Freitag, 28. Dezember 2012
Einen Platz in der französischen Armee zu erhalten, kann ein wahres Glücksspiel sein. Im Angesicht des Rekrutierungsoffiziers wird eine Nummer gezogen. Ein Blick auf eine lange Liste von Zahlen und einen entsprechenden Vermerk entscheidet über die nahe Zukunft der Männer einer Ortschaft. Für den jungen Alban Labiche ist die 222 eine Glückszahl. Zuerst. Seine Schwester Angele, mit dem weniger glücklichen Louis verbandelt, freut sich selbstverständlich über diesen Umstand. Dafür ist ihr Geliebter unter den eingezogenen Soldaten. Wenig später ändert sich das Blatt. Vollkommen überraschend finden sich Soldaten bei Alban ein und nehmen ihn als Deserteur fest.
Patrick Prugne zeigte dem historisch interessierten Leser bereits mit Canoe Bay die etwas vernachlässigte frühe Epoche der Besiedelung Nordamerikas und hierzulande mit James Fenimore Cooper (Lederstrumpf) in Verbindung gebracht wird. Gleichzeitig zeigt er den französischen Einfluss auf die nordamerikanische Geschichte, der heutzutage gerne etwas in den Hintergrund gedrängt scheint. Seine Hauptfigur Alban Labiche muss die Heimat zwar unter Zwang verlassen, dafür werden die Möglichkeiten zur Verteidigung in der Neuen Welt strikter, einfacher. Der Tod wird im Indianerland zum ständigen Begleiter.
Steht zu Beginn noch eine Familiengeschichte, ein wenig Liebe, ist das erklärte Ziel im weiteren Verlauf das pure Überleben. An der Seite Albans lernt der Leser eine raue, unberührte, wunderschöne und unerbittliche Natur kennen. Geier und Krähen warten schon, Indianer haben ihre eigenen Gesetze, die nicht nur Auge um Auge kennen. Patrick Prugne erzählt ohne falsche Nostalgie ein nicht seltenes Schicksal jener Tage, aus dem letztlich ein lebenslanges Abenteuer wird. Melancholie schwingt sehr oft mit, Heiterkeit findet sich so gut wie nicht, allenfalls darf man sich über eine gewisse lebensnotwendige Frechheit mancher Figur freuen.
Das besondere Merkmal von Patrick Prugnes Arbeiten ist die Aquarelltechnik, der es gelingt, ein Gefühl für die Natur einzufangen. In einem sehr umfangreichen Anhang mit Bleistiftskizzen und Aquarellentwürfen beweist Prugne einmal mehr seinen Sinn für Farbe, die atmosphärische Bildeinstellung und den romantischen und lebensnahen Blick auf das Leben der Indianer, der Pawnees. Der Blick hinter die Kulissen zeigt die Entwicklungsarbeit, auch nichtverwendete Szenen, die ein Ausblick auf künftige Geschichten sein können, denn das Basismaterial, Recherchearbeit und Entwürfe reichen mit Blick auch auf Canoe Bay bestimmt für weitere Comic-Romane.
Vor den schönen Eindrücken der Neuen Welt verblassen die Szenen in der Alten Heimat deutlich, vielleicht weil ihnen das Geheimnisvolle fehlt, die Urwüchsigkeit, obwohl selbst durch den neuzeitlichen Blick auf das Geschehen, diese Form der Zivilisation im Frankreich des frühen 19. Jahrhunderts nicht einmal auf einem guten Weg in die Moderne zu sein scheint. Wenige Außenlinien, leichte bis sehr kräftige Farben lassen eine langsam endende Epoche neu erstehen, ein kleiner Kostümfilm im Comic-Gewand.
Drama, Abenteuer, historische Erzählung, prachtvoll illustriert von Patrick Prugne, der sich mit dieser grafischen Gestaltung und Thematik eine Nische erarbeitet, die aber nicht nur für Freunde der Besiedelung Nordamerikas sehenswert ist. 🙂
Frenchman: Bei Amazon bestellen
Donnerstag, 27. Dezember 2012
Man lege sich nicht mit Robotern an, deren Namen einem unbekannt sind. Coraline will der Name des stählernen Giganten, der sie mit beiden Händen umschlossen hält, partout nicht einfallen. Doch mit der Erinnerung des Namens folgt auch eine Spur, die sie der Lösung des Rätsels näherbringt. Coraline ist nicht die erste, die sich in der Traumwelt verloren hat. Auch ihre Schwester Celia hat es getroffen. Schlafend findet sie die Vermisste vor. Coraline bleibt keine Wahl. Sie muss tiefer in die traumhafte Märchenwelt vordringen als bisher, will sie ihre Schwester und all die anderen retten.
Terry Dodson gehört unter den Comic-Künstlern zu den Pin-Up-Königen. Seine Frauen sind der Kategorie wahr gewordener Männerträume zuzuordnen und in ihrer Erscheinung durchaus überirdisch zu nennen. Als Superheldin oder auch Gaunerin (zum Beispiel Harley Quinn, Black Cat, Emma Frost) sind sie dem Fan von DC Marvel längere Zeit bekannt, im Bereich des Verträumten, Fantastischen war der amerikanische Zeichner Dodson bisher eher selten zu finden, obwohl seine Grafiken hier und dort einen märchenhaften Strich durchscheinen ließen.
TRÄUME. Sie können sehr fantasievoll sein. Gefährlich. Erotisch. Oder alles auf einmal. Bereits mit dem ersten Teil haben Denis-Pierre Filippi, Autor, und Terry Dodson, Zeichner, gezeigt, wie eine Vermischung von viktorianischer Atmosphäre, einer Spur Fables und auch Steampunk plus einer Prise Erotik aussehen kann. Letztere bricht kaum richtig aus, ist zumeist unterschwellig vorhanden und befeuert letztlich mehr die Fantasie des Lesers. Dieser zweite, abschließende Band von TRÄUME beginnt mit einer Sequenz, die geradwegs ins Herz der Märchenwelt zu führen scheint.
