Mircea hatte zuvor einen besseren Reisebegleiter durch die Stadt. Diese Kreatur, ausgezehrt, gehörnt, ohne Beine, dafür mit einem schlangenartigen Ende versehen, scheint ihn außerdem zu verhöhnen. Nichts von dem, was er in diesem Augenblick erlebt, kann real sein. Und doch fühlt es sich so an. Das Licht, der schwankende Boden, die Dämpfe, die Leere, die Weite und die anderen bedrohlichen Wesen, die nur aus dem Alptraum eines anderen entstammen können. Aber Mircea gelingt es nicht, diese Situation abzuschütteln. Im Gegenteil zieht es tiefer und immer tiefer, bis es kein Entkommen mehr zu geben scheint.
Ein Vampir definiert sich nicht nur über seine Sucht nach Blut. Ein Vampir will die Kontrolle. Blut ist ein Beiwerk, ein Lebensspender vielleicht, auch ein Instrument der Angst. Doch die wahren Beweggründe lassen sich schlicht zusammenfassen: Kontrolle. Autor und Zeichner Georges Bess schickt seinen Helden, den Fotojournalisten Mircea, in eine geradezu groteske Hölle, oder auch in die Simulation einer solchen. Vielleicht ist es ein Rausch oder ein Fiebertraum. Georges Bess selbst fantasiert seine hier entworfene Hölle nicht einfach so. Wer dieses Konstrukt betrachtet, eine architektonische Höchstleistung, wird vielleicht Vorbilder wie M. C. Escher oder den wahrscheinlich weniger bekannten Giovanni Battista Piranesi erkennen.
Gerade die Bilder zum Thema Kerker (denn nichts anderes entwirft Georges Bess hier auch) des bereits 1778 verstorbenen Giovanni Battista Piranesi besitzen diese theatergleiche Inszenierung und Gigantomanie, die Georges Bess auch hier anwendet. Ein scheinbar unendlicher Raum, in dem Geraden und Krümmungen aufeinandertreffen. Die Tiefen der Abgründe sind nicht bis zum Boden auszumachen. Exaktheit mit vortrefflich geplanter Architektur trifft auf vollendete Verrottung. Wo eben noch eine wunderbare hölzerne Konstruktion den Weg ebnete, wartet auf den Helden plötzlich eine beinahe unbegehbare Hängebrücke. Das Licht der Umgebung taucht alles in ein blutiges Rot. Gleißende Lichtstrahlen vergittern und durchschneiden einzelne Passagen.
Doch damit entwirft Georges Bess nur die Umgebung. Inmitten dieses richtungslosen Alptraums (für den, der sich darin bewegen muss) tauchen Kreaturen auf, die zwischen den Entwürfen von Monstern aus der Entwicklungsriege eines Sam Raimi und dem Wahnwitz eines Fiebertraums rangieren. Über der Gewalt, die diese Figuren ausstrahlen, vergisst Bess auch nie eine Prise Humor einzustreuen. Wenn er Dämonen wie Königin Victoriaarrangiert oder sie mit dem Gesicht einer Bulldogge auftreten lässt, gleichzeitig hochherrschaftlich ausstaffiert, dann blitzt etwas aus der MAD-Vergangenheit des Illustrators durch.
Georges Bess konzentriert mit wenigen Bestandteilen innerhalb seiner Dämonenbilder den Blick des Betrachters. Kein Strich ist zuviel, kein Farbauftrag lenkt ab. Dieses Prinzip setzt er gekonnt ein. Seine Grauengestalten lassen sich ansehen, der Schrecken ist halb verborgen, lässt Raum für eigene Vorstellungen, von denen man lieber nicht wissen will, ob sie sich bewahrheiten. Mit dem Auftritt einer Höllenkreatur, die nicht mehr als ein Kopf ist, erinnert er nicht nur in der Konzeption an den Herrn der Fliegen, der geheimnisvolle Auftritt ist eine der gruseligsten Passagen in dieser Geschichte.
Weiterhin vortrefflich grafisch gestaltet. Georges Bess ändert die Richtung des Geschichte, wird surrealistischer, mystischer, in Anlehnung an Vorlagen aus Kunst und Kultur. Der gezeigte Alptraum lässt die im zweiten Handlungsstrang eingefügte reale Geschichte fast nebensächlich werden. Aber eben nur fast. 🙂
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