Dienstag, 16. August 2011
Dixie Jones ist mit ihrer Mutter auf der Flucht. Irgendwie. Auf einer Wanderung, auf der Jagd nach einem besseren Leben. Irgendwie. Wie so viele in jenen Tagen, die keine Arbeit und keine Heimat mehr haben. Dixies Mutter hat es scheinbar aufgegeben, auf den Ehemann zu warten, einen Halunken, dem es schwer fällt, mit ehrlicher Arbeit sein Geld zu verdienen. Als er eines Tages doch wieder auftaucht, hat er nach eigenem Bekunden sein Glück gemacht. Der letzte Überfall brachte einen Haufen Geld. Aber auch einen Haufen Verfolger, die gewillt sind, das Recht in die eigene Hand zu nehmen und sich gerade in diesen Zeiten nicht auf die Polizei zu verlassen.
Es ist eine Zeit, in der die Arbeiter ausgebeutet werden. Eine Wirtschaftskrise hat die Vereinigten Staaten von Amerika mit eiserner Faust umklammert. Menschlichkeit verliert immer mehr an Bedeutung. Alkohol tröstet über die schlechte Lage des Einzelnen hinweg. Manche prostituieren sich. Andere werden aus nichtigem Anlass umgelegt. Rassismus ist in den ländlichen Gebieten immer noch an der Tagesordnung. In all der Verzweiflung, der Hoffnungslosigkeit findet Dixie trotzdem noch neuen Mut und lernt Menschen kennen, die nicht aufgeben wollen. In dieser Zeit ist ihre Mutter ein starker Halt, nur wird selbst diese so aufrechte und unbeugsame Frau auf harte Proben gestellt.
Jean Dufaux ist ein Autor, der durch die Vielfalt seiner Stoffe überrascht: Fantasy, historische Abenteuer, Horror oder wie hier mit einer Kriminalgeschichte im weitesten Sinne, die vor dem Hintergrund einer der dunkelsten wirtschaftlichen Epochen der USA geschildet wird. Nur Kriminalgeschichte? Nein, noch mehr, denn das Gebaren von Dixies Vater, die Entscheidungen der Eltern setzen eine Kette in Gang, in deren Folge Verderben im besten, Tod im schlimmsten Fall stehen. Dufaux überspitzt das Szenario nicht einmal. Vor dem Hintergrund der Rezession der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts gibt es wahrscheinlich noch Begebenheiten, die sich grausamer ausnehmen als hier.
Aus der Sicht von Dixie, die viel zu früh erwachsen werden muss, wie es oft so klischeehaft heißt, entsteht ein Amerika, das nichts mit der Legende vom Tellerwäscher, der ein gemachter wird, gemein hat. Allenfalls vom Tellerwäscher, der im besten Fall seinen Job behält. Streiks werden organisiert, nur um einen Aufmarsch an Bewaffneten zu provozieren, die nur darauf warten, diesen Aufstand blutig niederzuschlagen, um ein Exempel zu statuieren. Da nimmt es sich fast schon harmlos aus, dass ein Berufskiller (mit dem Aussehen eines Uncle Sam) auf die Familie Jones angesetzt worden ist.
Hugues Labiano fällt leider nicht die Aufgabe zu, eine heitere Geschichte zu zeichnen, obwohl er diese Aufgabe bestimmt mit ähnlicher Bravour gelöst hätte. Labiano gibt einer Zeit ein eigenes Gesicht. Dieses Gesicht eine Karikatur zu nennen, wäre falsch und auch weitaus zu kurz gefasst. Es ist Bilder von Charakteren, Ortschaften und Landschaften, die sich bemühen ein Lebensgefühl jener Zeit einzufangen, als die Menschen jener Epoche noch irgendwie anders, schmaler aussahen. Labiano übersetzt die schwarzweiße Welt jener Tage in Grafiken, die von Marie-Paule Alluard mit dem Farbempfinden des amerikanischen Südens koloriert wurden.
Es ist eine besonders intensiv ausschauende Welt, die aber durch den auch vorhandenen Comic-Eindruck auf Abstand gehalten wird. Die Zeichnungen wirken zerbrechlich, durch die Verkleinerung auf dieses vorliegende Buchformat ist der Eindruck intensiver, filmischer. Einige Figuren sind von Labiano so gut angelegt, dass man sie schnell ins Herz schließt, allen voran natürlich Dixie Jones.
