Tuberkulose. Kein Todesurteil, so doch eine Diagnose, die für unendliche Qual stehen kann, an deren Ende sich so mancher Patient wünscht, es wäre endlich alles vorbei. Als Doris, einstmals von der Tuberkulose geheilt, mit ihrer kleinen Tochter Cora in die Klinik von damals zurückkehrt, hofft sie noch. Aber ihre Hoffnung ist trügerisch. Die Diagnose zwingt Doris, ihre Tochter in Behandlung zu geben. Da sie kein Geld hat, bietet sie an, als Krankenschwester zu arbeiten. Zunächst verläuft alles in einem normalen Rahmen. Bald mehren sich die Merkwürdigkeiten. Die Behandlungsmethoden machen stutzig. Wohin verschwinden die Leichen? Und wer sind jene Menschen, mit denen Cora spricht und die ansonsten niemand zu sehen scheint?
Der ganz normale Wahnsinn eines Krankenhauses. Und mehr. Heilanstalten der besonderen Art sowie verabscheuungswürdige Versuche an Menschen sind leider keine Erfindung von Horrorautoren, vielmehr sind sie, wie hier, auch Teil der amerikanischen Geschichte. Der Kampf gegen die Tuberkulose ist inzwischen zu gewinnen. Die Therapiemöglichkeiten liegen fern der Barbarei, die hier teilweise beschrieben wird. Unkenntnis war ein Grund. Christophe Bec zieht aber noch ein weiteres Motiv für die abertausende Toten heran, die hier die sehr abseits gelegene Klinik nicht lebend verlassen: Gier. Jeder Patient bedeutet Geld, jedes eingesparte Medikament und dennoch berechnete Arzneimittel sorgt für volle Geldbeutel. Aus dem ganz normalen Verbrechensszenario wird jedoch blanker Horror.
Nicht alle Ärzte dieser Heilanstalt sind ehrbar, nicht alle sind im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte oder besitzen jenes Quäntchen Gefühl, das gemeinhin als Mitleid bekannt ist. Hier driftet Christophe Bec in die Szenarien von Horrorhäusern, die von Autoren und Filmemachern thematisiert wurden, aber immer irgendwie funktionieren. Isolation, Hilflosigkeit, enge Räume, abgeschlossene Räume, Dunkelheit, verbotene Gänge, Geheimnisse, irrsinniges Pflegepersonal, krankhafte Behandlungsmethoden und natürlich perverse Ärzte in unterschiedlichen Fachbereichen. Für den Leser ist besonders erwähnenswert, dass diese Ärzte als Chirurgen und Psychiater arbeiten.
Doch noch befindet sich Christophe Bec mit diesen Zutaten in einem durchaus realistischen Szenario, bei allem Wahnsinn, der hier vorherrschen mag. Doch wo tausende von Menschen sterben, kommt es zuweilen zu Eindrücken sehr sensitiver Beobachter. Und so muss die kleine Cora, die von ihrer Mutter zur Heilung in diese Anstalt gebracht wird, feststellen, dass die Körper der Toten die Klinik verlassen haben, ihre Geister jedoch noch nicht mit diesem Ort abschließen konnten. Christophe Bec ist als Comic-Autor dafür bekannt, seine Genres zu kennen. Entsprechend steigt die Spannung mit jeder Seite. Da er weiß, wie Horror funktioniert, kann Christophe Bec mit den Regeln spielen.
Stefano Raffaele ist ein Comic-Künstler, der ganz auf Becs Linie ist. Realismus in den Zeichnungen steht im Vordergrund. Atmosphärisch müssen die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts eingefangen werden. Durch die Abgeschiedenheit der Klinik, die zwangsläufig außerhalb von Siedlungen angesiedelt ist, da Tuberkulose hoch ansteckend ist, entsteht eine optische Mischung aus Gruselschloss, weiter und wilder Natur und dem Flair der 50er, die sich hier durch Kleidung, Innenausstattung und Fahrzeugen ausdrücken.
Christophe Bec gibt einige Szenen und Sequenzen vor, die das (rückblickend betrachtet) Lebensgefühl jener Tage einfangen. Aber Geisterbilder werden von Stefano Raffaele perfekt illustriert. Der wirklich harte Stoff sind einige wenige, dafür eindrückliche Szenen, die die Verfahrensweise von Operationen einfangen und während der Lektüre für ein betretenes Schlucken sorgen.
Das erwähnte Gruselschloss kann der Leser gleich auf dem Titelbild des Sammelbandes erkennen. Olivier Peru hat die drei Titelbilder der Einzelalben gestaltet (jeweils den einzelnen Abschnitten vorgesetzt) und liefert hiermit wahrhaft kinotaugliche Eindrücke, die sicherlich nicht uninspiriert von einigen Japan-Schockern (oder ihren amerikanischen Adaptionen) sind. Die Kolorierung der Zeichnungen von Stefano Raffaele durch Marie-Paul Alluard ist in der zweiten und dritten Episode abweichend zum ersten Akt. Zuerst verwendet sie noch feine Strukturen und Aquarelleffekte, bevor sie später zum säuberlichen Airbrushauftrag (per Bildbearbeitungsprogramm) übergeht. Beides verfehlt seine Wirkung nicht. Was schöner ist, muss der Leser für sich entscheiden.
Eine sehr dichte Erzählung von Christophe Bec, mit ein wenig japanischem Flair in der Handlung. Als Autor schont er seine Hauptfiguren nicht, noch gönnt er ihnen eine Verschnaufpause. Dies ist eine Achterbahnfahrt in den Abgrund, ohne die Möglichkeit einer Erlösung. Stimmig und atmosphärisch von Stefano Raffaele gezeichnet. Gruselige Unterhaltung garantiert. 🙂
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