Ein Mädchen verschwindet. Ein Mann erhält wenig später ein Paket. Darin befindet sich eine gerahmte Trockenblume. Das Jahr darauf erhält der Mann, Henrik Wanger, das nächste Paket. Jahrzehnte darauf, der Mann ist alt, entschließt sich Henrik Wanger einen Journalisten zu engagieren, der das Rätsel um das Verschwinden des Mädchens lüften soll. Inzwischen ist eine Wand seines Büros voll von gerahmten Trockenblumen. Der angeheuerte Journalist ist niemand anderes als der soeben in die Schlagzeilen geratene Mikael Blomkvist, der nach Analyse einer jungen Frau namens Lisbeth Salander, die er nie kennengelernt hat, in eine Falle geraten ist und so seine Reputation als Reporter verloren hat. Blomkvist, der sich auf die Entführung konzentriert, kann zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, in welches Wespennest er sticht und wen er aus seinem Versteck hervorlocken wird.
Selten nur erlebt eine Geschichte derart viele Varianten der Veröffentlichung. Buch, Hörspiel, zweimalige Verfilmung und Comic-Adaptionen fehlen auch nicht. In den jeweiligen Umsetzungen bleiben Kürzungen nicht aus und so gilt es, Schwerpunkte zu setzen. Das Schöne ist zweifellos, dass durch die jeweilige Interpretation neue Einsichten entstehen und die Geschichte (selbst wenn ich sie nun in der fünften Version erlebe) niemals verliert. In der Adaption für das Medium Comic gilt es also für Sylvain Runberg sinnvolle Kürzungen zu erarbeiten und Schlüsselmomente besonders hervorzuheben. Hier schwanken die Szenen zwischen erklärend und thrillernd.
Homs, der als Zeichner hierzulande weniger in Erscheinung getreten ist, fällt durch seine sehr eigenen Interpretationen der Figuren auf. Diese erscheinen an der Grenze zur Karikatur gestaltet zu sein, sind aber niemals überzeichnet genug, um nicht eine echte Vorlage gehabt haben zu können. Das Mädchen mit dem Drachen-Tattoo ist eine der faszinierenden Romanpersönlichkeiten der letzten Jahre. Leidgeprüft, unglaublich tough auf ihre Art, dabei körperlich zerbrechlich wirkend und ungeheuer intelligent, unbeugsam, eigensinnig, rebellisch. Mager bis zur Unterernährung, mit einem dreieckigen Gesicht, kurzen schwarzen Haaren, Piercings und einem starkem Auftreten, das nur einmal ins Wanken gerät, als sie sich den Gegeben unterordnet.
Homs verwendet dünne Striche. Ein starke, plastische Kolorierung hebt die Figuren aus dem Papier. Man könnte die Bildsprache einer transantlantischen Überschrift unterordnen. Die Technik findet sich hier wie dort und lässt seine Figuren theaterartig wie auch operettenhaft auftreten. Damit rückt Homs in eine Nische wie Eric Powell, denn ein gewisser Sarkasmus im Strich findet sich hier auch. Homs gestattet es sich, seinen Figuren einen Stempel aufzudrücken. Das bringt, will man die erklärende Nähe zur klassischen Kunst suchen, sogar Parallelen zur künstlerischen Darstellung eines Otto Dix mit sich.
Während die Erzählung um Blomkvist in diesem ersten Teil von Verblendung (dem Auftakt der Millennium-Trilogie) eher detektivisch geprägt ist, muss Lisbeth Salander ihren Charakter entblößen und wird auf der anderen Seite der Waage zum Leiden ausgeschickt. Zwischendurch zeigt der Mörder im Hintergrund, dass er bei aller Qual, die Lisbeth durchstehen muss, noch viel bestialischer vorzugehen vermag und die Helden dieses Thrillers noch einiges erwartet. Das ist auch mit einer optischen Anmutung von Momentaufnahmen abzulesen, die vorwiegend mit eher kälteren Farbeindrücken daherkommen und den Leser auch auf Abstand halten.
Zur Geschichte dieses Weltbestsellers von Stieg Larson muss kaum noch etwas gesagt werden, diese Adaption hält die Spannung der Vorlage aufrecht und kann auch jenen empfohlen werden, die bereits eine der anderen Varianten kennen. Homs könnte sich mit dieser Arbeit noch für eine lange Karriere als Künstler empfehlen. Der Auftakt hier ist jedenfalls sehr vielversprechend. 🙂
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