Samstag, 07. Dezember 2013
Nävis kann im Augenblick nicht helfen. Da mag Weweh noch so sehr schreien. Er kann noch so sehr um Hilfe rufen. Nävis steht kurz davor, bewusstlos zu werden. Der kleine Snivel, obwohl in Tarnfarben lackiert, im Jagdgeschehen gar nicht einmal unbegabt, weiß nicht, wo er zuerst helfen soll. Wenig später ist das Chaos komplett und nicht nur Snivel fragt sich, wie es so weit kommen konnte. Nävis hatte jedenfalls nicht so früh mit ihrem Ende gerechnet, obwohl der Spiegel eine neue Falte im Gesicht zutage förderte und die junge Frau offensichtlich von einem zunehmend sich abzeichnenden Alter nicht gerade erfreut war. Aber gleich sterben? Irgendwo fernab von allem? Im Matsch? So darf es doch nicht enden!
Wer ist der Jäger? Wer ist die Beute? Das Konzept in der 15. Folge von SILLAGE ist denkbar einfach, mehrfach erprobt, auch in anderen Genres, funktioniert aber immer bestens. Jean David Morvan gibt noch eine Portion Rätsel hinzu, einige exotische Kreaturen und Humor, der durch einige absurde Situationen wie auch durch den Roboter Snivel transportiert wird. In einer Nebenhandlung spinnt sich ein roter Faden weiter, der von Morvan schon länger vorbereitet wird und nun langsam an Fahrt gewinnt. Ein Cliffhanger, genauer eine ungewöhnliche und ungeheuerliche Erkenntnis treibt die Neugier auf die kommenden Geschichten an.
Mit dem Auftakt dieses Abenteuers mit dem passenden Titel Jagdrevier springen Morvan und der Comic-Künstler Philippe Buchet (verantwortlich für die Zeichnungen und die Kolorierung gleichermaßen) gleich hinein in die Geschichte. Hier wird bereits die Spannung hochgeschaukelt und gleich wieder kurios aufgefangen, denn Weweh, der einäugige Kamerad der Hauptfigur Nävis, ist erst einmal gefressen. Die Geschichte könnte einen für Nävis unangenehmen Verlauf nehmen, geschähe nicht etwas für den Leser ziemlich Unerwartetes. Aber das wird hier nicht verraten.
Gesagt sei bloß, dass es für Weweh ziemlich unangenehm wird. Unangenehmer als gefressen zu werden? Ja, das geht! Nach ein Vorgeplänkel, im Stile alter Fernsehserien, die auch zu diesem Hilfsmittel griffen, um erst einmal die Spannung zu schüren, begleitet Jean David Morvan den Leser zurück zu jenem Ausgangspunkt, der die Menschenfrau Nävis und ihren Freund Weweh in diese verfahrene Lage gebracht hat. Philippe Buchet gestaltet ein Raumschiff, dessen beste Tage schon lange zurückliegen (wenn es überhaupt jemals welche gehabt hat). Als Leser, der in Sachen Space Opera geschult ist, wünscht man sich sofort einen weiteren Auftritt dieser Rostlaube, denn Rostlauben machen nicht nur im Comic echt was her!
Aber das ist nur ein Anhaltspunkt, denn sobald die Jagd wirklich losgeht, wird von Morvan und Buchet gar nicht lange um den heißen Brei erzählt oder gezeichnet. Nävis und Weweh werden auf das Schönste wie der gute alte Major Grubert eingekleidet. Moebius, der den Major ins Leben rief, und auch eine Prise Steampunk lassen grüßen. Die folgende Szenerie ist entsprechend auf Safari getrimmt, wird aber schnell von einer handfesten Auseinandersetzung unterbrochen (mit einer bereits bekannten Killer-Spezies), in der es wahrhaftig um Leben und Tod geht. Die Bilder sind rasant angelegt, ähnlich wie die Eingangsszene, nur ungleich blutiger, allerdings (Morvan hat stets ein As im Ärmel) nicht weniger überraschend.
Der Umgang von Philippe Buchet mit der Umgebung und der Realisierung der Welt von SILLAGE ist weiterhin bewundernswert gelöst. Besonders die Tiere können in dieser Ausgabe überzeugen. Sie sind zügig vorgestellt, funktionell, anatomisch möglich entworfen. Einerseits besitzen sie das Flair, wie es in einer Space Opera zusteht, andererseits könnten sie auch einer Dokumentation der BBC entsprungen sein.