Im Schloss von Dornröschen scheint plötzlich ein jedes Märchenwesen eingeschlummert. Schneewittchen samt der sieben Zwerge, Jack und seine Bohnenranke, Rotkäppchen neben einer merkwürdigen Wolfskonstruktion und einigen mehr. Diese Einführung ist derart schön gestaltet, dass es ein grafisches Fest werden würde, zeichnete Terry Dodson auch komplette Interpretationen jener Märchen.
Dodsons Figuren, die aus den gerade nötigsten Strichen entstehen, skizzenhaft aufgetragen, ohne nachträglich real oder digital getuscht worden zu sein, warten hier einmal mehr mit dieser Jugendstil-Optik auf, die den ohnehin verträumten Gesamteindruck verstärkt. Szenen im Harem, samt eines obligatorischen Scheichs, der sie zu sich in den Thronsaal holt, um Coraline (die Schwester der untertitelgebenden Celia) vor 1001 Nacht für sich tanzen zu lassen, besitzen beinahe eine Opulenz sehr früher Hollywood-Filme oder alter Operrettenstreifen deutschsprachiger Machart.
Die Geschichte, die hier von Denis-Pierre Filippi entworfen wurde, ist bei aller Gefahr für Coraline und ihre Schwester eher heiter zu nennen. Filippi sucht die optisch schönen Momente für seinen Co-Künstler. Neben den eigentlichen Figuren schult sich Terry Dodson an feiner ländlicher Architektur, Natur sowie an raffinierten Konstruktionen, die auch einer Ideenwelt eines Jules Verne entsprungen sein könnten. Die Vielfalt der Szenen und gegensätzlichen Epochen, die in einer Märchenwelt gerade so schnell auftauchen und wieder verschwinden, wie es dem Autor beliebt, machen den zusätzlichen, sehr charmanten Reiz der Handlung aus.
Ein feiner Abschluss eines nostalgischen wie auch durchaus romantischen Comic-Abenteuers, sehr fantasievoll, erstklassig illustriert von Terry Dodson. 🙂
Träume 2, Celia: Bei Amazon bestellen
Link: Homepage von Terry Dodson
Samstag, 22. Dezember 2012
Er ist übermenschlich stark. Er ist riesengroß. Er ist grün. Er ist der Hulk. Und Hulk zerstört! Hulk kann Bruce Banner nicht leiden. Eigentlich kann Hulk niemanden leiden. Doch Hulk wird von so manchen doch nicht als Monster gesehen. Denn durch seine Abneigung gegen jegliche Unterdrückung wird er zum willkommenen Befreier. Allerdings ist Bruce Banner, der Wissenschaftler, nicht weniger willensstark als Hulk. Es entsteht eine Rivalität, ohne dass die beiden jemals in Person aufeinandertreffen würden. Im Geiste jedoch, im Unterbewusstsein fechten die beiden einen Kampf aus, in dem es in gewissem Sinne auch um Leben und Tod geht.
Fred Van Lente beschafft dem Hulk aber auch handfeste Gegner. In der Neubearbeitung der Entstehung des Klotzes, die auch Marvel ähnlich verfolgt wie das rivalisierende Verlagshaus DC, werden bekannte Konstellationen durcheinandergewirbelt und Feinde präsentiert, die ungewöhnlich genug sind, um eine alte Geschichte unvorhersehbar neu zu erzählen.
Them ist eine Gruppe, die sich einer Verbesserung ihrer selbst, somit auch der Menschheit verschrieben hat und dafür über Opfer geht, Zuchtprogramme verwendet und jegliche Merkmale einer wahnsinnigen Gruppe aufweist, denen sich auch schon andere Superhelden aus dem Marvel-Universum stellen mussten, meist mit anderen Namen, Strukturen und Charakteren, aber mit ähnlichen Zielen.
Stilistisch ist Tom Fowler einer jenen wilden Zeichner, deren Bilder Realismus besitzen, die aber einen Strich führen, der sich beinahe mit Rock’n Roll umschreiben lässt. Andere Vertreter dieser Gattung wären zum Beispiel Ronnie Del Carmen (Aliens) oder Sean Phillips (Marvel Zombies). Aber Tom Fowler wandelt gleichzeitig auf den Spuren von Altmeistern wie Jack Kirby oder (aktueller) Alan Davis (Fantastic Four). Besonders prägnant sind die Gesichter, mit denen Fowler auf einer Wellenlänge mit dem Marvel-Universum ist.
Der Tuschestrich ist zuweilen übergenau, dann wieder wild. Fowler lässt sich nicht eingrenzen, bricht hin und wieder aus seiner eigenen Stilistik aus. Sein Hulk ist nicht der Muskelberg, den andere Künstler (wie ein Ed McGuinness) aus ihm gemacht haben. Das ist optisch natürlich eindrucksvoll, doch Fowler macht aus dem Hulk tatsächlich einen Klotz. Unproportioniert, mit winzigem Kopf, einem Oberkörper so gigantisch, dass er zu bersten droht, vergleichsweise kleinen Beinen, über die man angesichts der Zerstörungswut des Hulk nun doch nicht schmunzeln mag.
Das andere Ich, Bruce Banner, ist so schmal wie eh und je und auch gemeiner, durchsetzungsfreudiger, sogar ein kleiner Womanizer. Gegenüber den anderen Charakteren ist er ein Schatten, gegen den Hulk sowieso, aber auch gegen General Ross, dem das Kampfschwein aus der ganzen Figur springt. In den ruhigen Sequenzen bleibt Fowler genügend Raum, um mit Mimiken und ohne Worte zu spielen. In den weniger ruhigen Momenten, die Mehrzahl, lässt er es grafisch krachen. Die Rasanz ist flott, zeichentrickartig.
