Tahiti. Ein Traum mit wunderschönen Stränden und einem ewig blauen Himmel. Hier gibt es keine Sünde, nur das Leben, das Lachen und die Liebe. Simon Combaud trifft in den frühen Tagen des Ersten Weltkriegs auf Tahiti ein, einen Auftrag im Gepäck. Allzu schnell lässt er sich von der mehr oder minder unterschwelligen Freizügigkeit verführen. Combaud genießt das Leben an der Seite einer Einheimischen wie Mareta. So sind die deutschen Schiffe, die langsam auf dieses Paradies zupflügen, den Krieg in diese entlegene französische Bastion tragen, zunächst nur ein ferner dunkler Schatten. Doch auch im Paradies ist die Schlange daheim und sie schlägt erbarmungslos zu.
Der Krieg findet auch das Paradies. Wenn es denn eines gäbe. Denn selbst auf diesem Eiland im damaligen Nirgendwo hat das Böse seine Nische gefunden und treibt sein Unwesen in Form eines unbekannten Mörders. Doch im Jahre 1914 haben die Menschen ganz andere Sorgen. Ein Weltkrieg geht um, der erste seiner Art, ungewohnt, mit neuen Reichweiten und großer Vernichtungskraft. So ist es auch kein Wunder, dass bald zwei deutsche Kriegsschiffe in diesem Paradies namens Tahiti erscheinen und das Inselleben gründlich durcheinander bringen. Plötzlich werden aus Menschen, die über viele Jahre friedlich nebeneinander lebten, Feinde. Die Franzosen inhaftieren die deutschen Bewohner sicherheitshalber.
Didier Quella-Guyot hat sich mit seiner Geschichte ein ungewöhnliches und damit auch außergewöhnlich reizvolles Szenario vorgenommen. Basierend auf realen Ereignissen zeigt der Autor das Leben auf Tahiti im Jahre 1914. Die Insel, die von Berühmtheiten wie James Cook und Charles Darwin wurde, hat sich zu diesem Zeitpunkt der Geschichte eine träumerische Ruhe bewahrt. Schwierigkeiten gibt es irgendwo auf der Welt, aber nicht auf Tahiti.
Sebastien Morice entwirft seine Figuren direkt über das Grafikboard in den Rechner. Es sind die Gesichter, die der historisch interessierte Leser mit den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts in Verbindung bringt. Kantiger hier, runder dort, mit Bärten, die noch eine Art Statussymbol im Gesicht eines Mannes waren. Schneidige Uniformen, fast ein wenig operettenhaft, stehen im krassen Gegensatz zum Paradies der Landschaft. Morice benötigt nicht viele Striche, ist der Skizzenarbeitsgang erst einmal durchlaufen. Warme Farben, geringe Schattierungen geben nicht nur Volumen, sondern vermitteln insgesamt über die Bildaufbauten und Formen ein jugendstilartiges Flair. Man könnte auch sagen: Der Krieg naht, doch Morice behält die Postkartenidylle bei und kreiert so einen sehr feinen Subtext. Das hat textlich wie optisch Biss.
Simon Combaud, der Neuankömmling, aus dessen Sicht der Leser dieses Abenteuer vornehmlich erfahren darf, ist ein, für damalige Verhältnisse, Allerweltsmann. Er ist sieht entsprechend durchschnittlich aus, ist freundlich, auch neugierig und ein Mann, der sich plötzlich in einer recht freizügigen Welt wiederfindet. Zwar hat ein Priester, der in einem anderen Zwirn auch einen Quäker darstellen könnte, alles dafür getan, die tahitianischen Frauen unter Missionarskleidern zu verstecken, nur leider sind sie aus seiner Sicht allzu schnell bereit, dieses auch wieder fallen zu lassen.
Neben einer uniformen und glatten Eleganz, die angesichts der Kriegsvorbereitungen auf dem Eiland überwiegt, gibt es ein paar frivole Ausflüge innerhalb der Handlung. Sebastien Morice versteht diese Szenen mit Feingefühl für die Fantasie des Lesers zu gestalten. Und ehe es sich der Leser versieht, befindet er sich plötzlich noch mitten in einem Kriminalfall, wie bereits der Titel Tatort Tahiti 1914 verrät. Im Gegensatz zu den Fronten, die hier klar abgesteckt und ersichtlich sind, bleibt der unbekannte Täter im Schatten verborgen. Nur seine Taten stören mit ihrer Heimlichkeit das Paradies. Die amerikanische Nacht, die Sebastien Morice in solchen Momenten über dem Idyll ausbreitet, ist trügerisch schön.
Ein neues Szenario, frisch, sicherlich auch historisch, mit vielen kleinen Anekdoten und interessanten Figuren präsentiert dieser Zweiteiler eine Stärkung des Comics abseits der üblichen Genres und beweist wie gut eine Mischung aus Bildroman und Film funktionieren kann. Sehr gut. 🙂
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