Ein pralles Lesevergnügen, ein Drama und ein Kriminalfall in einem und zufällig in Comic-Form erzählt. Ein packender Stoff, mit dem Jean Dufaux seine Vielseitigkeit unter Beweis stellt und neugierig macht auf weitere Geschichten dieser Art. Mit Hugues Labiano ist ein Zeichner gefunden, der eine Bildsprache gefunden hat, um diese in diesem abgeschlossenen Band eingefangene Zeitspanne lebendig werden zu lassen. Sehr gut. 🙂
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Samstag, 13. August 2011
Die beiden Geschwister, Hummel und Libelle, sind in ihrer Freude am Wettstreit einander ebenbürtig. Die Tatsache, dass es sich bei Libelle um ein Mädchen handelt, die auch noch jünger als ihr kriegerhaft gebauter Bruder ist, ihm in ihrer Waghalsigkeit zu keiner Zeit nachsteht, macht den unglaublichen Wettkampf auf den Rücken der Drachen noch interessanter. Nicht nur einmal stockt den Zuschauern der Atem. Leider sind die Drachen nicht mit der gleichen Geschicklichkeit gesegnet wie ihre Reiter und so scheint das folgende Unglück nur eine Frage der Zeit gewesen zu sein. Der Baron, alt an zahlreichen Jahren, beobachtet den Wettkampf gespannt und hilflos. Und plötzlich gibt es nicht nur eine folgenschwere Situation, sondern derer gleich zwei, die für große Umwälzungen in der Baronie sorgen werden.
Ein alter Baron, vier Kinder und Feinde lauern vor den Toren des Reiches. Der erste Sohn ist zwar stark und in der Erbfolge an erster Stelle, doch was hilft es, wenn der Zweitgeborene ehrgeizig bis ins Mark ist und bestrebt, ein Geburtsrecht einzufordern, das nicht seines ist. Zurück in Troy: Die beiden Autoren, Christophe Arleston und Melanyn, sind nicht unerfahren, wenn es um die Fantasy-Welt Troy geht. Diese Welt wurde bereits in vielerlei Art betrachtet, in verschiedenen Zeitzonen, doch eine humorvolle Geistergeschichte, bei der sogleich Erinnerungen an das Gespenst von Canterville oder im deutschsprachigen Raum an Hui Buh wach werden, war noch nicht dabei.
Hummel, Zecke, Libelle und Mücke: Die Kinder des Barons, drei Jungs und ein Mädchen, sind nicht nur mit ungewöhnlichen Namen ausgestattet, charakterlich sind sie ebenfalls völlig verschieden. Arleston und Melanyn verkleiden eine Fantasy-Komödie in die typische Form eines Theaterdramas. Sieht man einmal von den komödiantischen Elementen ab, auch von einigen fantastischen Bestandteilen (wie von Drachen), nur nicht von den Geistern, könnten hier Stoffe von Shakespeare Pate gestanden haben. Die Fronten zwischen den Geschwistern Zecke und Libelle verhärten sich, da der eigentliche neue Baron Hummel infolge eines Unfalls allein nicht regierungsfähig ist. Derweil driftet der kleine Mücke immer häufiger in Traumwelten ab, wo ihn Geister zu attackieren versuchen.
Die Komik steht hier zwar im Vordergrund, doch mit dem herausragenden Zeichner Eric Herenguel wurde ein Künstler für diesen Zweiteiler gefunden, der schon mit einer anderen Veröffentlichung bewiesen hat, wie gut er Genres zu mischen vermag. In Silbermond über Providence, einer Mixtur aus Horror und Western, zeigte er bereits, mit welch feinen Abstufungen er Charaktere in Szene zu setzen vermag.
