Aus einer schlichten Überfahrt wird eine Tortur am Rande des Wahnsinns, der Hölle. Ein Fährschiff sinkt. Der Literaturkritiker Humphrey van Weyden findet sich kurz darauf auf dem Segelschiff Ghost wieder. Das Schiff unter dem Kommando von Kapitän Wolf Larsen nimmt Kurs auf die Robbenfanggründe in der japanischen See. Hump, wie der Schiffbrüchige fortan genannt wird, bleibt keine Wahl. Aus seinem bisherigen Leben gerissen muss er die Besatzung auf die lange Fahrt begleiten. Aus der anfänglichen Empörung van Weydens wird schnell Angst. Ein Leben ist an Bord der Ghost nichts wert. Wer sich nicht dem bärenstarken und seltsamerweise hoch intelligenten Kapitän Larsen unterordnet, muss sich wenigstens seiner Haut erwehren können. Doch nur ein paar Männer an Bord bringen diese Fähigkeit mit.
Langsam ergibt sich van Weyden in sein Schicksal. Er nimmt die niederen Arbeiten an, wird verhöhnt, auch bekämpft, steigt schließlich in der Hierarchie an Bord auf. Der einstige Gentleman aus der feinen Gesellschaft von San Francisco ist gleichermaßen abgestoßen und fasziniert. Dieser Kapitän, ein Hüne, fast eine mythologische Gestalt, äußerlich wie auch durch seine körperliche Kraft begründet, hat seine eigenen abgründigen Theorien über das menschliche Wesen entwickelt. Der Mann, der sich selbst alles beigebracht hat, Wissen über Literatur, Philosophie und Mathematik, glaubt, dass die Zivilisation des Menschen nur ein verzweifelter und lächerlicher Versuch ist, sich über das Tier zu erheben, das ihm immer noch inne wohnt. Für Wolf Larsen gibt es nur eine Wahrheit: der Starke siegt.
Die unsterbliche Geschichte von Jack London, hier von Riff Reb’s für das Medium Comic adaptiert, ist ein literarisches Abenteuer, oft verfilmt und nicht selten zitiert. Wolf Larsen, der Seewolf, ein Mensch, der sich gegen die Zivilisation wehrt, aus tiefsten Hass und Abscheu gegen sie zu Felde zieht, ist jemand, der das Wort Egoist für sich erfunden zu haben scheint. So lange er seine Feinde mit bloßer Gewalt bezwingen kann, vermag ihm niemand die Herrschaft über die Ghost, seine eigene kleine Welt, streitig zu machen. Riff Reb’s, der bereits mit der Adaption zu An Bord der Morgenstern sein Talent für maritime Stoffe unter Beweis gestellt hat, macht aus Londons Seewolf ein besonderes Erlebnis im Medium Comic.
Riff Reb’s könnte bei Künstlern wie Otto Dix und Andreas Deja in die Schule gegangen sein. Überzeichnete Charaktere mit dem dixschen Scharfblick der 20er Jahre und einer leichten Verniedlichung der Figuren eines Disney-Veteranen wie Andreas Deja. Das ergibt eine kuriose wie auch sehr kräftige Mixtur, die von Seite zu Seite mitreißend ist. Die Kolorierung der gesamten Szenerie, die kapitelweise immer einem Grundton folgt, findet einen ganz eigenen Weg der Stimmungserzeugung.
Die Tönungen sind oft düster, fremdartig und halten den Leser auf Distanz. Riff Reb’s inszeniert beinahe eine Theateraufführung und spielt mit den dramaturgisch richtigen Lichtfarben. So entsteht ein höllisch anzuschauendes Szenario, in dem der Tusche eine größere Aufgabe zufällt. Denn Riff Reb’s versteht hier außerordentlich sein Handwerk, meißelt seine Figuren, malt seine Hintergründe. Bestechend sind einige (leider nur wenige) rein schwarzweiße, doppelseitige Illustrationen, die Schiffe im Kampf mit der See zeigen.
Keine Erlösung für Humphrey van Weyden: Auch in der Adaption von Riff Reb’s fährt die Ghost zur Hölle. Der Seewolf ist eine zeitlose Erzählung, wie es sie nur selten gibt. Diese Version im Medium Comic ist sehr gut umgesetzt, gruselig packend. Es ist zu hoffen, dass sich Riff Reb’s noch weiterer Seefahrergeschichten annimmt. 🙂
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