Der alte Mann liegt im Sterben. Er weiß, dass es nicht mehr lange dauern wird. Die wenige Zeit, die ihm noch zur Verfügung steht, will er nutzen, um seiner Tochter ein Erbe zu übergeben. Schrecklich ist es, doch darf es nicht in die falschen Hände fallen. Zu lange hat er es gehütet, um nun einen Fehler zu begehen. Saria übernimmt das Geheimnis und flieht. Bei ihrer Rückkehr, unter falschem Namen, erwirbt sie sich den Respekt des Volkes, ist sie doch dazu bereit, sich für die einfachen Menschen einzusetzen, Gräueltaten von ihnen abzuwenden und nicht selten unter Einsatz ihres eigenen Lebens. Aber Luna, wie sie sich nun nennt, geht zuweilen zu hohe Risiken ein.
Venedig, wie es niemand kennt. Eine Legende versetzt die Mächtigen der Stadt in Furcht und gleichzeitig dürsten sie nach ihr. Drei Schlüssel gibt es für die Engelspforte, doch jeder öffnet den Weg für ein anderes Ziel. Mit einem gelangt man in die Hölle. Mit einem anderen findet man die Schwelle des Paradieses. Der dritte Schlüssel führt einen ins Nichts. Doch welcher Schlüssel bewirkt was? Das ist die große Frage. Autor Jean Dufaux liebt das fantastische Element einer Erzählung. Mal gibt er dieser Liebe mehr, mal gibt er ihr weniger nach. In diesem von ihm beschriebenen Venedig kommt dem Leser, selbst wenn er nicht allzu viel über die Lagunenstadt weiß, vieles bekannt vor, denn Dufaux bedient sich an historischen Strukturen aus verschiedenen Epochen und vermischt sie mit einem grauenvollen Mythos.
In eine mittelalterliche Stimmung hinein bohrt sich eine Endzeitatmosphäre, die ein wenig an die Geschichte um Druuna erinnert, jene ordentlich sexuell aufgeheizte Science Fiction Handlung von Paolo Serpieri, dessen Zeichnungen einen hohen Wiedererkennungswert haben. Das Abgleiten in diese endzeitliche, auch gruseligen Szenarien lässt ihn auch wieder Mischwesen (einen ziemlich grausamen Engel) und einiges an Glibber und Kabeln in die Bilder einbauen. Körperlicher Verfall am lebendigen wie auch toten Objekt ist bei Serpieri ein beständiger Spielball, den er meisterlich beherrscht. Seine Strichtechnik, einen Körper, wie auch immer geartet, auf das Papier zu meißeln, als arbeite er im Stile einer Radierung, so dass ein enormer Realismus erreicht wird, ist sicherlich nicht einzigartig, findet sich aber höchst selten.
Einerseits bietet sie den Vorteil für Serpieri unbequeme Stellen zu verschleiern, andererseits nutzt er die Technik auch, um besondere Strukturen herauszuarbeiten. Das ist geschickt gemacht, wie auch wunderschön anzuschauen, denn durch seine eigene Kolorierung, leicht und lasierend aufgetragen, entsteht ein feines und fragiles Volumen, dem der Stil alter Fotografien anheftet oder auch die gute alte Theaterinszenierung. Dies wird umso deutlicher, betrachtet man die inneren und äußeren Kulissen alter venezianischer Paläste, auch gewöhnlicher Häuser, der Kanäle und auch jener Konstruktionen, die so typisch für Serpieri sind und in denen er seinen Hang nach überbordenden Details ausleben kann.
Aber es gibt auch Eindrücke, die einen wünschen lassen, Serpieri möge sich einmal des Steampunks oder eines orientalischen Themas mit all seiner grafischen Wucht annehmen. Anklänge sind hier vorhanden, leider sind sie nur Seitenlinien und zunächst nicht so relevant. Inwieweit sie mehr Bedeutung in einer Fortsetzung der Handlung erlangen, wird sich zeigen. Frauen: Serpieri kann nicht ohne sie und er hat eindeutig eine Frau zu seiner Ikone erkoren. Sie findet sich in Gesicht und Körper stets wieder. Einige Merkmale ändern sich, die Haarfarbe zum Beispiel, doch letztlich von Druuna lassen, kann er nicht.
Aber mehr noch: Im Handlanger des Bösewichts, einer merkwürdigen kirchlichen Eminenz, wird der historisch interessierte Leser eine Art Duce, einen Mussolini wiedererkennen. Sogar die Uniformierung desselben und seiner Untergebenen, mit einem Fez erinnert an jene faschistischen vergangenen Tage, die in dieser Erzählung in einem Venedig aufleben, in dem in Teilen der Handlung auch ein Storm auftauchen könnte. Mit dem Erscheinen des Molochs nimmt Jean Dufaux entsprechende Anleihen bei der nach ihrem Helden benannten klassischen SF-Abenteuerserie.
Eine düstere Geschichte, mehr Horror als Fantasy oder Science Fiction. Mythologisch gewürzt und grafisch aufwändig von, im wahrsten Sinne des Wortes, Comic-Künstler Paolo Serpieri umgesetzt. Jean Dufaux weiß die Spannung auf die Fortsetzung mit großem Geschick zu schüren. 🙂
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