Die liebevolle Umsetzung der Figuren sorgen für die Lebendigkeit der Geschichte. Bevor auch nur ein Geist seinen Fuß auf Troy setzt, dürfen Nebencharaktere wie Ritter Titan für Heiterkeit sorgen. Titan, ein Mischung aus Schotte, einer Spur Tapsigkeit und mit einer gehörigen Portion Unmusikalität gesegnet, ähnelt einem Troubadix, während der geistig umnachtete Hummel mitunter wirkt, als sei ihm ein Hinkelstein auf den Kopf gefallen (in Wahrheit war es noch etwas weitaus größeres).
Szenisch wird viel Theatralik aufgewendet und der Leser wie vor einer Bühne platziert. Diese Erzählweise fördert die Komödie. Aktionselemente, die Herenguel mit unterschiedlichen Perspektiven inszeniert und so schöne Ausblicke auf diese fantastische Welt gewährt (so auch aus der Vogelperspektive), sind aber nicht weniger stark präsentiert. Besonders turbulent wird es, wenn sich die Geister die Ehre geben. Arleston und Melanyn geben sich nicht mit einem Gespenst zufrieden, so erwarten den Leser ein kunterbunter Haufen ziemlich exzentrischer Geistwesen, die wie die Nachkommenschaft aus Gespenst von Canterville und Catweazle wirken.
Farblich bevorzugt Herenguel kräftige Farben, aquarellartig und oft durchscheinend aufgetragen. Das zwar quietschbunte, aber nicht aufdringlich kolorierte Abenteuer wird noch eindrucksvoller durch die Spezialeffekte von Lamirand, die vermutlich mit dem Auftreten der Geister zum Einsatz kommen. Genau lassen sich die Künstler nicht darüber aus.
Eine sehr humorvolle, fantasievolle und aktionsreiche Geschichte aus dem Troy-Universum, die jedoch ohne jegliche Vorkenntnis der zahlreichen Veröffentlichungen aus dieser Fantasy-Welt gelesen und genossen werden kann. Eric Herenguel gehört zu den Zeichnern, die sehr viel Atmosphäre erzeugen und komische Charaktere aus dem FF herbeizaubern können. Einfach schön und spaßig. 🙂
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Donnerstag, 11. August 2011
Ein ungewöhnlicher Besucher begutachtet den Leichnam des gigantischen Drachen. Die Raben kreisen über dem Haupt des Einäugigen, noch ängstlich darauf bedacht, dem geschuppten Leib fern zu bleiben. Fafnir allerdings ist tot. Wotan (Odin), der Göttervater, auf seiner einsamen Wanderung an der Stätte des Duells von Held und Ungeheuer angelangt, findet nur die Tarnkappe vor. Der Ring, den er so sehr begehrt, fehlt. Siegfried hat ihn mitgenommen. Und gibt ihn nicht mehr her. Bei den Göttern, die sich fragen, wo Odin ist, wächst die Angst. Boten werden geschickt, um Hilfe zu holen. Siegfried selbst verschlägt es an einem unheimlichen und den Menschen sehr fernen Ort. Loge hat seine Kinder angewiesen, den Bemühungen einiger wichtiger Figuren auf dem Schachbrett Einhalt zu gebieten: Hel, Göttin der Unterwelt, und Fenrir, dem Riesenwolf.
Kämpfe, Entscheidungen: Die Schwierigkeiten im Reich der Götter haben immer größere Auswirkungen auf die Welt der Menschen. Nicolas Jarry klärt die Fronten für den Leser. Einzelne Gruppen wie auch bestimmte Charaktere tappen vollkommen im Dunkeln. Besonders die Götter sind blind für Loges Pläne und Ränkespiele. Jarry entwirft Loge als nordischen Gott, der nicht ernst genommen wird und so ungestraft und unentdeckt schalten und walten kann.
In dieser Folge erhält der Leser einen Vorgeschmack auf die Götterdämmerung. Er erlebt die verzweifelten Versuche aller Beteiligten, der Vorzeichen Herr zu werden. Selbst ein Göttervater wie Wotan (Odin) versucht sein Andenken zu sichern, indem er nach einer neuen Gefolgschaft Ausschau hält, die seinen Namen auf den Schlachtfeldern ehrt. Es ist eine Folge, in der nicht nur der Leser weiß, wie manche Schicksale besiegelt werden (wie Nicolas Jarry mit kleinen Fingerzeigen andeutet).