Mit SILLAGE 15 findet sich eine Überleitung zu einem größeren Rätsel, das Jean David Morvan hoffentlich bald in Angriff nimmt. Nävis könnte wieder rätselhafter werden, spannend ist es weiterhin sowie grafisch absolut Top dank Philippe Buchets Fertigkeiten. 🙂
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Freitag, 06. Dezember 2013
Eine Ermittlung in den Straßen von Whitechapel läuft aus der Bahn. Getarnt als Prostituierte wollte Inspektor Frederick Abberline seine Ermittlungen vorantreiben, stattdessen muss er sich wie ein unfähiger Beamter von einem Straßenpolizisten helfen lassen. Abberline, der im Viertel als Uhrmacher vor seiner kriminalistischen Laufbahn gearbeitet hat, erhält nicht viel Zeit, um die eigene Unfähigkeit gegenüber dem Watchman zu entschuldigen. Die beiden Männer stolpern im wahrsten Sinne des Wortes über eine Frauenleiche: das nächste Opfer von JACK THE RIPPER.
Frederick Abberline beschreibt es eindeutig. Whitechapel ist ein Labyrinth und mit dem unbekannten Mörder, den alle Welt nur noch Jack the Ripper nennt, hat ein Minotaurus Einzug gehalten. Das Monster in Menschengestalt begeht Taten, wie sie furchtbarer und abstoßender in dieser eher zivilisierten Epoche kaum sein können. Selbst dort, wo sich der Bodensatz der Gesellschaft trifft, auf den die Polizisten abschätzig herunterschauen, ist solch eine Brutalität ein nie dagewesenes Grauen.
Francois Debois vermischt Fakten und Fiktion miteinander und verschafft dem Leser ein dunkles Erlebnis in den Straßen des viktorianischen Englands und eines aufstrebenden Paris. Die wahrhafte Lösung des Falles kann Francois Debois natürlich nicht bieten, aber dafür eine umso unterhaltsamere und überaus spannende. Der Charakter des Frederick Abberline, in der wirklichen Historie eine zentrale Figur innerhalb der Ermittlungen rund um die Ripper-Morde, wird hier noch weitaus stärker einbezogen, als es in Wahrheit der Fall war. Denn letztlich dreht es sich immer um die Frage: Wer war Jack the Ripper? Die angebotene Antwort ist interessant, natürlich ein wenig reißerisch, aber in ihrer grundlegenden Konzeption auch nicht von der Hand zu weisen.
Die Darstellung der Geschichte ist lebhaft und folgt laut den Worten des Zeichners Jean-Charles Poupard auch den visuellen Beispielen populärer Filmumsetzungen, die sich dieser Epoche bedienen. Allen voran natürlich filmische Varianten des Ripper-Themas wie auch Geschichten über Sherlock Holmes. Poupard zeichnet beeindruckend realistisch und ordnet sich mit seiner Arbeit in die technische Klasse eines Mathieu Lauffrey (Prophet), Dimitri Armand (Angor) oder Ralph Meyer (Asgard). Getuscht wirkt der Strich härter, als er zuvor in den Skizzen erkennen lässt. Ein schöner Anhang mit Entwicklungsbildern von Poupard lässt derlei Vergleiche zu.
Jean-Charles Poupard gehört mit seiner Stilistik zu einer Gruppe von Zeichnern, die mit ihrem Strich auf den Punkt treffen. Gerade bei der harten Tuschearbeit gehen manchen Zeichnern Eindrücke einer hervorragend mit Bleistift skizzierten Grafik verloren. Poupard geschieht das nicht. Sicherlich stellt sich auch hier ein gemeißelter Eindruck ein, die Gesamtkonzeption der Vorzeichnung, die genauen Perspektiven in jeder Figur, ob organisch oder nicht, bleibt stets erhalten. Zusammen mit einer tollen Herausarbeitung atmosphärischer Details entsteht so eine tolle Comic-Arbeit gerade für Fans historischer Szenarien.
Jean-Charles Poupard empfiehlt sich als Zeichner (gerne auch im Zusammenspiel mit Guillaume Lopez als Kolorist) für historische Themen in dieser hier zusammengefassten Doppelausgabe. Die Ansichten machen von A-Z Lust auf mehr Grafiken und andere Szenarios von ihm. Autor Francois Debois kann dem Mythos um Jack the Ripper neue, eigene Seiten abgewinnen, auch mit neuen Schauplätzen und natürlich Untaten (sowie Mördern!). Insgesamt eine spannend erzählte Variante, die selbst nach Kenntnis anderer Geschichten um diesen weltbekannten Mörder sehr gut funktioniert. 🙂
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Link: jc-leblog.blogspot.de (Blog von Jean-Charles Poupard)
Sonntag, 01. Dezember 2013
Da ging der Maulwurf spazieren. Alles stimmt. Das Wetter ist schön, die Leute sind freundlich und mit Ratte ist sogar bald ein neuer Freund gefunden. Wer hätte gedacht, dass das Leben so schön sein kann? Ein kleiner Ausflug am Fluss bringt neue Bekannte wie den Otter oder den Dachs, der allerdings ein wenig brummelig ist und gerade keine Gesellschaft will. Der Kröterich kommt vorüber und wird zum Gesprächsthema. Er hat eine neues Ruderboot, nur hat er keine Geduld. Alles muss sofort funktionieren und auch beherrscht werden, sonst kann Verzweiflung oder ein Wutanfall folgen. Beides hält jedoch nie lange an.
