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Comic Blog


Dienstag, 19. Juni 2012

Der Vampir von Benares 1 – Die Bestien der Nacht

Filed under: Horror — Michael um 9:33

Der Vampir von Benares 1 - Die Bestien der NachtEine alte, auch verseuchte Welt. Die ersten Eindrücke des Fotografen schwanken zwischen Faszination und Ekel. Die Gläubigen baden im Ganges, einem Fluss, in dem Wasser noch das geringste Element zu sein scheint. Aus England kommend, der ehemaligen Kolonialmacht, schießt Mircea seine ersten Fotos, deren Motive wie eine Aussicht in lebendige Vergangenheit anmuten. Aber auch hier ist die Moderne angekommen. Rinder lassen sich kostenlos fotografieren, jede Aufnahme eines meditierenden Yogis ist für ein paar Rupien zu haben. Fotos sind nicht der eigentliche Grund für Mirceas Aufenthalt in Indien. Er ist hier verabredet, doch bevor er sein Ziel an der Seite eines der vielen Stadtführer erreichen kann, ereilt ihn mit einem terroristischen Anschlag die brutale Realität.

Die Bestien in der Nacht: Benares, am Ufer des mächtigen Ganges gelegen, ist eine Stadt, die selbst in dieser Neuzeit Legenden nährt. Eine Stadt, die anders ist, geheimnisvoller, alt, verwittert. Eine Stadt, die sich der Neuzeit unterschwellig verweigert. Auch eine Stadt, die mit der Zeit gehen will und ihre Geheimnisse, so sie denn der Wahrheit entsprechen, lieber für sich behält und der Öffentlichkeit das erzählt, was sie hören will. Was möglicherweise das Beste ist. Georges Bess taucht mit Der Vampir von Benares in das Indien ein, das auf westliche Beobachter bei aller Problematik immer noch exotisch wirkt. Bess hat sich durch eine Vielzahl von Zusammenarbeiten mit Alejandro Jodorowsky auch mit dem Phantastischen befassen können. In dieser Geschichte beweist er, dass er keinen Szenaristen benötigt, um den Leser zu fesseln.

Es beginnt realistisch. Ein Mann gerät wegen seiner kriminellen Machenschaften in Schwierigkeiten, wird zusammengeschlagen und wie Abfall entsorgt. Seiner Kleidung beraubt erwacht er, umringt von einer Horde aggressiver Affen. Der Mann will leben. Das erste angreifende Tier tötet er und trinkt das Blut des Affenmännchen in einem wahnhaften Anfall. Würde die Geschichte in dieser Weise weiterverfolgt, bliebe es ein solider Thriller. In der Vorgehensweise von Georges Bess wird eine vielschichtige Geschichte daraus, die sich mit dem Land und seinen Eigenheiten beschäftigt, sorgsam mit mysteriösen Elementen gewürzt ist (deren Gewichtung immer mehr steigt) und grafisch mit einer tollen Bildkomposition überzeugt.

Georges Bess ist ein realistischer Zeichner, gleichzeitig aber auch dem Minimalismus zugeneigt. Kleinste Striche, auch starke Schattenflächen sorgen in einer skizzenhaften Technik für Ausdruck und Form. Bess trifft die Gesichter seiner Figuren auf das Feinste und scheut auch nicht Ansätze der Karikatur. Wer die Handlung verfolgt, wird auf einen Charakter stoßen, dessen Äußeres dem Autor Salman Rushdie entlehnt ist. (Und Rushdie dürfte nicht der einzige sein, der hier ein reales Vorbild hat.) Bess reist mit dem Auftakt der kleinen Reihe in eine vergangene, nicht nur geografisch betrachtet ferne Welt. Apparaturen wie moderne Kameras, Mobiltelefone oder Laptops sind vor der Kulisse eines verfallenen Benares Fremdkörper.

In diese Wildheit hinein entsteht Der Vampir von Benares, eigentlich ein Mensch, innerlich jedoch ein wildes Tier, unmenschlich und doch bei aller Gewalt in seiner Gestalt auch etwas lächerlich. Denn der Vampir ist nicht nur nackt unterwegs, seine Statur, mager, ausgezehrt, ist alles andere als bedrohlich wirkend. Bess spielt mit der Erwartungshaltung des Lesers, auch der Mythen und modernen Erzählungen zum Thema, in denen die Vampire immer schöner, ätherischer anzuschauen wurden. Georges Bess, der künstlerisch bei den Traditionalisten einzuordnen ist, einem frühen Jean Giraud, einem Christian Rossi oder auch einem Derib, bildet mit dem Blick eines Dokumentarzeichners ab.

Mit diesem Blick erfasst er die Menschen ebenso scharf wie die Kulissen, die angesichts alter Tempelanlagen, dem leicht verruchten Ambiente, über das ein Indiana Jones sich gefreut hätte. Sobald das Phantastische in der Geschichte immer mehr die Oberhand gewinnt, wird es so wie jedes andere Element der Handlung angenommen.

Eine meisterliche Erzählung aus der Feder eines Comic-Veteranen. Eine gelungene Ortswahl, exotisches Flair, eine mystische und abenteuerliche Atmosphäre, Grusel und sogar blanker Horror machen aus der Geschichte von Georges Bess einen ungewöhnlichen Thriller. Nicht nur für Fans unheimlicher Comics. 🙂

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