Tina Modotti. Schauspielerin, Fotografin, Künstlerin, Kommunistin. In Mexiko kommt die junge Frau, die bereits einen langen Weg hinter sich hat, mit einigen faszinierenden Menschen zusammen. Einige sind Visionäre. Manche sind nicht gut für sie. Als sie 1923 mit dem Fotografen Edward Weston nach Mexiko geht, hat die im Jahre 1896 geborene Frau schon drei Filme gedreht. Es ist eine Zeit, auf die sie rückblickend betrachtet nicht stolz ist. Das Abkommen, das sie mit dem Fotografen schließt, ist einfach. Er bringt ihr den Umgang mit der Fotografie bei. Sie erledigt für ihn den Haushalt und kümmert sich um seinen Sohn. Und um den Fotografen selbst.
Es ist eine Zeit des Umbruchs, in der sich die künstlerische Linke in der Nähe von Tina Modotti aufhält. Es ist eine Zeit der Ideen. Es ist auch eine Zeit der Risiken. Modotti liebt, wen sie mag. Gerüchte scheren sie nicht. Nicht immer ist sie glücklich. Sie muss erleben, wie ihr Geliebter Julio Antonio Mella eines Nachts auf offener Straße neben ihr erschossen wird. Die Polizei glaubt nicht an eine unbeteiligte Modotti. Die Zeitungen stürzen sich auf diesen Fall. Eine Kommunistin, die nicht nur Fotos macht, sondern auch selbst als Aktmodell gearbeitet hat, im Zusammenhang mit einem ungeklärten Mordfall ist ein gefundenes Fressen.
Der Kommunismus führt sie schließlich nach Moskau. Weit entfernt von der Fotografie, die sie einst liebte, widmet sie sich der Kommunistischen Internationalen. Doch das Leben treibt die nicht müde werdende Frau weiter, nach Spanien, in den Krieg und weiteren Schicksalsschlägen entgegen.
Eine Frau des 20. Jahrhunderts: Lange bevor technische Errungenschaften das Leben erleichterten, auch eine Vorschau dessen abbildeteten, was es jenseits des eigenen Horizonts gab, als Ideologien noch einen hohen Stellenwert besaßen, lebte Tina Modotti ein unstetes, aber auch faszinierendes wie später ein gefährliches Leben. In allen Abschnitten strahlt aus dieser Lebensgeschichte ein großer Enthusiasmus, ein starker Lebensdrang hervor und der Wunsch, etwas Wichtiges zu leisten. Aus der Schauspielerin wird die Künstlerin, später die Kommunistin, sogar an vorderster Front in Spanien. Modotti liebt die Männer und sie lieben sie, aber Modotti hätte auch ohne sie auskommen können.
Angel de la Calles spürt dem Lebensweg der Modotti nach, durchaus auch mit Bewunderung, wenn man dem Stil, den Worten und der Atmosphäre dieser Spurensuche glauben darf. Diese Frau, die im Krieg vom Tod der Mutter erfuhr, drei Monate, nachdem diese gestorben war. Die einstige Künstlermuse nimmt die Gefahren eines Krieges auf sich, obwohl sie niemand dazu zwingt. Am Ende muss sie doch vor den Faschisten fliehen, wie viele andere auch. Auf rund 250 Seiten erzählt Angel de la Calles Modottis Leben in einfachen Bildern, schwarzweiß, mit dicken Strichen, eindringlich, ausschnitthaft. So will diese Graphic Novel auch gesehen werden, mittels Augenblicken, kleinen und schnellen Eindrücken.
Ausgewogen zwischen der Erzählung, die Fakten und historische Vermutungen beschreibt, und Dialogen, die mit Möglichkeiten spielt, liefert die vorliegende Biographie ein breites Bild jener Epoche zwischen 1923 und 1942, in der sich langsam neue Weltordnungen gegeneinander aufstellten und der Zweite Weltkrieg schließlich ausbrach. Es ist ein Blickwinkel eines Menschenlebens, das diese Spirale von verschiedenen Plätzen der Erde, an der Seite unterschiedlichster Menschen erlebte. Das wird grafisch den Comic-Fan vielleicht nicht beeindrucken, ist aber in seiner Komplexität und mit all den gesammelten Erlebnissen höchst spannend.
Kein langes Leben, aber ein aufregendes, ein kämpferisches, unruhiges. Eine Biografie, die berührt und mitreißt. Angesichts der Komplexität, auch der Stärke dieser Frauenfigur ist es verwunderlich, dass sich noch kein Kinofilm dieser Frau des 20. Jahrhunderts angenommen hat. 🙂
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