Denn die Zeit ist nahe. Das Ende aller Tage. Gott richtet, die Welt, wie wir sie kennen, geht unter. Johannes sieht mit menschlichen Augen jene Vision vom Untergang der menschlichen Zivilisation, er sieht ihre Bestrafung, ihren Trost, die Wendepunkte der Apokalypse. Er interpretiert. Etwas anderes bleibt ihm nicht übrig. Zu bildgewaltig ist die Prophezeiung, die Gott ihm offenbart, die Johannes mit den Worten Gottes unter die Menschen tragen soll. Für den Propheten selbst wird die Offenbarung eine Bilderflut, die ihn an den Rand des Verständnisses treibt, die seinen Geist zu sprengen droht.
Das geheimnisvollste Werk der Bibel lässt viele Fragen offen, ist besonders unheimlich in seiner Weltuntergangsbeschreibung. Die Offenbarung des Johannes erläutert in der christlichen Lehre den Untergang, das Ende der Welt, die so genannte Apokalypse. Doch bleibt sie bei aller Beschreibung dennoch schwer vorstellbar. Die beiden Künstler Matt Dorff und Chris Koelle haben sich des Themas im Detail angenommen und das Buch der Offenbarung in ein monumentales Epos verwandelt. Es ist eine Geschichte der Vernichtung, aber auch des Neubeginns. Es handelt von Belohnung und Bestrafung für all jene die an Gott glauben und die ihn verleugnen. Über alle Plagen und Erdbeben, den Feuern, die von den Himmeln fallen, den apokalyptischen Reitern und vieles Grausame mehr hinweg entsteht Hoffnung. Johannes steht und staunt, weint, lacht vor Glück über den Trost Gottes.
Visionen des Wahns: Johannes erlebt das Unfassbare, er begegnet Engeln, sieht ihr Werk ebenso wie jenes, das von den Tieren verbreitet wird. Der Text dazu, der sich nach der Übersetzung Martin Luthers richtet, wird von Matt Dorff lediglich aufgeteilt, Bildern zugewiesen, wenn man es so ausdrücken will. Der amerikanische Art Director zerlegt die kryptischen Bestandteile in verständliche Teile, die für Illustrator Chris Koelle zur Grundlage seiner Grafiken werden. Und was für Grafiken das sind!
Und die Heuschrecken sahen aus wie Rosse, die zum Krieg gerüstet sind.
Mit feinsten Strichen, an Stiche erinnernd, mit ausdrucksstarken Lichtspielen und Schatteneffekten wird der Weltuntergang wie auf einer Theaterbühne inszeniert. Die Figuren kommen nicht einfach nur ins Bild, sie treten auf und ähnlich staunend wie Johannes, dessen ungläubiger Blick Trauer, Wahnsinn und Hoffnung widerspiegelt. Aus der grafischen Darstellung wird deutlich, wie sehr sich die Apokalypse steigert, wie sehr die Kapitel sich voneinander unterscheiden und stets eine andere Macht richtungsweisend ist, himmlisch oder höllisch. Vernichtend sind sie auf ihre Art beide. Auch lassen sie beide auf ihre Art ihre Anhänger am Leben. Doch wenn sie töten, dann quälen sie auch. Keine Seite macht hier einen Unterschied.
Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.
Das Titelbild mit seiner sanftgoldenen Tönung gibt einen Eindruck von der Art der Kolorierung, die stets einem Grundton folgt. Golden, rot, grau, bläulich ist das Ende der bekannten Welt unterlegt. Das hat seinen Sinn, denn Johannes erfährt auch, wohin die Reise der Apokalypse geht, die letztlich nichts anderes als eine Transformation ist, eine (bittere) Lehre und eine Belohnung wie auch ein Neubeginn. Denn dort, ganz kurz, herrscht Farbenpracht, wenn der Frieden und das Glück für die Menschheit Einzug halten.
Wenn das besonders Gute oder das besonders Böse seinen Auftritt hat, sind die Eindrücke am stärksten. Die Engel, weitaus schwerer zu gestalten als das Tier, dem jede Form genehm ist, sofern nur das Furchtbare seinen Platz darin findet, sind Giganten, Statuen, nicht ganz menschlich, Lichtgestalten, mit riesigen Flügeln. Sie sind Diener eines Gottes, daran kann bei ihrem Auftritt kein Zweifel bestehen, während das Tier brüllt, sich auch in den Schatten verbirgt, bevor es menschliche Gestalt und für kurze Zeit die Herrschaft auf Erden übernimmt.
Was soll man sagen: Das Buch der Offenbarung ist eine der stärksten, eindrücklichsten Passagen in der Bibel. Matt Dorff und Chris Koelle ist es gelungen, die Gefühlswellen, die jene meist finstere Erzählung und Vision durchlaufen, perfekt in (anders lässt es sich entgegen der Thematik nicht sagen) wunderschönen Bildern einzufangen. Wer diese packende Apokalypse einmal anders, regelrecht erleben möchte, sollte einen Blick riskieren. Denn eine neue Sicht auf diese Offenbarung ist es, bei der großen Nähe zum Text, auf jeden Fall. 🙂
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