Das Fernweh ruft. Die Zugvögel brechen auf. Ein Seemann erzählt Herrn Ratte von seinem abenteuerlichen Leben. Herrn Ratte gehen diese Eindrücke nicht mehr aus dem Kopf und natürlich kann er es nicht lassen und muss seinen Freunden, dem Maulwurf und dem Kröterich, davon berichten. Ist Fernweh ansteckend? So scheint es, denn wenig später ist der Kröterich, in einem Anfall gewohnter Überspanntheit, fort und Herrn Ratte und dem Maulwurf bleibt gar nichts anderes übrig, als ihn zu verfolgen, um ihn, auch wie gewohnt, vor Schlimmerem zu bewahren. Bisher klappte das ganz gut. Nur diesmal eben nicht. Kröterich bleibt verschwunden und Herr Ratte und Maulwurf finden sich stattdessen in Afrika wieder.
Andere Länder, andere Sitten. Und noch mehr als das. Der andere Kontinent gibt den drei Reisenden (zwei davon eigentlich wider besseren Willen) allerhand zu entdecken. Nach Der Wind in den Weiden, die von Michel Plessix für das Comic-Genre adaptiert worden war, hat der Comic-Künstler die Figuren von Originalautor Kenneth Grahame verwendet, um eine Fortsetzung zu inszenieren. Er versetzt die drei kleinen Helden in eine neue Umgebung, möglichst fern der Heimat liegend, in den geheimnisvollen Orient. Wie schon in seiner Adaption des Originalthemas zeichnet und malt Michel Plessix mit überragend feinem Stift und Pinsel.
Dem bereits bekannten Startgebiet mit seinen saftigen Farbtönen einer überquellenden Natur steht zunächst das karge, halbdunkle und trockene Ambiente eines Schiffsbauchs gegenüber, in dem sich zwei unserer Helden als blinde Passagiere wiederfinden. Der Kröterich ist zwar auch ein blinder Passagier, doch wie bekannt, findet er amphibiengleich seinen eigenen Weg. Der optische Schnitt mit der Ankunft auf dem afrikanischen Kontinent ist radikal. Und dann stürzt sich Michel Plessix ins Getümmel einer anderen Kultur mit allem, was zu dieser Begegnung dazu gehört.
Es ist eine vorurteilsfreie Reise nicht nur in ein fernes Land, mit anderer Kleidung, anderer Esskultur, anderen Gebräuchen, anderer Religion, anderer Fortbewegung und anderen Verhaltensweisen, die ganz einfach das Land verlangt, will man gegen Hitze, Sand und Trockenheit bestehen. Es ist, je nach verwendetem Charakter, eine sanfte, vorsichtige oder überaus tölpelhafte Annäherung an das fremde Land. Wer die Charaktere aus dem ersten Band kennt, darf dreimal raten, für welche Vorgehensgehensweise der Kröterich steht.
Nach dem ersten Teil der Annäherung, auch des Einlebens, folgt im zweiten Teil mehr das Abenteuer und der Kröterich (irgendwie ist er immer, obwohl sich die anderen dagegen wehren, eine treibende Kraft) darf wieder für die Slapstick im Band aufstehen. Zusammen mit den Wundern und Schätzen, die das Land zu bieten hat, gibt es in der zweiten Hälfte weitaus mehr Aktion. Und am Ende im rasenden Finale, darf mit Fug und Recht behauptet werden: Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Und ebenso: Sehr schade, dass es schon vorbei ist.
Michel Plessix ist ein penibler Perfektionist, der in diesem Genre, dem Kinderbuch-Comic, seinesgleichen sucht. Plessix arbeitet feinste Details heraus. Kleiderstoffmuster, Speisen, Gassen, eine Brücke, über die kein Weg mehr führt, über einen Fluss, der schon lange ausgetrocknet ist. Die Eindrücke sind so zahlreich, dass sie eine zweite Geschichte nebenher erzählen und das transportieren, was nicht schon von den drei Reisenden (von Kröterich weniger) voller Bewunderung in Worte gefasst wird. Mittels seiner Bilder tritt auch die Verehrung für dieses Land zutage, so fremdartig es ist, so schön ist es auch.
Feinste Unterhaltung, lustig, sensibel und spannend erzählt, mit perfekter Illustration bebildert. Fast so gut wie das Original. 🙂
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