Grafisch ist Vielfalt Trumpf, obwohl es noch einige Szenen gibt, die selbst aus dieser Vielzahl schöner Sequenzen herausragen. Jarry fordert Zeichner Djef mit Romantik heraus, mit Grusel, mit Monströsem, mit Massenszenen. Djef zeichnet realistisch, aber auch mit einem Minimalismus, eine Bezeichnung, die ich verwende, ohne sie negativ zu nennen. Er verwendet die nötigen Striche und lässt ein jegliches Wesen, menschlich oder göttlich besonders hübsch aussehen. Selbst Drachen und Riesenwölfe. Gleichzeitig ist Djef sehr akribisch und schafft eine dichte Atmosphäre, die gleich wirksam ist, ob es sich nun um einen Blick in die Unterwelt oder in das Leben einfacher Fischer handelt.
Besonders feine Szenen sind sicherlich die Auftritte von Skumm, dem Herrn der Gischt, einer drachenartigen, geflügelten Schlange. Ihr späterer Kampf hat es ebenfalls in sich. Neben ruhigen Momenten wie in der Halle der Götter, dem erwähnten einfachen Leben von Fischern, aber auch von Siegfried fällt eine erbitterte Schlacht (siehe Titelbild) und ein nicht minder hasserfüllter Zweikampf.
Der vierte Teil zeigt die Bemühungen Siegfrieds Frieden zu finden und das Aufbegehren Wotans gegen sein Schicksal: Götter und Menschen gehen einen vorbestimmten Weg, mit einigen friedvollen Momenten, meist aber dramatisch und spannend. Schöne Fortsetzung. 🙂
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Mittwoch, 10. August 2011
Der Adler ist riesig. Er könnte ein Pferd verschlingen, so er denn wollte. Ungebändigt hängt er in den Fesseln, doch Erat, Zauberer und Krieger, scheut sich nicht, das Wagnis einzugehen und den Adler gefügig zu machen. Doch selbst für einen Mann mit seiner Erfahrung und seiner Statur ist der Ritt auf diesem Ungetüm schwierig. Lässt sich das Tier letztlich auch steuern, so besitzt es doch Instinkte, die sich nicht so einfach beiseite wischen lassen wie der Freiheitsdrang. Bald schon hat Erat ganz andere Probleme.
Acht Männer standen am Anfang. Im Austausch für das ewige Leben schworen sie auf die Tötung jeglicher Kreatur zu verzichten. Nach vielen Jahren erscheint nun die vierte Episode der fünfteiligen Reihe auf Deutsch. Der Leser trifft jene Zauberer von Tichit auf der Jagd auf Menschen an. Denn wer glaubt, der Schwur habe aus den ehemaligen Seefahrern lammfromme Männer gemacht, sieht sich gewaltig getäuscht. Die Flüchtigen haben den Charakter ihrer Verfolger gut erkannt, sind aber keineswegs Unschuldslämmer und haben abgesehen von ihrer gemeinsamen Flucht wenig gemeinsam.
Dieter (alias Didier Teste) führt das Szenario von Frederic Contremarche fort, mit er bereits gemeinsam am dritten Band arbeitete. Zeichner Etienne Le Roux löst Mathieu Lauffray ab. Diese Ablösung verdeutlicht auch ein wenig den Zeichenstil: Klassisch, marvelisch, an Zeichner wie John Buscema (Conan) erinnernd, stilistisch auf Augenhöhe natürlich mit Lauffray (Prophet, Long John Silver) oder auch Denis Bajram (Cryozone). Klassisch bedeutet: Kernige Figuren, mit den nötigen Strichen gesetzt, denn auf Überflüssigkeiten wird verzichtet. Auf Realismus in Mimik, Haltung, Gestik und allgemeiner Körperlichkeit wird großer Wert gelegt.
