Wenn Erzählern die Geschichten ausgehen, sie sich fortwährend wiederholen, dann kann es passieren, dass sie die Gunst derer, die für ihren Lebensunterhalt sorgen, verlieren. Oder mehr: das Leben nämlich. Plötzlich ist der Posten des Erzählers am Hofe des Königs frei. Die beiden Söhne, Skeggy und Sligand, haben nur wenig Familiensinn. Besonders der ältere der beiden ist ehrgeizig genug, um seinen eigenen Bruder ans Messer liefern zu können. Gemeinsam haben sie nur noch eine Aufgabe: neue Geschichten finden und am Hofe die Stelle des Vaters einzunehmen. Doch vor dem Erzählen hat das Leben die leibhaftigen Abenteuer erfunden. Und davon bekommen die beiden Brüder sehr bald mehr, als ihnen lieb ist.
Wikinger! In von Eis und Schnee bedeckten Landen, wo die Abende lang sind und die Abwechslung nicht sonderlich groß, suchen die kriegerischen Mannen nach Zerstreuung. Sie lieben Geschichten, Wiederholungen indes überhaupt nicht. Es ist leider so, laut der beiden Erzähler Hub und Fred Weytens, dass der Wikinger als solcher, selbst wenn er dem selbigen Beruf nachgeht, eher ideenlos ist und lieber aus der Konserve, dem Geschichtenschatz anderer erzählt. Für den Leser ergibt sich daraus ein wahnwitziges Abenteuer, an einen scheinbaren Rand einer Welt, in der es eine Menge zu entdecken gibt.
Zuerst einmal werden die Charaktere zu einer Einheit geschmiedet, die Guten ebenso wie die Bösen. Neben Sligand, seinem noch kleineren Bruder Knut und einem etwas nervösen Berserker namens Almarik schließt sich ihnen noch ein weiblicher Kapitän an, der aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit im deutlich sexistischen Norden immer neuen Pöbeleien und Anfeindungen ausgesetzt ist. Außerdem traut man(n) einem weiblichen Kapitän nicht viel zu, weshalb das Geschäft schlecht geht und das Schiff, ihre Einnahmequelle, entsprechend heruntergekommen ist. Die Ausgangssituation für alle Charaktere: die Situation kann sich nur verbessern? Denkste!
Das Auge der Welt, so der Untertitel des ersten Bandes, verheißt noch ärgere Gefahren, als jene, die von den Reisenden in der Heimat zurückgelassen wurden. Im skizzenhaften Stil von Emmanuel Michalak lassen sich sehr unterschiedliche Figuren finden. Gesichtsformen variieren stark, haben als vereinigendes Element eine kleine, fast knuffige Augenform. Nur Brynhild, der weibliche Kapitän der ASLAK, des Drachenbootes, das seine Passagiere zur Erfüllung ihre Aufgabe tragen soll, ist die berühmte Ausnahme.
Die Strichführung ist recht natürlich, könnte wirklich einer Feder zugrunde liegen oder ist wenigstens bestens imitiert. Emmauel Michalak liebt die komödiantische Mimik ebenso wie ein grandioses weites Bild mit nordischen Dörfern und eisigen Malströmen. Hier schlägt das Abenteuer zu und es scheint, als seien Sligand und seine Gefährten auf den Spuren eines Odysseus, wenn sie ähnliche Passagen nehmen müssen wie einst der antike Grieche.
Hier finden sich Humortendenzen, die so manchen an einen Erik, den Wikinger oder auch einen Catweazle erinnern mögen. Es ist ein Humor, der es zeitweilig so richtig python-mäßig krachen lässt. Wenn zum Beispiel aus dem Innenleben einer Seeschlange noch ein Passagier kriecht, um die ohne schon aufgelösten Reisenden noch mehr zu verwirren (und zu beschimpfen), dann ist das Chaos noch lange nicht komplett. Denn (die) ASLAK jagt von Missgeschick zu Missgeschick und zeitweilig meint man, gleich könne der schreckliche Sven um die Ecke kommen. Allerdings wird es schon vorher ungleich blutiger, pythonesk und doch erwachen in weiter Ferne Figuren wie ein Peer Wiking in der Erinnerung, nimmt sich das Szenario in Sachen Gewalt ein Stück zurück..
Humor ist wieder einmal Trumpf im hohen Norden, griechisch tragischen Spuren folgend, bis ans Ende der Welt, frisch erzählt und schön, nicht weniger klassisch illustriert. 🙂
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