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Comic Blog


Donnerstag, 25. April 2013

Eine Nacht in Rom 1

Filed under: Biographie — Michael um 11:05

Eine Nacht in Rom 1Ein Laserschwert? Sollte ein Mann um die 40 nicht zu alt dafür sein? Raphael nimmt das Geschenk mit einem vor Freude strahlenden Lächeln an. Sie nennen sich Jungs und Mädels, schenken sich Spielzeug und Süßigkeiten, rauchen und trinken, bis sie blau sind. Sie sind ewig jung, noch, bis ein Geschenk auftaucht, das ihnen zeigt, dass sie genau das eben nicht mehr sind: jung. Sondern um die 40. Nicht 20, wie das Pärchen auf der alten Aufnahme eines VHS-Videobandes. Sie tun heute sorglos, sind es aber nicht. Nicht so wie das Pärchen auf dem Videoband. Das hatte diese Jugend, diese Einfalt, diese Liebe, dieses Glück. Und dieses Lächeln. Mein Gott, dieses Lächeln!

Entscheidungen. Das Leben wird von Entscheidungen beherrscht. Man kann nicht nichts tun. Als die beiden jungen Leute vor zwanzig Jahren beschließen, sich nach dieser Zeitspanne wiederzusehen, in Rom, für eine Nacht, ganz gleich, was kommen mag, wirkt es zunächst wie ein Jux. Ein Versprechen, auf Videoband aufgenommen, ist eine nette Rückschau für Raphael. Zunächst. Schnell, viel schneller als ihm lieb ist, nagt die Botschaft dieses Bandes an ihm. Jetzt, zwanzig Jahre später, soll er seinen 40. Geburtstag gemeinsam mit Marie, seiner Jugendliebe verbringen. Sie hat ihm das Band geschickt. Sie wartet. Und Raphael dreht langsam durch. Er wägt ab, was er alles hat. Vor allem privat wirft er sein Leben in die Waagschale. Mit Sophie ist er eigentlich glücklich. Sophie ist gut für ihn. Marie hingegen ist Gift.

Verlockungen. Man weiß, dass es nicht gut ist, ihnen nachzugeben. Man wähnt sich derart erwachsen, dass man gegen sie argumentieren kann. Doch das Gefühl … Autor und Zeichner Jim, ein Künstler, der beide Seiten der Comic-Medaille beherrscht, jene mit Tiefgang, mit viel Menschlichkeit erzählt, und jene, die fern in Raum und Zeit spielen, die auf den Kracher setzen (YIU), ist im Comic-Genre allgemein eine der besonderen Größen. Hier nimmt er den Leser mit in eine sehr spezielle Phase des Erwachsenseins, auch in eine spezielle Beziehung.

Nicht jeder wird eine derart selbstzerstörerische Beziehung erleben. Auch die beiden Charaktere Raphael und Marie scheinen zunächst diese Beziehung weit und lange hinter sich gelassen zu haben. Viele Jahre sind vergangen, seit sie sich zum letzten Mal sahen. Doch die Magie, eine unangenehme, süßliche Anziehung, die wie eine Droge auf beide wirkt. Jim schildert die Entwicklung, den Drang dazu, das Treffen wahrzunehmen zuerst aus der Sicht Raphaels, kurz vor einer Mittellebenskrise stehend. Fragen schweben im Raum. Träume. Vor allem Träume. Sie äußern sich in Worten, aber auch in Blicken. In Haltungen. Ein Gefühl liegt in der Luft. Mancher fragt sich, ob wenigstens alles so ist, wie es sein sollte. Ob wird gerade in diesem Augenblick etwas verpasst? Wird man sich später über das Verpasste ärgern? Wann lohnt sich ein Risiko?

Auch Jim will diese Frage nicht beantworten. Er lässt seine Akteure Antworten finden. Keine guten Antworten, keine Ratschläge. Denn es gibt hier keine guten Ratschläge. Es gibt allenfalls eine Weisheit. Man kann nicht die eine Sache haben, ohne eine andere aufzugeben. Nicht: Alles oder nichts. Sondern: Dieses oder jenes. Jim beschäftigte sich bereits in Sonnenfinsternis und Die Einladung auf ausgezeichnete Weise mit menschlichen Beziehungen und Bedürfnissen. Hier hat er außerdem den Zeichenstift in die Hand genommen. Realistisch skizziert, mit butterleichter Abstraktion, ein wenig lieblicher als die Wirklichkeit, kommuniziert Jim über Gesichtsausdrücke, eindeutige Szenen und den wunderbaren Kniff, seine Leser mitdenken und knobeln zu lassen.

Menschen und Paris. Menschen und Rom Beide Städte stehen für eine Lebensart. Beide haben es geschafft, ein Gefühl zu vermitteln, durch ihre äußere Erscheinung, Literatur und Film. La Dolce Vita. Außer Atem. Jim lässt diese Gefühle in seine Geschichte einfließen, lässt seine Figuren zu Trägern dieser Gefühle werden. Ein Lachen, die Verzweiflung in den Augen, Liebe im Swimmingpool, eine Party in Paris. Und schließlich vermitteln einfache wie auch eindrückliche Farben jahreszeitliche Bedrückungen und Beglückungen, Gegensätze von Hektik und Ruhe, Landluft und Smog. Aus einer scheinbar unkomplizierten Handlung wird ein komplexes Muster, will man als Leser nur alles genüsslich in sich aufnehmen und begreifen. Oder man lässt sich an der Seite von Raphael einfach in den brodelnden Gefühlsstrudel zweier Menschen hineintreiben.

Ein ausführlich wie auch sehr interessanter Anhang vermittelt fein, wie sehr Jim mit Eindrücken und Ausdrücken, Details spielt, um das rechte Maß für die jeweilige Szene zu finden.

Hier ist ein fantastischer Erzähler am Werk. Jim führt eine Generation und ihre Leben ins Feld, ihre Lieben und Prinzipien, Träume, die sie haben und sich noch nehmen wollen. Hier muss bald der abschließende zweite Band her. Das ist zu gut, um lange darauf zu warten. 🙂

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