Maus, nach außen hin ein Junge, Nacht für Nacht die Schuhe der Hotelgäste putzend, hat das Hotel Aurora noch nie verlassen. Die Welt da draußen bereitet ihr Panik. Eines Tages, als die anderen Jungen sie kurzerhand vor die Tür setzen, um ihr nach der Manier von Heranwachsenden eine Lektion zu erteilen, bricht sie draußen vor der Tür in Panik aus. Zu diesem Zeitpunkt weiß sie noch nicht, dass ihre bis dahin relativ heile Welt bedroht ist, von innen heraus und von Mächten, die sie nicht einmal erahnen kann. Denn ein ganz besonderer Gast hat sich ins Hotel Aurora eingemietet.
Tamsin Spellwell kommt nach Sankt Petersburg. In ihrem Gepäck befindet sich Diebesgut der ungewöhnlichen Art. Eigentlich wollte sie mit dem Diebstahl ein, wenn schon nicht besonders durchdachtes, so doch gutes Werk vollbringen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Welt wird kälter, die Kälte unkontrollierter. Etwas wurde in Gang gesetzt und scheint unaufhaltsam zu wachsen.
Die Comic-Umsetzung eines weiteren Bestsellers von Kai Meyer führt den Leser nicht nur in eine märchenhafte Geschichte, die wie eine Fortsetzung des ewigen Märchen von Hans-Christian Andersen Die Schneekönigin anmutet. Sankt Petersburg. Allein der Name der Stadt lässt Romantik aufblühen. Märchenhaft bedeckt der Schnee die Stadt und angesichts der Bedrohung, die in die Stadt gekommen ist, liegt auch der Vergleich zu einem Leichentuch nahe.
Yann Krehl adaptiert den Roman von Kai Meyer, zeichnerisch umgesetzt hat ihn Marie Sann. In der Kürze des ersten Teils dieser Trilogie entsteht sehr schnell Atmosphäre, obwohl nach der Einleitung der Geschichte erst einmal ein Bruch erfolgt. Gerade noch herrscht tatsächlich ein Andersen-Flair vor, da findet sich der Leser in Sankt Petersburg wieder, mit einer der interessanten Figuren, Tamsin Spellwell, an der Seite von Väterchen Frost auf einer Parkbank. Erst dann wird die eigentliche Hauptfigur vorgestellt, gut erkennbar auch auf dem Titelbild: Maus. Das kleine Mädchen schafft es schnell, das Herz des Lesers zu erwärmen.
Ihre Herkunft ist traurig, ihr junges Leben trist und gelitten wird sie augenscheinlich nur von Kukuschka, dem Eintänzer. Das ist mitreißend, traurig, intensiv erzählt, aber auch ohne jegliche Hoffnung. Der Auftritt von Spellwell, heiter in dieser Düsternis, hilft dem Mädchen kaum weiter. Optisch entsteht durch die Grafiken Sanns ein Gefühl alter Märchenfilme von früher, als es noch nicht so viel im Fernsehen gab. Rückblicke erfolgen durch eine Eislinse. Abgesehen von Maus selbst wirken die übrigen Charaktere sehr stilisiert, fast schon ein wenig scherenschnittartig. Fast meint man, ruckartige, abgehackte Bewegungen sehen zu können.
Diese optische Nostalgie erkennt wahrscheinlich nur, wer sie auch damals selbst erfahren hat oder auf eine der heutigen, wahrscheinlich zahllosen Wiederholungen stößt. Hier wie dort, das ist auch gewiß, lässt sich die Erzählung Zeit. Die Atmosphäre ist schnell aufgebaut und hält sich. Kalte Farben, auch ein starrer Aufbau lassen einen schnell mit Maus frösteln. In der Kolorierung, die dem Geschehen folgt, liegt auch ein wenig die Gefahr der Eintönigkeit, da die Schwankungen nicht allzu groß sind. Dieser Effekt ist zweifellos gewollt, denn Spellwell, die später zum Tanz auffordert bildet in ihrem Kleid einen bunten Farbtupfer vor diesem Einerlei.
Sehr, sehr märchenhaft, für junge Leser genau die richtige Geschichte. Wer nur den abenteuerlich erzählenden Kai Meyer kennt bzw. Yann Krehls Comic-Umsetzung der Wolkenvolk-Trilogie kennt, wird von der Ruhe, die diese Geschichte ausstrahlt, überrascht sein. Wer hingegen genau das sucht, sollte einen Blick riskieren. 🙂
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