Eine weitaus wildere, schnellere, rockigere Variante als die ursprüngliche Entstehungsgeschichte. Hulk besitzt unter seiner grünen Schale ein großes Herz und langt mit einer Spur Ironie und Humor ordentlich zu. Autor Fred Van Lente transportiert den Hulk mit der richtigen Portion Charakterzeichnung und Action in die Gegenwart. 🙂
HULK, Season One: Bei Amazon bestellen
Freitag, 21. Dezember 2012
Ein Schwarm Fledermäuse. Eine dämonisch dreinblickende Samurairüstung wecken die richtigen Ideen auf das spätere Auftreten einer ganz besonderen Figur, die den kriminellen Elementen in Gotham das Fürchten lehren soll. Doch so weit ist es an diesem Tag noch lange nicht. Der Junge erstarrt in Furcht vor dieser Rüstung im Glaskasten, verloren und allein. In sich gekehrt. Später, mit der Schwester von Harvey Dent vor dem alten Arkham-Gebäude stehend, mit der Geschichte seiner Familie mütterlicherseits konfrontiert, einer Großmutter, die den Großvater umgebracht und sich selbst dann von Dach gestürzt haben soll, kennt der junge Bruce Wayne nur noch ein Argument: Gewalt.
Helden fallen nicht vom Himmel. Na, ja, manchmal schon. Geoff Johns erzählt eine neue Variante vom Start des Fledermaushelden namens Batman. Dieser Batman ist jung, unerfahren und er vermag es bei weitem nicht, so einzustecken und wegzustecken, auch nicht auszuteilen, wie des der Comic-Fan vielleicht in den letzten Jahren gewöhnt ist. Dieser Batman ist noch nicht ein elegant an einem Seil durch die Häuserschluchten schwingender Artist. Hier ist erst einmal nur ein Mensch, der Rache will und eine ungewöhnliche Idee besaß, diese einzufordern. Der Start ist aus der Sicht der Verbrecher alles andere als furchteinflößend.
Der Auslöser ist bekannt. In einer kleinen Seitenstraße, in einem von Gangstern verseuchten Gotham, wird der kleine Bruce Wayne Zeuge, wie seine Eltern während eines Raubüberfalls erschossen werden. Aber es gibt auch Abweichungen. Alfred wird der Butler, ein ehemaliger Kämpfer, der Bruce aufzieht, mit dem Ergebnis jedoch nicht vollends zufrieden ist. Denn Bruce hat sein Unternehmen Hals über Kopf begonnen, zu emotional, unbeherrscht und führt sich manchmal auf wie der berühmte Elefant im Porzellanladen.
Der aufgeregte junge Mann, der sich selbst zum Helden aufschwingt, den persönlichen Verlust nicht fürchtet, der mehr als nur eine Verletzung davonträgt, erfährt in seinen Gegnern realistisch anmutende Gegner. Geoff Johns bricht die Feinde auf ein echtes Maß herunter. Der Pinguin ist zwar ein kleinerer Mann, aber nicht entstellt oder körperlich undenkbar. Von Zeichner Gary Frank mit einem Bruder von Jack Nicholson besetzt, ist der Pinguin ein eiskalter Gangster, der nahtlos in eine Reihe mit Al Capone und vielen anderen aus der Ära der Prohibition passt.
Jemand, der Bane in den Schatten stellt, ebenfalls solche Killer wie Croc ist jener Mörder, gegen den Batman hier antreten muss. Geoff John stellt hier eine Gestalt vor, die mehr an einen Jason Vorhees erinnert und zunächst nicht so sehr in das bekannte Batman-Universum passt. Dank Gary Frank ist dieser abnorme Gigant, der sich nicht scheut, ein Partyhütchen zu tragen, beinahe ein Gegner, der den noch relativ jungen Batman töten könnte. Gary Frank zeichnet einerseits mit der Effizienz und Präzision eines Jim Lee, andererseits gelingen ihm auch Charakterköpfe, nicht unbedingt notwendige, dafür umso gelungenere Veränderungen.
Bullock, der Cop an der Seite eines Jim Gordon, ist dem Leser eher als etwas verkrachte, übergewichtige, sogar zwielichtige Polizeigestalt in Erinnerung. Hier ist er ein smarter Karrierepolizist, der nach Ausflügen ins Showbusiness, mit der Moderation einer Fernsehsendung, nun wieder Dienstluft schnuppern will. Den echten Polizisten, die ihre Arbeit nicht als Shownummer begreifen, allen voran Gordon, ist solch eine Marke natürlich ein Dorn im Auge. Optisch ist er ein leicht dümmlich ausschauender Bruce Wayne, mit einem Lächeln, das stets ein wenig künstlich aussieht, einerseits um Bewunderung heischend, andererseits immer ein wenig schüchtern oder auch beleidigt.
Die Optik verströmt weniger eine Superheldenatmosphäre, sondern tendiert mehr in Richtung eines handfesten Thrillers, sortiert sich hier als in die Linie der letzten Kinotrilogie ein, lässt aber allzu phantastische Superheldentricks vermissen. Dieser Batman muss sich viel mehr auf seine Fähigkeiten verlassen als andere vor ihm. Geoff Johns lässt Gary Frank viel Raum, um die Bilder wirken zu lassen. Die Aufteilung ist großzügig. Halbseiter, Einseiter oder auch doppelseitige Darstellungen vermitteln tolle Eindrücke, die dem Comic-Fan viel zu bieten haben.
