Harpyien. Sie wähnen sich in Sicherheit, wenn sie aus der Luft angreifen. Von hier aus können sie in aller Ruhe zuschlagen, ohne eine nennenswerte Gegenwehr fürchten zu müssen. Jason und seine Argonauten, unter ihnen auch Atalante, wollen helfen, die Angreifer in die Flucht zu schlagen. Die schiere Überzahl ist schon überwältigend, dennoch wollen nicht alle aus seiner Kampftruppe den Ernst der Lage begreifen und so werden sie prompt überwältigt und entführt. Sicherlich wollen die Freunde die Entführten befreien, aber das Ziel ist ein Wolkenpalast. Wie soll man dorthin gelangen, wenn man keine Flügel hat? Nun, man sucht sich Mitstreiter, die fliegen können. Doch auch das ist wieder leichter geplant, als getan.
Ja, der Olymp hat seine ganz eigenen Gesetze. So spielen die Götter auch Brettspiele, mit strategischem Einschlag natürlich, doch falls Zeus einmal verliert, ist sein Zorn fürchterlich und Spielfiguren können schon mal verloren gehen. Auf der Erde. Doch dem Autoren und Zeichner Didier Crisse ist das nicht genug. Die Zahl der Kreaturen, die hier aufgeboten wird, bietet eine fantastische Mischung mythologischer wie auch märchenhafter Wesen und selbstverständlich auch Helden, die sich in dieser Form nicht so häufig in Gruppen zeigen. Und mittendrin ist Atalante, mit dem Herz am rechten Fleck, mutig, geschickt, kampfeserprobt und schön. Weil diese Voraussetzungen für eine Heldin außerordentlich gut sind, fallen die zu bewältigenden Aufgaben entsprechend schwierig aus.
Der Der Flug der Boreaden, im vierten Band aus der Reihe Atalante, gibt Didier Crisse die Möglichkeit mit Volldampf eine seitenweise Pracht aus dem Hut zu zaubern, in dem es von Ideen nur so wimmeln muss. Allein die Auftritte der vielfältigen Kreaturen – so vielfältig, dass sie beinahe von vom Rest der Handlung ablenken – sind ein Kabinettstückchen der besonderen Art. Bedenkt man nur den Greif (und seine zwei Söhne), wird schon hier ein Figur über mehrere Seiten zelebriert, die erst einmal ihre Flugkünste unter Beweis stellt. Und sie ist bei weitem nicht die einzige Kreatur der griechischen Mythologie, die hier die Lüfte erobert. Halb Löwe, halb Schlange sieht der mächtige Chimäre eher unelegant in den Himmeln aus. Geflügelte Pferde jedoch sind wie geschaffen für einzigartige Bilder. Nur der ebenfalls geflügelte Stier Andros kann sie noch übertreffen.
Dieser Band lebt von der Zusammenstellung einer Gruppe zur Befreiung von Atalantes Freunden. Sicherlich weiß die Einleitung ein gehöriges Maß an Dramatik aufzuweisen – immer im Rahmen einer disney-artigen Inszenierung – doch das Sammeln der Begleiter und Kämpfer ist viel aufwändiger und erinnert in seiner Machart beinahe an andere Geschichten mit legendärem Unterton (z. B. Die sieben Samurai). Der Aufbau ist ähnlich, nur so blutig wird es nicht. Nur eine kleine Schockszene lässt sich nicht vermeiden, passt aber in den märchenhaften Ansatz. Sind diese Gesellen alle einmal vereint, kann es an das wahre Abenteuer gehen. Doch das gibt es erst im nächsten Band zu erleben. Hier findet sich auch der einzige (klitzekleine) Makel in einer ansonsten leichten, kindgerechten Geschichte, die einen die nächste Folge als fantasy-begeisterter Leser kaum erwarten lässt.
Wenn Didier Crisse andere Comic-Figuren geschaffen hätte, sähen sie vielleicht so aus, wie es der umfangreiche Anhang vermittelt. Amerikanische Superhelden beider großer amerikanischer Comic-Verlage, ganz nebenbei ein paar Figuren, sich geradezu in die Gedanken des Zuschauers schmeicheln und neue Abenteuer wie nebenbei entstehen lassen oder auch die Steampunk-Charaktere, die nur darauf warten, in einer eigenen Serie zum Leben erweckt zu werden (sehr gerne sogar).
Als Atalante-Fan kommt man an diesem von Fred Besson einmal mehr in bunte, peppige Farben getauchtem Abenteuer nicht vorbei. Obwohl Band 4 können es auch Neueinsteiger sehr gut ohne jegliche Vorkenntnisse genießen, da viele neue Figuren auftreten und sich erst einmal vorstellen. 🙂
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