Der junge Mann erkennt die Frau sofort wieder. Sie hat Schuld daran, dass er nicht mit seinem Vater auf See sein kann, sondern auf dieser Insel im Müßiggang auf die Rückkehr des Schiffes warten muss. Er greift sich die nächstbeste Waffe, übersieht sogar die Pracht seiner Umgebung, rennt an den Strand, um dort regelrecht übermannt zu werden und seine Rachsucht erstickt zu sehen. Alles wegen einer Frau, wegen der Frau, gegen die nicht nur er machtlos ist.
Hass ist die treibende Kraft. Liebe spielt eher eine untergeordnete Rolle. Allenfalls Leidenschaft spornt die einzelnen Menschen, jeden auf seine Weise, an. Entstand zu Beginn der Reihe noch das Gefühl, als sei des Piraten oberstes Gebot, Reichtum zu mehren und deshalb Schiffe zu überfallen, wandelt sich dieses Bild mit der Fortsetzung gehörig. Jeder einzelne Charakter trachtet nach seiner persönlichen Rache. Dona del Scuebo, die als Sklavin verkauft wurde, frönt ihrer Rache täglich, indem sie ihren Herrn erniedrigt und zum Gespött macht. Andere müssen noch ein wenig warten, bis sie am Ziel dieser Wünsche sind. Mit der Landung des Kapitäns Morkam (siehe Titelbild) setzt sich eine immer schneller ablaufende Spirale in Gang.
Feinde treffen wieder aufeinander: Autor Jean Dufaux entschlüsselt einige Motivationen seiner Figuren. Manche sind edler Natur, aber nicht uneigennützig. Die meisten wollen ein Ziel erreichen und verletzen auf diesem Weg mit Worten und Waffen. Nur wenige halten sich vornehm im Hintergrund und harren der Dinge, die da bald ausbrechen werden. Dufaux betitelt die zweite Folge mit Narben. Ebenso gut hätte er es Tanz auf dem Vulkan nennen können.
Das Netz aus Begierden und Abstoßung wird von Jeremy weiterhin brillant in Szene gesetzt. Es wirkt wie eine Vervollkommnung eines Manga-Stils, mit mehr Nuancen allerdings. Beste Beispiele sind die Figuren von Mr. Flynn und seines Mündels, die auch in entsprechenden Manga-Genreproduktionen eine herausragende Stellung einnehmen würden. Neben der sehr realistischen Darstellung von Menschen lebt die Geschichte von einer sehr schön gestalteten Ausstattung, modischen Ansichten jener Epoche und natürlich dem Flair einer karibischen Insel, die jedoch nur oberflächlich eine Idylle ist.
Doch bevor es in die Wildnis geht, überrascht Jeremy mit den Spitzen der Zivilisation jener Tage, die sich besonders in Gotteshäusern äußerte. In aller Pracht zeigt uns der Künstler den spanischen König vor einer Altarwand, im Gebet versunken, bevor die Handlung, weitaus gruseliger, an ein Totenbett fortschreitet und den Grundstein für spätere Ereignisse gelegt werden. Eindringlich lassen sich diese Bilder nennen, die das Piratengenre hervorragend aufgreifen. Sie besitzen auch ein romantisches Element, ein furchtbares und nehmen, moderne Stoffe kommen selten ohne aus, eine sexuelle Komponente hinzu, die mal mehr, mal weniger stark thematisiert wird.
Das Finale soll hier natürlich nicht verraten werden. Dennoch verdient es eine ausdrücklich Erwähnung, da es optisch wie erzählerisch höchst gelungen, spannend inszeniert und ineinander verschachtelt ist. Hier haben sich Dufaux und Jeremy zweifellos von filmischen Techniken inspirieren lassen. Der Eindruck ist sicherlich modern zu nennen, aber auch passend, der der Szenerie Schnelligkeit verliehen wird, ohne den Leser zu hetzen. Im Gegenteil fügt Dufaux auch bremsende Elemente ein, die zum Schmunzeln einladen, während es parallel dazu um Leben und Tod geht. Damit trifft Dufaux jedoch das Herz vieler Piratenerzählungen.
Weiterhin packend erzählt: Dufaux präsentiert Einzelschicksale, Rachegeschichten und baut im Hintergrund an politischen Plänen, von denen einige Charaktere noch nicht einmal ahnen können, dass sie darin verstrickt werden. Bestens und mit viel Liebe zum Genre von Jeremy illustriert. 🙂
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