Eine verdammt gelungene Neuinterpretation des Auftakts eines der interessantesten Superhelden der Comic-Geschichte. Sehr menschlich, sehr intensiv, mit einem genauen Blick auf die Schwierigkeiten, die das Doppelleben als maskierter Rächer mit sich bringt. Famos illustriert. 🙂
Batman, Erde Eins: Bei Amazon bestellen
Donnerstag, 13. Dezember 2012
Zwei Wesen begegnen sich in den Weiten des Alls. Es gibt von ihrer Art nicht mehr viele. Umso glücklicher ist diese Zusammenkunft, zumal es sich auch noch um einen weiblichen und einen männlichen Vertreter ihres Volkes handelt. Schnell entspinnt sich eine kleine Romanze, voller Heiterkeit und Vorfreude auf das spätere Stelldichein. Aber der Abend endet vollkommen anders, als eine Seite des Paares angenommen hat. Die andere Hälfte geht unbeirrt ihren Weg, von schlechtem Gewissen umnachtet und immer verbissener in ihrem Hass werdend.
Sehnsucht nach der Erde. Doch die Erde ist nicht das, was der Reisende in Erinnerung hat. Geleitet von seinem Heimweh übertritt er eine Grenze, die ihn zu einem Mörder macht. Die beiden Helden, Valerian & Veronique sehen sich einem ungewöhnlichen Feind gegenüber, der in den Lauf der Geschichte der Erde eingreifen will, einzig zu dem Zweck, die Zukunft so zu gestalten, damit sie der gleicht, die er in Erinnerung hat. Aus einem zunächst der SciFi-lastigen Abenteuer, Die große Grenze, wird beinahe ein Thriller, in dem auch ein James Bond um die nächste Ecke biegen könnte. Haben sich die beiden Freunde an ihr Leben fernab von Galaxity gewöhnt, auf einer Erde, die den technischen Entwicklungen ihrer Zeit sehr hinterher hinkt (sieht man einmal von Veroniques Herkunftsepoche ab), will sich ihr Gegner nicht so einfach mit den Gegebenheiten abfinden.
Die Gefahr der Verseuchung durch radioaktive Strahlung ist immer noch ein brandaktuelles Thema, obwohl der Band Die große Grenze 1988 erschien. Interessanter, auch wieder rückblickend betrachtet, ist eine gewisse Ähnlichkeit einer Sequenz, die an Casino Royale erinnert, obwohl dieser erst 2006 in die Kinos kam. Der Vergleich zu Filmen stellt sich nicht zum ersten Mal, ließen sich doch gerade Werke aus dem Krieg der Sterne heranziehen. Wie das Titelbild des vorliegenden 5. Sammelbandes andeutet, findet sich aber auch eine Ähnlichkeit zu einem SciFi-Stoff, der unter der Regie von Luc Besson auf die Kinoleinwand kam: Das fünfte Element.
Jean-Claude Mezieres entwarf im Rahmen der Produktion des besagten Kinofilmes einige Teilbereiche des Designs, doch war zu diesem Zeitpunkt nicht damit zu rechnen, dass diese auch Verwendung finden würden. Der Zeichner verwendete diese Ideen jedoch auch für die hier vorliegende dritte Episode Die Kreise der Macht. Die Geschichte erschien 1994, zwei Jahre vor der Kinopremiere von Das fünfte Element. Hier stellte sich schließlich heraus, dass die Idee mit den fliegenden Taxis doch Anklang gefunden zu haben schien.
Der besonderen Dramatik, den Ausflügen in den Thriller und Agentenabenteuer von Die große Grenze folgte 1990 Lebende Waffen. Pierre Christin und Jean-Claude Mezieres machten sich nach dem Abenteuer auf der Erde und einem weiten Flug nach Galaxity wieder auf in die Fernen des Weltalls. An der Seite einer Gauklertruppe verschlägt es Valerian und Veronique mitten in einen Krieg. Christin und Mezieres spielen gekonnt mit der Absurdität und wahnwitzigen Einfällen, die sich nur wenige im Bereich des Comics allgemein getraut haben. Der Schnarf und die zentaurenähnlichen Horden, die schließlich in die Schlacht ziehen, bieten selbst dem verwöhnten Leser Eindrücke, die die Augen ein wenig weiter öffnen. Vor Staunen und Schmunzeln.
Die Kreise der Macht, der dritte Band der 5. Gesamtausgabe, ist ein weiterer gestalterischer Höhepunkt, der die vorangegangenen Episoden ohne Zweifel in den Schatten stellt. Nicht nur die bereits erwähnte Design-Verwandtschaft zu Das fünfte Element sind hier erwähnenswert. Vielmehr ist die verschachtelte Welt, die feine Satire und nicht zuletzt der zeitweilige Auftritt des grunzenden Transmutators für sich genommen ein gelungener Weltraumoperhintergrund, so dass Pierre Christin hier sein großes Talent für eine sehr genau durchdachte Abenteuer-SF unter Beweis stellt. Allerdings gibt es mittlerweile derart viele Verknüpfungen auch in die Vergangenheit der beiden Helden, dass Neueinsteiger manchen humorigen Passagen vielleicht nicht ganz folgen können.
Verschiedene Szenen und Sequenzen sowie ein alles überragender dritter Band in der vorliegenden Gesamtausgabe überzeugen wieder mit vorbildhafter Science-Fiction-Unterhaltung, die rigoros aus den scheinbar unerschöpflichen Tiefen des Einfallreichtums von Christin und Mezieres wächst. Weiterhin herausragend. 🙂
Valerian & Veronique Gesamtausgabe Band 5: Bei Amazon bestellen
Mittwoch, 12. Dezember 2012
Quadratkrabben haben keine Namen. Warum auch? Meist begegnet man sich nur einmal im Leben und dann nie wieder. Wer also sollte sich einen Namen merken? Das Leben ist einsam und frustrierend für diese kleinen Quadratkrabben, die sich ihrer Frustration vollkommen bewusst sind. Außerdem werden sie noch gegängelt, von den wirklich großen Krabben. Eigentlich von allen. Menschen sind besonders schlimm. Und erst die Kinder. Kinder sind für die kleinen Quadratkrabben der Horror. Da heißt es Flucht, so weit die acht Beine tragen, so schnell wie möglich. Bis, eines Tages, ja, bis das Unvorstellbare geschieht!