Doch auf das Ungewöhnliche, Magische wird nicht verzichtet. Durch Die Wüste von Akabar führt die Jagd, einen Landstrich, der lebensfeindlich, aber nicht leblos ist. Le Roux kann mit Figuren umgehen, die bekannt wirken und doch monströs sind. Riesenadler und Riesenwolf stehen einander gegenüber. Wolfshorden machen die Wüste unsicher. Menschen kämpfen weniger gegeneinander als gegen die Kreaturen, die erbarmungslos und unbeirrbar gegen die Menschen vorgehen. Ausgerechnet die mitleidlosesten Charaktere des Bandes sind es, die dabei am meisten faszinieren. Bei den Gejagten ist es ein weibliches Zwillingspaar, unbeugsame Kriegerinnen. Sie sind zwar schön, stehen im Einsatz von Gewalt und ihrer Unbeherrschtheit dem Zauberer Erat in nichts nach.
In dieser Figur, in der sich gestalterische Parallelen zu Prophet von Mathieu Lauffray besonders stark ausdrücken, findet sich ein äußerst widersprüchlicher Held. Er könnte fast ein Guter sein. Er steht nur auf der falschen Seite. Unbändige Kraft, eine Urgewalt treibt diese Figur an, deren Anteil der Geschichte einen großen Teil der Geschichte einnimmt und die Flucht der kleinen Gruppe zum legendären Ort Amojar ein wenig in den Hintergrund rückt. Freunde von Fantasy, die mehr Wert auf das Schwert als auf Magie legt, werden nicht nur, aber besonders an dieser Figur, die auf ihre Art eine tragische Gestalt ist, ihre Freude haben.
Die Kolorierung von Axel Gonzalbo ist durchweg kräftig, ein wenig erdig. Feinheiten werden mit einem Pinsel aufgetragen, in verschiedenen Stärken (und durchaus auch so, dass es echt wirkt, so dass es schwer zu sagen ist, ob Kollege Computer das Arbeitsmittel war). Hiervor abweichend ist die Sequenz über die Historie des Amojar koloriert, jenem Kloster, das später zum Bordell wird. Hier bestimmen Aquarelltöne die traumhafte Erzählung und unterstreichen so den Rückblick bzw. die Geschichte in der Geschichte.
Zwar fehlen dem Leser beim Einstieg (der aber noch nachgeholt werden kann) in den vierten Band der Reihe ein paar Informationen, da aber sich diese Episode hauptsächlich mit einer Verfolgung und Flucht beschäftigt, ist ein rasantes Fantasy-Abenteuer entstanden, das allein wegen seiner fabelhaften Aktionssequenzen und der sehr guten wie auch passenden Illustration genossen werden kann. 🙂
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Sohn eines Monsters! So rufen die anderen Kinder den Jungen, der nichts dafür kann an der Seite von Mime ohne menschliche Eltern aufzuwachsen. Doch Siegfried ist allzu menschlich, liebt und wird ebenso bitterlich enttäuscht werden. Doch so sehr er die menschliche Nähe sucht, so sehr entgleitet er ihr auch. Schließlich findet er die Liebe im Traum, der real wird. Siegfried könnte endlich glücklich sein, fernab von allem und allen, die etwas anderes für ihn im Sinn haben. Doch Schuld und auch Rache sind am Ende stärker und lassen ihn nicht zur Ruhe kommen.
Der berühmte Kampf: Held gegen Drache. Bereits das Titelbild deutet einen arg ungleichen Kampf an. Es ist kein Geheimnis, dass es Siegfried gelang, diesen Kampf zu gewinnen. Nicolas Jarry entwickelt aus diesem Duell noch mehr: Eine Tragödie. Die Sage um die Nibelungen, um Siegfried, Kriemhilde, Hagen und Brunhilde, nicht zuletzt um die germanischen Götter wurde häufig erzählt, aber das enge Verhältnis von ehemaliger Walküre und Siegfried wurde nur selten derart in den Vordergrund gestellt. Vor allem dann nicht, wenn als Leserschaft, Zuhörer oder Zuschauer eine eher jüngere Zielgruppe anvisiert war.
Nicolas Jarry entwirft aus Brunhilde und Siegfried ein Traumpaar, neudeutsch gesagt, aber auch gleichzeitig zwei Königskinder, die nicht zusammenkommen können. Es ist eine große und verzweifelte Liebe, zwei Menschen, die sich selbst genügen (müssen), wäre da nicht der Umstand, dass Siegfried ein Getriebener ist, in dem die Rache, sinnbildlich gesprochen, immer höher kocht.
