Louise ist eine sehr gute Zeichnerin. Ihre Abbildungen der Wandzeichnungen vermitteln einen künstlerischen wie auch wissenschaftlichen Eindruck der Funde in den versteckten Gewölben. Lazarus, ein junger Mann, halber Ägypter, entdeckt noch ein wenig mehr in der jungen Frau. Als er sie nach Hause, in den Palast von Saba, begleitet, stutzt er zunächst. Doch Louise wohnt hier nur. Die übrigen ansässigen Frauen gehen hingegen ihrer Arbeit, dem ältesten Gewerbe der Welt nach. Lazarus ist ein Kind dieser Stadt. Die Höhen und Tiefen von Alexandria sind ihm alles andere als fremd. Und da er immer auch eine Nase für historische Feinheiten hat, will er unbedingt in den Keller des Palastes, denn dort könnten noch ganz andere Schätze ihrer Entdeckung harren.
Alexander der Große, ein geschichtlicher Mythos, starb weitaus weniger glanzvoll als es seine Karriere als Eroberer vermuten lässt. Geheimnisvoll wäre ein treffenderer Begriff. Sein Grab, geschichtlich erwähnt, wechselte den Standort, wurde von mächtigen Männern besucht, bis der Leichnam selbst verschwand. Die Geschichte von Isabelle Dethan beschäftigt sich mit einer abenteuerlichen Suche nach dem Verbleib des toten Heerführers. Ein Fund dieser Art hätte einen historischen Wert, der den eines Tutanchamun weit übersteigen würde. So bleibt es auch nicht bei einer Gruppe, die sich auf die Spur dieses kostbaren Fundes geheftet hat.
Im Juni des Jahres 1858 verläuft das Leben in Alexandria noch weitaus gemächlicher als heute. Auf den Straßen herrscht noch die Beschaulichkeit einer vergangenen Epoche. Der Westen hat den Orient erreicht, aber nicht verdrängen können. Im Hintergrund mag man noch an die alten Märchen glauben, die bunten Geschichten vergangener Tage und Größe. Und im Untergrund sind die Zeichen dieser Zeit noch vorhanden. Alte Gänge, Wände voller Hieroglyphen, Gewölbe, die selbst nach Jahrhunderten der Vergessenheit noch Würde und Macht ausstrahlen. Es ist eine prächtige Zeitreise, im doppelten Sinne, die von Isabelle Dethan erzählt und von Julien Maffre gestaltet wird.
Indem die Mitte des 19. Jahrhunderts sehr anschaulich eingefangen wird, entsteht eine Grundfeste der Handlung, die sich komplett durch die hier zusammengefassten drei Episoden der Geschichte zieht. Alexandria, Ägypten, eine prächtige Vergangenheit, die auf eine weniger anziehende Gegenwart trifft. Hier verstecken sich Menschen, leben in der Halbwelt, im Hinterhof des weitaus mächtigeren Europa. Die Antike hält Kostbarkeiten bereit, die nur auf ihren realen Wert hin gemessen werden. Mumien werden auf Partys ausgewickelt, als handele es sich um ein geheimnisvolles Geburtstagsgeschenk. Hier stehen Gaunereien gegen kindlich naive Unbekümmertheit vor einem Welterbe.
Doch Isabelle Dethan entspinnt die Geschichte nicht aus übergeordneter Sicht. Sie taucht ein in diese Welt an der Seite von erfahrenen Männern und Frauen, jungen Menschen, die das Leben noch vor sich haben und einen Hauch Romantik mitbringen, Lebensfreude, Abenteuerlust, aber auch keine Angst vor dem Risiko. Die Erzählung von Dethan, die den Geist alter Abenteuerromane atmet, ist durch die sehr schön skizzierten Charaktere liebenswert, ein Leseerlebnis im besten Sinne für jene, die sich noch alte Filme wie König Salomons Diamanten erinnern können oder andere Klassiker, die sich auch Zeit für ihre Charaktere nehmen und es dennoch schaffen, den Spannungsgrad in jeder Sequenz hoch zu halten.
Alexander der Große, das Herz dieses Abenteuers, öffnet sich dem Leser über das Geheimnis seines letzten Verstecks. Wunderschöne Ruinen, Schriftstücke, Schätze, Gewölbe und insgesamt mit einer Hatz durch längst vergessene Gänge, dass ein Dan Brown seine wahre Freude daran hätte. In markigen Zeichnungen, mit eindeutig eigenständiger Stilistik, in denen sich ein wenig Disney und Manga paaren, aber sich stilistisch auch auf dem amerikanischen Markt (insbesondere in der Phantastik) wiederfinden könnte, sind durch Julien Maffre, der Zeichnungen und Kolorierung gleichermaßen übernommen hat, prachtvolle und dichte Szenen entstanden.
Die Kolorierung bietet nur leichte Abstufungen, meist nur einen helleren und einen dunkleren Anteil, Verläufe sind selten. Maffre verlässt sich auf den Zeichentrickeffekt seiner Bilder, manchmal etwas kantig, stets mit sehr ausdrucksstarken Mimiken, die mitsprechen und den Bildern große Lebendigkeit verleihen.
Ein toller Abenteuerband, mit liebenswerten Charakteren (auch echten Fieslingen), mit Flair und Sinn für die Zeitperiode bearbeitet. Hat alles, was eine gute Abenteuergeschichte benötigt, richtig schönes Comic-Kino. 🙂
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