Manchmal gibt es Überraschungen, die einfach begeistern: Sie sind neu, sie haben Pfiff, sind unglaublich unterhaltsam und besitzen einen hintergründigen Humor. Einmal mehr macht Arthur de Pins mit einem Comic auf sich aufmerksam, mit anderem Genre, vollkommen ungewohnten Figuren und einer tollen Idee. Der Marsch der Krabben, einer besonderen Art von Quadratkrabben, die Zeit ihres Lebens nur auf einer Bahn laufen können. In die eine oder die andere Richtung. Das erschwert die Begegnung mit anderen Quadratkrabben enorm. Die Möglichkeit einer Fortpflanzung scheint durch dieses Handicap kaum mehr gegeben zu sein.
Und dennoch schicken sich diese Krabben an, ihr Schicksal in die Hand (oder in die acht Beine) zu nehmen. Sie finden einen Trick, der es ihnen ermöglicht, die Richtung zu wechseln. Sie müssen dafür nur zu zweit sein. Und schon gelangen sie überall hin. Arthur de Pins erzählt diese Problematik mit einem beinahe schon unbekannten Humor, ebenso leicht wie absolut effizient, dass man nur den Hut ziehen kann. Die kleinen weißen Krabbler, so gesichtslos und ununterscheidbar sie auch sind, sind rigoros sympathisch, auch mitleiderregend, so dass die menschlichen Charaktere (die es gibt) fast zu störenden Nebendarstellern werden.
Unter erschwerten Bedingungen ist nicht nur der Untertitel des ersten Bandes dieser Trilogie, es beschreibt auch ein wenig die Arbeit von Arthur de Pins, der erneut als Autor, Zeichner und Kolorist den Band umsetzt. Die Arbeiten von ihm waren bisher in deutlich neuer Cartonn-Manier gezeichnet, auch koloriert, besaßen aber auch einen deutlichen eigenen Strich, mit dem sich Arthur de Pins von anderen Comic-Schaffenden abhob. Hier beschreitet er den Weg in besonders künstlerischer Manier, beinahe ein wenig 60er, fast ein wenig Pop Art.
Die Farbwahl ist eher sanft, zart zu nennen. Grell springen einem die Farben nur in ganz seltenen Fällen entgegen: Sonnenbräune ist hier gleichzusetzen mit Sonnenbrand, entsprechend leuchtend präsentieren sich die Badegäste am Strand. Arthur de Pins setzt keine Außenlinien, eher Farbtrennungslinien und reduziert selbst diese auf das Nötigste. Neben den Vergleich mit der Pop Art lassen sich zur Veranschaulichung des grafischen Stils auch Bilder heranziehen, die aus zurechtgeschnittenen farbigen Papieren oder Kartons entstehen. Aber De Pins schneidet sehr fein und mit stilsicherem Auge, fast schon modisch, ein Talent, das sich auch bei seinen anderen Veröffentlichungen zeigt.
Neben kleinen Begebenheiten wie den Begegnungen der Menschen am Rande der Krabbenschicksalswege und den Abenteuern, die sich besonders zuspitzen, wenn die kleinen Quadratkrabben auf der Flucht sind, ist besonders das Finale bemerkenswert, für das sich Arthur de Pins wirklich etwas ganz Besonderes hat einfallen lassen. Die Einführung hin zu diesem Höhepunkt erfolgt relativ spät, aber das ist egal. Selbst bei früherer Herbeiführung der Handlungsfäden, die hier zueinander finden, wäre das Ende so nicht vorherzusehen gewesen.
Ein Comic, der ein Lachen produziert, einen mit einem Schmunzeln am Ende entlässt, der überrascht, fröhlich stimmt: Arthur de Pins ist ein kleines Kunststück gelungen. Comic, Märchen, Abenteuer, Komödie. Herrlich! 🙂
Marsch der Krabben, Buch 1, Unter erschwerten Bedingungen: Bei Amazon bestellen
Sonntag, 09. Dezember 2012
Professor von Klumpp sieht den nächsten Krieg kommen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Nach den vernichtenden Schlachten des Ersten Weltkrieges will der Professor mit seinem Gefolge zu einer Macht werden, die sich gegen alle europäischen Staaten stemmt. Von Klumpp ist kein Wohltäter, vielmehr agiert er mit äußerster Brutalität, um an sein Ziel zu gelangen, die Sammlung jener Artefakte, die zusammengenommen, ein ungeheures Potential bilden, das selbst die Götter fürchten. So ist es ebenfalls nur eine Frage der Zeit, bis die drei Schicksalsgöttinnen aufmerksam werden und aus den himmlischen Gefilden hinab zu den Menschen reisen.
Man stelle sich vor, es ziehe sich eine Art Vorhersage durch die Zeiten. Was geschrieben steht, erfüllt sich. Die drei Schicksalsgöttinen Urd, Skuld und Verdandi haben nicht immer richtig aufgepasst (oder sie haben ihre Aufgabe nicht immer ganz ernst genommen) und die Menschen haben diese Nachlässigkeit nun auszubaden. Mehr oder weniger. Autor, Zeichner und Kolorist Erik hat fast ein eigenes Genre erfunden (oder wenigstens einen neuen Seitenarm). Eine Historienfantasykomödie, in der die Götter nicht verrückt sind, aber wie Kinder in den Zeiten herumstöbern und spielen, neugierig herumschleichen und kommentieren.
Das ist frisch erzählt und durch die unterschiedlichen Blickwinkel und Zeitsprünge unvorhersehbar, durchweg spannend und unterhaltsam. Erik bemüht die humoristische Erzählweise, will nicht gänzlich tragend und korrekt sein, obwohl Erläuterungen am Fuß der Seite über jeweilige neue Begriffe informieren. Kleine Prologe geben blitzschnelle Auskünfte über einige Charaktere (die Göttinnen sind besonders gelungen), bevor es tief in die Vergangenheit geht, hin zu einem Kampfaufmarsch der 20. Augusta. Römische Legionäre bekriegen germanische Barbaren und erleben eine fürchterliche Überraschung. Nun, fast, denn beileibe nicht jeder Römer will sich ausgerechnet durch fremde Götter ins Bockshorn jagen lassen. Bei einem Volk, dessen Götterhimmel bereits randvoll ist, mag das nur allzu verständlich sein.