Doch zuvor wird die Jugend von Siegfried besonders sorgfältig erzählt. Ein Außenseiter, ungelitten, trotz aller Bemühungen, die der Junge an den Tag legt. Jarry schenkt dem Helden wirklich nichts und führt ihn zuallererst einmal völlig tief herab, bevor der Junge auch Anteil am Glück haben darf. Jarry und Zeichner Djef (alias Jean-Francois Bergeron) stellen der harten Ausbildung von Siegfried die Ränke im Götterhimmel gegenüber. Loge (auch unter dem Namen Loki bekannt) bemüht sich in Odins Abwesenheit, die Götterdämmerung wahr werden zu lassen. Jarry zeigt den listenreichen Gott nicht nur als Ränkeschmied, sondern auch als Verführer.
Gerade die Erzählung dieser Götterdämmerung geht in die Tiefe und nimmt sich sehr viel Zeit. Wer hier besonders die Aktion sucht (die es zweifelsohne gibt), wird etwas enttäuscht sein, denn Jarry und Djef legen sehr großen Wert auf die Darstellung der Konstellationen, in der auch die Bösewichte und die zwielichtigen Gestalten nicht zu kurz kommen. Mime, Siegfrieds Ziehvater, ist eine widersprüchliche Gestalt, gestraft, aber auch bemitleidenswert, eigentlich herzlos zu nennen und doch ist er eine tragische Figur, die einer Bestimmung folgt, einem Weg, den er nicht einmal in dieser Form beschreiten wollte.
Wendepunkte: Während es in diversen Geschichten lediglich eine Handvoll von Wendepunkten gibt (wenn überhaupt), entsteht durch die geschickte Erzählweise von Jarry einer (eigentlich) bekannten Sage zu keiner Zeit Langeweile. Der Leser verfolgt die Geschichte auf mehreren Ebenen: Jenen Erzählstrang über die Probleme der Götter, die Wanderung Odins, das Aufwachsen und den Werdegang Siegfrieds. Letzterer ist noch einmal unterteilt in Vergangenheit, Gegenwart und Traumpassagen.
Djef zeichnet exakt, mit Hang zum Realismus, aber auch mit einer gewissen kindlichen Freude, die insbesondere auszumachen scheint, wenn es phantastisch wird und in göttliche Sphären geht. Man könnte auch sagen, dass es kindlich prachtvoll, überschwänglich ist. Die sehr starke, nicht weniger sorgfältige Kolorierung von Heban verstärkt diesen Eindruck noch.
Prachtvoll: So lässt sich der dritte Teil der Götterdämmerung unter einer Überschrift zusammenfassen. Eine Geschichte voller Wendepunkte, während dieser Teil selbst einer ist, denn am Ende ist Siegfried erwachsen und die Götterdämmerung einen Schritt näher gerückt. Sagenhafte Unterhaltung. 🙂
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Sonntag, 07. August 2011
Juri Jeljuschin fühlt sich nicht wohl. Ist es die unheimliche Nacht, die ihm in dieser Seitengasse zusetzt? Oder sind es nur seine Gedanken, die sich wirr verlaufen haben und ihm nun vorgaukeln, er verwandele sich in einen Werwolf? Kurz darauf hallt ein Wolfsheulen über die Straßen von Paris und niemand kann mehr sicher sein, was die Wahrheit ist. Flora Vernet, die junge Frau und Assistentin des Detektiv Dupin, hat inzwischen das Heft in die Hand genommen und setzt sich nachdrücklich für den nicht minder ungewöhnlichen Klienten Hugo Beyle ein. Ist Beyle in vielerlei Hinsicht immer noch ein Kind, fehlt es ihm dennoch nicht an Mut. Und diesen wird er bald brauchen, wenn die beiden sehr unterschiedlichen Ermittler sich einem Gegner stellen, der nicht mehr von dieser Welt ist.
