Ist es nicht zivilisierter, wenn die Soldaten zu Hause bleiben und nur ausgewählte Duellanten den Kampf austragen? Kommen nicht viel weniger Menschen zu schaden? Blut fließt sicherlich, aber nur das Blut von wenigen, während viele ihr normales und geschütztes Leben weiterleben können. Die Duellanten, so tödlich ihr Beruf auch sein mag, sind eine angesehene Kaste, die eine gestrenge Ausbildung durchläuft, bevor der erste offizielle Zweikampf stattfindet. Das System könnte funktionieren, bestände nicht die Möglichkeit, dass sich auch Freunde im Duell begegnen. Oder sogar Eheleute. Als im frühen 17. Jahrhundert der maskierte Horacio D′Alba auf seinen Widersacher trifft, ahnt er nicht, dass es sich um seine Frau handelt. Die er töten wird.
Jerome Le Gris hat sich für seine Handlung eine eher seltene Epoche und auch ein in Comics eher stiefmütterlich behandeltes Land ausgesucht. Vor der ausgehenden Renaissance entspinnt sich ein kultureller Wandel, in dem das System der Duelle von Nachbarstaaten zunehmend barbarisch empfunden wird und der rote Kardinal, der eigentliche Machthaber im Vatikan, nur darauf wartet, mit seinen Truppen der Barbarei ein Ende zu bereiten. Im Land selbst sind Strömungen entstanden, die ein Ende dieses Systems verlangen. Doch solche, die davon betroffen sind, die Duellanten, trachten danach, dies zu verhindern.
Ehre: Ein Duellant führt ein sehr diszipliniertes und ehrenvolles Leben. Entsprechend manierlich treten die Männer und Frauen auf. Sie sind gebildet und für den Kampf trainiert worden. In gewissem Sinne gehören sie zur Elite ihres Landes. Jerome Le Gris schildert die politische Struktur wie auch die einzelnen Charaktere, die für und wider der gesellschaftlichen Normen agieren mit großem Fingerspitzengefühl. Er schafft innere Dramen, setzt seine Figuren geradezu wie auf einem Schachbrett in Position. Kaum eine Szene, so scheint es, vergeht, ohne dass die einzelnen Charaktere taktieren. Wie so oft geht es um die Macht, darum, wer sie hat, haben will und wer sie behält.
Neben der sehr ausgefeilten Erzählung, der man nicht nur mit Spannung, sondern auch mit hohem Interesse an den Einfällen folgt, überzeugt Nicolas Siner mit seinen ebenfalls höchst realistischen Illustrationen, die in einer Mischung aus europäischem und amerikanischem Ausdruck brillieren. Feine Gesichter unterstreichen jede einzelne Figur sehr individuell. Eine ebensolche Ausstattung macht aus dem Comic vor der Kulisse eines altertümlichen Italiens, einer toscanischen Atmosphäre einen klassischen Kostümfilm auf Papier.
Finstere Treffpunkte, weitläufige Paläste, Duelle und Truppenaufmärsche. Präzise, sehr fein ausgeführte Striche füllen die Seiten effizient, manchmal mit einem Maximum an Information. So betrachtet verdient der erste Band der Trilogie fast schon das Wort Bildroman, präsentiert sich doch hier eine Geschichte, die sich ausführlich der Beschreibung der vorherrschenden Gesellschaft ergibt und gleichzeitig ihren Charakteren immer neue Nuancen hinzufügt. Ein schönes Beispiel ist das Projekt eines der Duellanten neue Schrifttypen für den Buchdruck zu kreieren. Wenig später muss der Mann, der seiner Nachwelt etwas hinterlassen will und so viel mehr leisten könnte, in einem Duell sein Leben riskieren.
Die exakte Tuscheführung wird durch eine plastische wie auch künstlerische, auf Effekte setzende Kolorierung begleitet. Dämmerungen, Sonnenaufgänge, nächtliche Innenräume in Kerzenlicht getaucht: In diesem Land, in dieser Geschichte ist jede Szene optisch ein wenig verzaubert.
Ein sehr schöner, ungeheuer stimmiger Auftakt mit einem ungewöhnlichen, frischen Thema. Für Historienfans, die eine Vermischung von wahrer Geschichte und Fantasie mögen, mit realistischen Illustrationen, unsentimental und packend erzählt. 🙂
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