Langsam bildet sich eine Grundlage heraus. Erik springt von der Römerzeit ins Jahr 1928, in die Epoche der Conquistadores, ins Reich der Schicksalsgöttinnen und wieder zurück in die zweite Hälfte der Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts, die heute so gerne mit dem Begriff der Goldenen Zwanziger belegt werden. Vordergründig bekämpfen sich die unterschiedlichen politischen Richtungen handfest auf den Straßen, während hinter den Kulissen mythologische Artefakte eine neue Macht hervorbringen sollen, bereit, die Welt einmal mehr ins Chaos zu stürzen.
Die episodenhafte Erzählung, die Stück für Stück zu einem sehr großen Gesamtbild zusammengefügt wird, nimmt den Leser mit. Entweder steht ein Rätsel im Vordergrund, Spannung oder auch ein humoristisches Kabinettstückchen. Am Ende steht eine klare Front aller Akteure, von denen es sicher scheint, dass sie nur gegeneinander werden agieren können. Eine schnell herbeigeführte tragische Wendung untermauert diesen Eindruck mehr als nur deutlich.
Erik arbeitet sehr stilisiert, künstlerisch, dekorativ. Auch könnten seine Bilder, in der Tuschearbeit, wie sie beinahe segmentartig zu nennen ist, von einem künstlerischen Druckverfahren inspiriert sein. So entsteht (wie auch in der Krimiserie Dede) eine sehr eigene Optik, die einen hohen Wiedererkennungswert besitzt. Die Charaktere sind den Figuren durchaus ins Gesicht geschrieben, in bester Hollywood-Manier, die Guten, die Bösen, die Helden, die Schönen, die Hässlichen. In der Darstellung der historischen Finessen der unterschiedlich gezeigten Epochen zeigt sich Eriks Feinarbeit.
Besonders hervorzuheben sind die römischen Abstecher, die mittelamerikanische Episode und die Einführung der beiden jungen Leute, Chris und Mo, die mit ihrem Doppeldecker einen waghalsigen Stunt vollführen, der in einem sehr schwarzhumorigen Finale gipfelt. So stilistisch eigen der Zeichenstil ist, so eigen ist auch die Kolorierung, die sich durch die Auswahl der Farben nach verschiedenen Comic-Werken zu einem kleinen Markenzeichen entwickelt hat. Grundsätzlich blasser, mit vornehmlich kalten Brauntönen und Blautönen nimmt sich die Kolorierung hinter den Zeichnungen zurück. Das ist zuerst gewöhnungsbedürftig, vergleicht man mit Publikationen, die mit dem Farbtopf nur so um sich schmeißen, konzentriert letztlich aber auch enorm den Lesefluss.
Ein sehr schönes Konzept, sehr frisch, sehr durchdacht, sehr sympathisch umgesetzt, vollkommen auf gelungene und intelligente Unterhaltung setzend. Es funktioniert auf jeder Ebene. Mehr davon! 🙂
DEAE EX MACHINA 1, Jagd auf den blauen Jaguar: Bei Amazon bestellen
Was könnte einen Mann dazu veranlassen, sich den Bart abzurasieren? Sicherlich kann es nur eine hygienische Ursache dafür geben. Jedenfalls wird bestimmt keine Frau dahinter stecken. Und am allerwenigsten Marie. Nein, Marie, die fängt doch nichts Männern an. Und schon gar nicht mal eben so. So spricht es die versammelte und tratschende Männerschaft des Dorfes einhellig, lacht eifrig bereits beim bloßen Gedanken daran und ahnt gar nicht, wie sehr sie sich täuschen. Es ist eine neue Zeit angebrochen. Ganz langsam und schleichend, bringt sie laute und leise Veränderungen mit sich. Kleine Verwicklungen führen manchmal zu Späßen, auch deftiger Natur und die Freude breitet sich wieder aus. Nicht zuletzt Marie ist maßgeblich an diesem Umstand beteiligt, ist sie doch ins Dorf zurückgekehrt, ein fehlendes Rädchen, das endlich wieder an seinem Platz ist.
Man kann nicht direkt behaupten, dass Marie mit ihrer Rückkehr aus Montreal auch den Charleston mitgebracht hat. Niemand kann zum Tanzen gezwungen werden. Aber etwas hat sich verändert. Bei den Einwohnern des kleinen Dorfes. Und natürlich bei Marie. Sie hat ein Stück Freiheit aus Montreal mitgebracht. Marie lässt sich weniger einschränken, sie experimentiert, animiert. Der Charleston, ein Tanz, in jenen Tagen hoch beliebt, erreicht das Dorf und verwandelt kurzzeitig die Menschen und lässt sie den Alltag vergessen. So wie das Dorf den Neuankömmlingen aus der weiten Welt etwas geschenkt hat, so zeigt die Welt den Dörflern für einen Augenblick, wie das Leben auch aussehen kann.
Regis Loisel und Jean-Louis Tripp sind zurück im Nest. Einmal mehr gewinnen sie diesem doch sehr kleinen Flecken Erde neue Seiten ab. So abgelegen das Nest auch in Kanada versteckt liegt, so sehr finden Neuerungen doch den Weg dorthin. Das ist die eine Seite. Die andere Seite sind jene Menschen, die Männer des Dorfes, die viele Monate im Jahr einsam in der Wildnis verbringen, Bäume fällen und im Winter für den Sommer ranklotzen. Mit dem Einfall dieser zeitweise Fremden ändert sich ebenfalls vieles im Alltag des Dorfes. Kommt beides zusammen, ist das beinahe eine gesellschaftliche Revolution. Die allerdings nur sehr kurz währt.