Einer der berühmtesten Detektive der Literaturgeschichte hat eine verteufelt harte Nuss zu knacken und wird ausgerechnet von ein paar Anfängern (fast) dabei überflügelt. Der Detektiv, von dem hier die Rede ist, erfunden von Edgar Allan Poe, C. Auguste Dupin, ermittelt in einem Fall, der eine gewisse übernatürliche Komponente hat. Äußerlich erinnernd an den französischen Schauspieler Philippe Noiret (oder auch Jean-Pierre Marielle, da gehen die Meinungen auseinander) ist dieser Dupin ein knurriger Kriminalist, der kaum weniger exzentrisch ist als sein englisches Gegenstück Sherlock Holmes. Aber Autor Gloris nimmt sich nicht nur des literarischen Detektiven an, vielmehr überführt er auch eine Figur in einen Comic, die bislang nur von einem sehr berühmten Gemälde her bekannt war.
Die Freiheit führt das Volk: Auf jenem Gemälde, eine idealisierte Darstellung der Französischen Revolution (soll noch mal einer sagen, Comics bildeten nicht), ist nicht nur der Maler Eugene Delacroix selbst abgebildet, sondern auch eine der Hauptfiguren. Welche, das sei an dieser Stelle nicht verraten. Der Brückenschlag, den Gloris mit dieser Enthüllung schafft, ist feinstes fantastisches Kino, ganz im Sinne der fantastischen Detektei, deren Fall hier endgültig über einfache Entführung und Mord hinausgeht.
Paris: Ein Zeitbildnis und heimlicher Nebendarsteller. Thierry Gloris baut die Stadt und Zitate auf dieselbige mit großer Leichtigkeit in die Geschichte ein. Die Epoche erwacht zum Leben durch ihre dunklen Straßen, ihre feinen Kostüme und ihre verspielte Innenarchitektur, die heute eher den Begriff Kitsch bekäme. Es ist eine Fahrt, mal schnell, mal beschaulich, durch einen sorgfältig von Jacques Lamontagne erstellten, stimmigen und toll gezeichneten Kulissenwald. Es beschwört die Atmosphäre von Bildern eines Henri de Toulouse-Lautrec oder eines Edouard Manet herauf. Daneben wird auch nicht auf Klamauk im Stile eines Belmondo-Filmes verzichtet. Die automobile Verfolgungsjagd, in dieser Form schon fast putzig zu nennen, ist sicherlich einer der Höhepunkte des Bandes, der mit vielen tollen Szenen aufwarten kann.
Voodoo, Geister, Moulin Rouge: Ein Reiz dieses Falles, der hier mit Band 2 abgeschlossen wird, liegt in seiner Abwechslung und fortwährenden Überraschung. Wendungen treiben die Handlung für den Leser in moderner Erzählweise voran, die Bilder präsentieren passend zueinander choreographierte Charaktere. Wer sich über das Wort Choreographie in diesem Zusammenhang wundert, betrachte nur einmal das Titelbild des vorliegenden Albums. In einer Geschichte im Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts darf auch der Cancan nicht fehlen.
Jacques Lamontagne, der zeichnet und koloriert, gelingt mit seinen Bildern eine schöne Mischung aus Realismus und leichter Karikatur. Figuren und Schauplatz sind immer ausfüllend, vor Ausdruck strotzend. Die Verwendung echter Vorlagen (siehe Schauspieler oben) zeigt, wie Lamontagne seine Geschichten begreift: Filmisch, mit echter Besetzung. So ging er bereits in der ebenfalls herausragend illustrierten Reihe Die Druiden vor.
Ein dichter und rasanter Abschluss, in dem es viel zu entdecken gibt. Jacques Lamontagne hat sich zu einem Garanten für feinste Illustrationen entwickelt. Thierry Gloris weiß ebenfalls auf dem Gebiet der phantastischen Kriminalgeschichte zu begeistern. Ein gelungenes Ende dieses Zweiteilers. 🙂
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Freitag, 05. August 2011
Goon kann nicht mit Frauen. Nicht, dass er nichts für sie übrig hätte, doch er lässt keine mehr an sich heran. Auch jene, die es durchaus ernst und ehrlich meinen. Nicht zu ändern. Denn Goon hat andere Probleme als eine blondierte Barsängerin. Mr. Wicker versaut ihm das Geschäft, übernimmt Ware, die für den Goon bestimmt war und scheint auch noch körperlich stärker zu sein. Doch hinter der Kampfansage von Mr. Wicker scheint noch mehr zu stecken. Wicker will dem Goon nicht einfach das Geschäft streitig machen, sondern ihn völlig vernichten. Woher kommt der Hass von einem Feind, dem der Goon noch nie zuvor begegnet ist?
