichnungen vergeben in der Comic-Kunst keinen Fehler. Hier kann nichts durch Überbleibsel einer Vorskizze oder eine sehr kunstvollen Kolorierung korrigiert werden. Terry Moore macht keine Fehler. Er besitzt einen Comic-Strich, der einerseits mit der künstlerischen Geschicklichkeit eines längst vergangenen Jugendstils daherkommt, außerdem besticht er durch feine Charaktererfindungen und ebensolche Zeichnungen. Moore, der durchaus Superheldenerfahrung besitzt, hat sich hier der normalen Menschen angenommen, in eine merkwürdige Situation kommen.
Terry Moores Erfolg dürfte auch darin begründet liegen, dass sich seine Menschen nicht nur normal verhalten, sondern auch normal aussehen. Außerdem weichen sie äußerlich gut voneinander ab, so sind die Charaktere sehr unterscheidbar, ihre Mimiken hervorragend lesbar. Comic-Fans können feststellen, dass Terry Moore auf Augenhöhe mit Künstlern wie Tony Moore steht, um im Genre zu bleiben. (Die Namensgleichheit ist Zufall.) Die schwarzweißen Grafiken stellen das unbunte Comic-Erlebnis auf eine neue, höhere Stufe, in der das mysteriöse Geschehen langsam die Handlung erobert. Herausragend ist der Auftritt der kleinen Zoe, von Terry Moore auch schön zu Werbezwecken des Comics eingesetzt. Wenn Kinder schaurig schön töten, nur in Thrillern, das versteht sich, bleibt ein Schauer auf dem Rücken nicht aus.
Manchmal kommen sie wieder. Ob sie Geister sind, Untote jedweder Art, der Faszination dieses Themas konnten sich horrorbegeisterte Leser noch nie entziehen. In RACHEL RISING ist besagte Rachel nur der Anfang. Das unbekannte Böse, so scheint es, hat einen Dominostein umgeworfen, der eine Kette von Ereignissen in Gang setzt. Und diese Ereignisse fallen stets anders aus. Rachel, die langsam erkennt, wie sie zu Tode kam, trifft auf Individuen, deren Funktion in dieser Inszenierung vorerst undurchsichtig bleibt. Genau gesetzt sind die Sequenzen, die Moore einander gegenüber stellt.
Manches könnte einer amerikanischen Soap entsprungen sein. Ganz normale Probleme wie jene der kleinen Zoe, die weiß, dass sie unter den Fittichen einer für andere unsichtbaren Beschützerin steht. Die optischen Folgen, der schnelle Wechsel von Alltagssituation in Mord und Totschlag, auch blanken Horror, spannen die Nerven bei der Lektüre von Kapitel zu Kapitel mehr und mehr wie Drahtseile.
Terry Moore dürfte selbst in der großen Comic-Landschaft Amerikas zu den Ausnahmezeichnern gehören. Rein schwarzweiß gehalten, entfalten die Seiten eine starke Anziehungskraft ins Geschehen, auch durch ihre technische Perfektion. Gruselig, nervenaufreibend, in jedem Fall wird der Leser künftig Pantoffeln mit Häschengesicht mit anderen Augen sehen. 🙂
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