In der 7. Folge der Reihe warten so Überraschungen auf den Leser, Verhaltensänderungen der bekannten Figuren, neue Geheimnisse, Wünsche deuten sich an. Es ist ein kleines Kunststück wie Loisel und Tripp ihre Dörfler doch noch immer ein weiteres Stück entblättern. In gemeinschaftlicher Arbeit haben sie nicht nur das Manuskript zur gesamten Serie verfasst, auch die Gestaltung geht einmal mehr beiden von der Hand. Die vier Tiere, die sich im Laufe der Zeit zusammengefunden haben, schaffen es hier in trauter Viersamkeit auf das Titelbild.
Stilistisch bewegen sich die beiden Künstler zwischen karikierend, niedlich, beinahe im Bereich naiver Kunst, aber auch intuitiv gezeichnet wirkend, obwohl ein starker kreativer Prozess der fertigen Seite vorausgegangen ist. Nahezu jede Figur drückt sich inzwischen durch ihre charakterlichen Eigenheiten aus, die ihr ins Gesicht, in die Haltung gelegt werden. Von heiter, freundlich, über verschroben, eigenbrödlerisch bis zu giftig, keifend ist scheinbar alles zu finden. Der Charleston wie auch die Bürgermeisterwahl des Dorfes bringt die Menschen auf ungewöhnliche Weise zusammen und lässt Szenen entstehen, die keiner Worte bedürfen und schlicht durch Haltung und Mimik erklären.
Eines der besten Beispiele ist die Anpassung eines Tanzschuhs, die in einigen Bildern eine kleine, feine Episode aus Menschlichkeit, Vertraulichkeit, auch Zärtlichkeit bereit hält. Es sind solche Szenen, die die Dörfler ein ums andere Mal einander näher bringen und auch neue Konstellationen schaffen.
Heiterer, sehr menschlich, mit Figuren, die sich entwickeln und wachsen und viele neue Facetten hervorbringen. Über den Tanz erreichen die Dörfler eine neue Dimension des Miteinander. Immer noch ein wenig nachdenklich, grundsätzlich vorbildhaft erzählt und illustriert. 🙂
Das Nest 7, Charleston: Bei Amazon bestellen
Dienstag, 04. Dezember 2012
Eine alte Fotografie führt zum Ziel. Eine Frau lehnt an einem Baum. Aus dem Schatten heraus blickt sie durch das spielerische Treiben auf der Wiese dem Fotografen geradewegs an. Ein freundlicher Tag liegt über dem Landgut im Hintergrund. An einem der vielen Fenster steht eine Gestalt, offensichtlich männlich. Ein Wappen markiert den Ort. Unwiderstehlich werden Stanislas und Bertille von diesem alten Gemäuer angezogen, magnetisch geradezu, alles hinter sich lassend. Doch dort angekommen, finden sie sich nicht nur wieder, es erwartet sie auch etwas derart Ungewöhnliches, dass es ihre kühnsten Vorstellungen übersteigt.
Ein romantisches Geheimnis. Laurent Vicomte entwirft ein mysteriöses Szenario. Ein fantastisches Geisterrätselmärchen wartet auf den Leser. Zum Mitraten. Miterkunden. Träumen. Frankreich, so scheint es, besitzt eine romantische Seele. Schlösser, insbesondere im Gebiet der weltberühmten Loire, locken den träumenden Touristen. Landstriche wie die Auvergne sind nicht nur gallischfreundlichen Comic-Fans ein Begriff. Laurent Vicomte hat sich den geschichtsträchtigen Landstrich für seine Geschichte ausgesucht, wenngleich er ganz normal im modernen Paris beginnt, mit einem Todesfall und einem unerwarteten Geschenk.
Der junge Mann, Stanislas, der dieser alten Frau begegnet, die kurz darauf in seinen Armen verstirbt, ist von diesem Ereignis derart betroffen und beeindruckt, dass er nach einem Fund einer alten Fotografie in den Taschen der Toten mit Nachforschungen beginnt. Und Stanislas wird fündig. Zusammen mit seiner Freundin Bertille mündet seine Suche auf einem verfallen Herrensitz. Als wäre die Erkundung des verlassenen Guts nicht schon geheimnisvoll genug, geschieht bald etwas außergewöhnliches.
Laurent Vicomte beschreibt eine Handlung, von der sich einmal nicht genau sagen lässt, wann die Pfade des Realismus verlassen werden und wann die Traumwelt endgültig Besitz von den beiden Hauptfiguren ergreift. Dies geschieht so einfach und so leicht, dass während des Lesens noch einmal zurückgeblättert wird, um all die verschiedenen Vorzeichen zu suchen, die allesamt vorhanden waren, sich dann aber nach einer Weile erst wie Puzzleteile zu einem Bild vereinigen. Laurent Vicomte, der den sämtlichen Entstehungsprozess des Comic-Albums übernommen hat, als Autor, Zeichner und Kolorist, setzt sein romantisches Abenteuer mit zerbrechlichen Grafiken um.
Die Anklänge zur versteckten Handlung, unter der Dramaturgie, das Spiel zwischen den Geschlechtern, amouröse Tendenzen, sind von Beginn an vorhanden. Hieraus könnte ebenso gut eine französische Komödie entstehen. Dennoch wandelt es sich zu einem verklärten Blick auf andere gesellschaftliche Normen, eine nicht immer praktische, aber wunderbar anzuschauende Mode und eine Zeit, in der noch durch die Blume gesprochen wurde. Gerade der modische Teil der Bilder und die peinlich genaue Umsetzung lassen annehmen, dass Laurent Vicomte eine nicht geringe Begeisterung für ein historisches Ambiente besitzt. Allein das Anlegen eines Kleides, eine regelrechte Verpackung, durchaus auch erotischer Natur, ist ein Kabinettstückchen für sich.
