1276 Seelen. Ist es jedoch nur Wahnsinn über den Tod der Menschen, die einem mitleidlosen kriegerischen Akt im Shenandoah Valley zum Opfer fielen? Oder steckt hinter dem brutalen Verhalten des ehemaligen Gottesdieners noch mehr? Für Blueberry spielen die Motive keine Rolle. Für ihn ist es nur wichtig, rechtzeitig an Ort und Stelle zu sein, um die Nichte eines hochrangigen Nordstaatenoffiziers zu befreien. Jim Thompson, der falsche Prediger, geht über Leichen. Sein Wahn wird nur durch die Berechnung seiner Anhänger übertroffen, die sich von seiner Gefolgschaft einen Vorteil versprechen. Kaum am Ziel angekommen, sticht Blueberry in ein Wespennest. Er ahnte, dass seine Aufgabe nicht leicht werden würde, doch mit dem Fanatismus der Menschen um ihn herum hat er nicht gerechnet.
Eine ungewöhnliche Atmosphäre: In zwei Abenteuern erzählt Francois Corteggiani einen Western, der Elemente einer Gruselgeschichte aufweist. Zuerst ist es nur der grauenhafte und völlig verblendete Fanatiker, der in 1276 Seelen sein Unwesen treibt. In der abschließenden Geschichte Erlösung hingegen steht Blueberry plötzlich ein Charakter zur Seite, mit dem er nicht gerechnet hat: Einer Hexe. In dieser Mischung fühlt man sich an verschiedener Figuren erinnert. Einerseits könnte der böse Reverend aus Poltergeist 2 für den Prediger Jim Thompson Pate gestanden haben. Andererseits hat das energische, sehr emanzipierte Auftreten der Hexe Ähnlichkeiten zur Figur der Ellen aus Die Säulen der Erde.
Corteggiani spielt mit dem Hexenmythos und Michel Blanc-Dumont, der bislang letzte in der Nachfolge von Jean Giraud als Zeichner der Western-Reihe, zeigt dem Leser nicht nur eine schöne Hexe mit feuerroten Haaren, er lässt sie auch in einer sehr stilechten Hütte leben, die aber echte Kerle (zu denen Blueberry gezählt werden darf) nicht abschreckt. Diese Umgebung strahlt eine Niedlichkeit aus, die sich im Rest der Gesamthandlung um den wahnsinnigen Prediger nicht noch einmal findet.
Blanc-Dumont zeigt eine harte Western-Welt, die schmutzig ist und armselig. Einzig in den feineren Unterkünften in den Städten, dort, wo die Militärs residieren und von fern versuchen, die Geschicke der Nation zu lenken, herrscht die die offensichtliche Zivilisation. Der Rest scheint im Hinterwäldlertum unterzugehen. Blanc-Dumont zeichnet Gesichter, die, so sie nicht ein langes Leben hinter sich haben, so doch vieles erlebten. Die Kleidung ist durchweg trist, Uniformen der Nordstaaten bilden einen Farbtupfer, die Haare der Hexe ebenfalls. Aber auch im Detail steckt Farbe, allerdings ist diese nicht so schön anzuschauen. Hier schließt sich der Kreis hin zu den Gesichtern: Es kommt der Zeitpunkt, da der Prediger seinen Wahnsinn in den Augen anderer gespiegelt sieht, gesteigert durch noch mehr Hass. An dieser Stelle wird die Stimmung teils mittelalterlich, teils sogar apokalyptisch.
Erlösung: So lautet der Titel des abschließenden zweiten Teils. Ein Titel, der eher höhnisch zu verstehen ist, denn erlöst wird hier niemand, allenfalls gerettet. Blueberry, der dank Blanc-Dumont in einem sehr fragilen Zeichenstil wirklich wahrhaft jung aussieht, findet selbst diese Erlösung nicht. Für ihn bleibt nur die Wut, bestenfalls die Enttäuschung über die neuerliche Ausnutzung seiner Person und seiner Gutmütigkeit. Corteggiani gibt dem Leser einen reichlich desillusionierten Blueberry, der sich auch mit einem Erfolg seiner Mission kaum trösten kann.
Ein ungewöhnlicher Zweiteiler um die Jugend von Blueberry, vor dem Hintergrund des Bürgerkrieges, ohne diesen aber direkt einzubeziehen. Spannend, auch hart, unterhaltend. Auf die neuen Ideen des Duos Corteggiani und Blanc-Dumont im nächsten Jahr darf man gespannt sein, denn hier enden erst einmal alle bisher erschienenen Blueberry-Abenteuer. 🙂
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