Eine Welt voller kleiner (und großer) Wunder: Der Wind in den Weiden. Eine Ratte, ein Maulwurf, ein Dachs und, ganz besonders wichtig, ein Frosch gehören zu der Riege der Darsteller in dem sicherlich unsterblichen Roman von Kenneth Grahame. Es ist eine Welt der Gefühle und Freundschaften, der Leidenschaften. Die Geschichte beschreibt das Leben in all seiner Fülle. Die Umsetzung durch Michel Plessix, zuerst in Einzelgeschichten zwischen 1996 und 2001 erschienen, gehört zu einem Paradebeispiel wie gelungen eine Comic-Umsetzung einer literarischen Vorlage sein kann (und sein sollte). Da er sich eng an den Roman von Kenneth Grahame hält, war ein Scheitern der Adaption nur noch rein grafisch möglich, aber Michel Plessix kann mit seinem märchenhaften Zeichenstil, einer phantastischen Kolorierung auf ganzer Linie überzeugen.
Auftritt: die Ratte und der Maulwurf. Der kleine dicke Maulwurf ist ein kleiner, dicklicher, auch etwas ängstlicher Vertreter seiner Zunft. Mit Abenteuern hat er wenig am Hut, gerne von zu Hause weg ist er auch nicht. Die Ratte hingegen verbringt gerne den Tag draußen an der frischen Luft, jahreszeitlich ungebremst und reißt den Maulwurf mit. An der Seite des neuen Freundes lernt der Maulwurf noch mehr Freunde kennen und hört, bevor er ihn überhaupt zu Gesicht bekommt, einige seltsame, wenn auch freundliche Geschichten über den Kröterich.
Der Kröterich ist der heimliche Held aus Der Wind in den Weiden. Er ist der wahrhaft abenteuerliche Charakter, oft besinnungslos mitgerissen von seinen jeweils neuen Interessen. Technik, Beweglichkeit, Innovationen, aber auch Kultur und Stil haben es ihm angetan. Die Begeisterung, die der Kröterich immer aufs Neue aufbringt, regt zum Schmunzeln an, zum Lachen, vor allem, da Michel Plessix mit dieser Figur noch ein Stück mehr gelingt, sie zu personifizieren, figürlich zu charakterisieren. Durchweg verwendet er nur feine, dünne Striche im Zusammenspiel mit einer seidenweichen, aquarellartigen Kolorierung. Details werden in der reinen Tuschearbeit ebenso beachtet wie in der Farbgebung.
Aber zurück zum Kröterich, der sehr früh vorgestellt wird, aber auch erst zur Mitte hin verstärkt in den Fokus rückt. Aus der tollen ländlichen Umgebung heraus, in der sich die Tiere hauptsächlich bewegen, bricht der Kröterich in die Welt der Menschen aus, wird sogar angeklagt und muss in einer aberwitzigen Verkleidung fliehen. Sind die meisten Tiere für eine heitere, auch irgendwie romantische Atmosphäre gut, steht der Kröterich für Klamauk und bietet die Grundlage für optische Gegensätze. Das Land könnte zu jeder Seite Ansichten von idyllisch anmutenden Postkartenmotiven entsprungen sein. Die Stadt hingegen ist zwar sauber, allerdings eng, gedrängt, überfüllt, hektisch. Und diese Hektik wird durch die Clownerie des Kröteriches noch einmal befeuert.
Sehr schön ist das warme Farbenspiel in Der Wind in den Weiden. Die putzigen Figuren werden hierdurch noch einmal putziger und es ist auch ein Zeichenstil wie auch Farbgebung, die sich amerikanischen Vorbildern verschließt, aber nicht automatisch europäisch zu nennen ist. Es ist eher eine klassische Illustration, die eigene Figuren entwirft, trefflich herausarbeitet, so dass mit den figürlichen kleine Schauspieler entstehen, die dank Michel Plessix hervorragend in der Lage sind, unterschiedlichste Emotionen zu transportieren. Nur so kann Der Wind in den Weiden optisch funktionieren. Im Comic-Bereich wollen vergleichbare Werke regelrecht gesucht werden, jedenfalls solche, die auch eine tatsächliche Erzähltiefe besitzen.
Ein Wort: fantastisch. Eine vorbildliche Comic-Adaption von einem Meister seines Fachs höchst liebevoll, illustriert. Perfekte Unterhaltung, ob nun als Roman oder Comic gelesen. 🙂
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