Laurent Vicomte stellt den romantischen Bildern, in denen die Zeit still steht, die Geschwindigkeit fehlt, jene Nachforschungen in jüngeren Tagen gegenüber, denn Stanislas und Bertille können nicht einfach so aus dem Leben verschwinden, ohne dass jemand nach ihnen sucht. Immerhin das haben sie der verstorbenen alten Frau voraus, für die sich niemand zu interessieren scheint. Eine aquarellartige und markerleichte Kolorierung lässt den Eindruck alter Postkartenmotive entstehen.
Ein Anhang zeigt die Entstehung des ersten Bandes des Vierteilers mit zahlreichen Skizzen unterlegt. Wie modische Einflüsse, auch bei Möbeln, Frisuren und in der Architektur das Flair dieser Geschichte prägen wird hier ganz besonders deutlich.
Romantik pur, selten in dieser Art im Comic zu finden, mit sehr schönen Bildern unterstrichen. Laurent Vicomte erzählt mit sehr viel Herz und Freude an einer vergangenen gesellschaftlichen Epoche. 🙂
Sasmira 1, Der Ruf: Bei Amazon bestellen
Montag, 03. Dezember 2012
Der Übungskampf der beiden Freunde Golias und Konios findet aufmerksame Beobachter. Golias nutzt den Moment der Unachtsamkeit seines Freundes und beendet den Kampf. Konios, dessen Blick an der Schwester des Golias hängen bleibt, kann nur verlegen lächeln. Aerena hingegen, das Mädchen, der die Aufmerksamkeit des Konios gilt, rümpft die Nase über den interessierten jungen Mann, kann allerdings nur schwerlich darüber hinwegtäuschen, dass hinter den ablehnenden Worten auch eine gewisse Sympathie steckt. Ihr Vetter Varon beobachtet das Geschehen voller Misstrauen.
Helden werden nicht geboren. Helden beschreiten einen Leidensweg. Golias, der Königssohn, muss alles verlieren, um ins Abenteuer zu finden. Und wie stets, wenn Helden sich aufmachen, damit das Gute siegt, scheint der Kampf bereits zu Beginn verloren zu sein. Dabei sieht es zunächst gut aus. Als Wunschkind in die königliche Familie geboren, könnte Golias den traditionellen Weg bis zum Thron beschreiten. Würden nicht in der Jugendzeit die Intrigen heranreifen, die sein Leben sehr bald in ein Chaos stürzen werden. Serge Le Tendre, hierzulande bekannt von Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit, rüstet als Autor seinen Helden mit jugendlichem Ungestüm aus, Kraft, auch Intelligenz, doch die Leidenschaft übermannt den Königssohn leider im falschen Augenblick.
Es ist bezeichnend, dass dieser jungen Mann durch Verteidigung in die Ecke gedrängt wird und nicht der Angriff es ist, der ihn ins Verderben stürzt. Sein Einsatz zur Rettung seiner Schwester ist der Auslöser für den Niedergang seiner Familie. Der Held muss nicht nur ein wenig verlieren. Er muss alles verlieren. Autor Serge Le Tendre hält sich strikt an diese Vorgaben, lässt Golias nur ein paar wenige Freunde und eine letzte, sehr vage Möglichkeit, um die Lebenssituation zum Guten zu wenden.
Es sind nicht die Könige, die Alten, die das Schicksalsrad in Bewegung setzen, es sind die Jugendlichen und eine Mixtur aus Liebe, Trieben und Eifersucht, die sämtliche Figuren der Tragödie näher bringen. Aerena, die Schwester von Golias, und Varon, der Vetter, sind aneinander geschmiedet. Aerena will keine Beziehung zum dem etwas schmierigen jungen Mann. In verschiedenen Schlüsselszenen werden gerade durch diese beiden die Weichen für das weitere Drama gestellt.
Da die Geschichte nicht, wie vielleicht dem Genre-Fan aus anderen Publikationen her bekannt, mit wilden Kämpfen die Aufmerksamkeit auf sich zieht, sondern das familiäre Geflecht immer dichter webt, kann sich Zeichner Jerome Lereculey regelrecht in die einzelnen Charaktere versenken und mit zahlreichen Emotionen spielen. Optisch dem Realismus verschrieben, auch dem Perfektionismus, gehört Jerome Lereculey zur Oberliga europäischer Comic-Künstler. Seine Arbeit ähnelt aber auch etwas denen eines Brandon Peterson oder Steve Epting (die beide in fantastischen Themen bei CrossGen arbeiteten).
Im Realismus von Jerome Lereculey blinzelt aber auch ein klein wenig der heitere Strich aus der Disney-Ecke hervor, der besonders bei Ganoven und einer ganz bestimmten Kreatur sichtbar wird. Die Strix, eine kleine giftige Echse, die auch dem Star Wars Universum entsprungen sein könnte (Stichwort: Salacious Crumb), fällt aus dem Rahmen, der ansonsten sehr naturgetreu gestalteten historischen Kulisse. Auch im Gauner Bolos, dem einzigen Menschen, der die Strix anfassen darf, ohne gebissen zu werden, finden sich eher humorvolle Ansätze in der Darstellung.
Die Kolorierung von Stambecco, sehr gedeckt und besonders in nächtlichen Szenen besonders schön anzuschauen, malt ein feines Bild eines südlichen Griechenland, paradiesisch zuerst, später immer düsterer und höllischer werdend.
Ein schönes Historienabenteuer, fesselnd erzählt und mit zwei treffend sympathischen Hauptfiguren, Golias und Konios, versehen. Der Auftakt des mehrteiligen Abenteuers liest sich flüssig, ist wunderbar anzuschauen dank des technisch versierten und sehr talentierten Zeichners Jerome Lereculey. 🙂
GOLIAS 1, Der verlorene König: Bei Amazon bestellen