Auch ein Verbrecher hat ein Herz, war einmal jung und war auch schon verliebt. Auch der Goon. Doch es gab Wendepunkte in seinem Leben, die es ihm unmöglich machten, so weiter zu leben, wie es andere Menschen auch tun, Davon erzählt die abgeschlossene Geschichte Chinatown und das Geheimnis von Mr. Wicker. Erfinder, Autor und Zeichner Eric Powell soll nach eigener Aussage sehr unschlüssig gewesen, eine Geschichte über Goon in dieser Weise zu erzählen. Obwohl es sich hier um den siebten Band der Reihe handelt, die Figur längst etabliert und bekannt ist, wird hier die Vergangenheit und Herkunft von Goon auf schöne, auch außergewöhnlich respektvolle Art beleuchtet.
Stammleser haben die Geschichten von Eric Powell auf vielerlei Weise kennengelernt. Popkulturell ausgedrückt hatte es manchmal den Anschein einer Mixtur aus From Dusk Till Dawn und einer Produktion mit Louis de Funes, ab und zu auch mit einer Spur Mike Mignola, der einen schlechten Traum hatte. Es fand sich ein wenig des Flairs, das dem ersten Film der Reihe House anhaftete. Hört sich seltsam an, ergab aber überdurchschnittlich oft eine feine Mischung aus Horror und Komödie. Horror findet sich hier auch, aber Powell wendet sich seinem Goon mehr so zu, wie es ein Frank Miller mit seinem Marv in Sin City tat.
Goon wird hier ein wenig zum Ritter der traurigen Gestalt, einem Helden, der heldenhaft handelt, alleine steht (sieht man von seinem Kumpel Frankie ab) und sich doch nach der Liebe sehnt, die ihn dazu bringt, das Leben eines Gangsters hinter sich zu lassen. Aber der Goon und Frauen? Ja, nur irgendwie können beide nicht zueinander finden. Die Vergangenheit steht dazwischen. Eric Powell verschachtelt Vergangenheit und Gegenwart des Goon sehr geschickt, wie das berühmte Puzzle, dessen Teile sich mehr und mehr zusammenfinden, bis das Gesamtbild erkennbar ist.
Und was für ein Gesamtbild! Die in kalten Brauntönen gehaltene Vergangenheit, angepasst an die Atmosphäre uralter Fotographien, wechselt sich ab mit den leichten, transparenten Farben der Gegenwart. Powell liebt den Look aus weichen Farbaufträgen wie Aquarelltechnik und Markerstiften. Powells Bilder haben auf diese Art immer etwas vom Blick in einen Traum. Die hohen Schwarzweißanteile oder auch Braunweißanteile im Hinblick auf die Nachahmung alter Fotografien verstärkt diesen Eindruck noch. Natürlich, auch dieser Vergleich ist stimmig, steigt Powell stark auf die Atmosphäre alter Gangsterfilme ein und auf die bühnenhafte Inszenierung, die manchmal damit einherging.
Gesichter: Wer sich die einen oder anderen Gesichter betrachtet, mag insbesondere diese Inszenierung als zu bedeutend angelegt interpretieren. Aber Powell greift hier auf Bildsprache, reinen Ausdruck zurück. Auf ganzseitigen Bildern offenbart sich Goons grenzenlose Traurigkeit, die schließlich in Wut und Hass umschlägt. Obwohl Goons Kumpel Frankie kaum weniger leidet, verblasst seine Trauer gegen jene von Goon ziemlich.
Das kann der Goon: Bewegen und zum Lachen bringen, spannend unterhalten. In keiner Ausgabe mag Eric Powell besser das Flair der Figur eingefangen haben als hier. Kaum eine Ausgabe hat sich wohl mehr dem Spirit von Will Eisner angenähert, weshalb der nach dem Comic-Meister benannte Award ins Schwarze getroffen hat. Tolle Ausgabe der Reihe, mit einer immens guten Charakterisierung des Goon. 🙂
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