Ein Kind sollte nicht alles sehen. Aber ein Kind will oft alles sehen. Der kleine Peanuts ärgert sich sehr. Immer ist derjenige, der Schmiere stehen soll: Bei Einbrüchen. Selbst wenn es etwas zu bestaunen gibt. Die Prostituierte hinter dem Fenster ist ebenfalls verärgert: Über ein paar halbwüchsige Spanner, die ihr möglicherweise durch ihr Gegaffe die Kundschaft madig machen. Aber Peanuts ist nicht nur maßlos neugierig. Er hat auch ein goldenes Herz. Eigentlich sollte er sich wegen des kaputten Fensters, entstanden durch eines ihrer Missgeschicke, keine Gedanken machen. Doch er ringt dazu durch, den Schaden wieder gut machen zu wollen. Ein folgenschwerer Fehler.
Wer nicht spielt, macht die Straßen unsicher. Selbst Kinder denken darüber nach, wie sie an Geld kommen können. Und sei es nur, damit sie für ein paar Münzen einen Blick auf eine Prostituierte werfen können. Es ist die Zeit, in der viele Arbeiter keine Arbeit haben, ihren Unmut im Alkohol ersäufen, der im Jahre 1929 viele Abnehmer findet. Wer nicht arbeitet, ist zuweilen ein Gangster und nicht zimperlich in der Wahl seiner Mittel. So verhält es sich auch mit Al Capone, der, wenn er schon nicht Tod noch Teufel fürchtet, so doch letztlich vor dem Finanzamt in die Knie geht, denn gegen die ist auch nichts mit Kanonen auszurichten. Doch wer sein Geld liebt, muss es verstecken. Diejenigen, denen der Notgroschen anzuvertrauen ist, gehören dem gleichen Club an und so landet das Geld bei Toto Moreno.
Steve Cuzor mag Amerika, die schwierigen Zeiten, in denen die Geschichten praktisch auf der Straße lagen. Bereits in O’Boys hat er bewiesen, wie gut er die Nuancen in der Beschreibung von Freundschaften beherrscht. In besagter Reihe lehnt er sich an die Geschichten über Tom Sawyer (von Mark Twain) an. Hier sind die Prohibition und das klassische Bandenwesen Grundlage des auf vier Bände angelegten Krimidramas. Ungewöhnlich allerdings: Kinder sind die Hauptakteure.
Aufzuwachsen ist nie leicht, doch in manchen Zeiten und an manchen Orten war es besonders schwierig, war der Schutz schlecht, die Versuchung groß. Für die Kids hier stellt sich bald nicht mehr die Frage, wie sie am besten an Geld kommen. Nachdem sie sich eher dilettantisch in Einbrüchen versucht haben, suchen sie den Kontakt mit einem der örtlichen Bandenchefs. Steve Cuzor schickt seine Helden geradewegs in eine Katastrophe hinein, von der anzunehmen war, dass sie stattfindet, nur das Wie ist eine Überraschung. Helden wie diese werden meist von ihren Erfindern durch die Hölle geschickt. Cuzor schickt sie noch etwas weiter.
Gleich an zwei Stellen finden sich wichtige Wendepunkte, die aus Kindern schnell ernsthafte Charaktere werden lässt. Der Schock wirkt unterschiedlich. Die einen suchen nach einem Ausweg, den anderen versagt jeglicher Lebenswillen. Cuzor inszeniert Drama, Krimi, Thriller, auch Tragödie in einer außerordentlich packenden Mischung. Cuzors Trick: Er zeichnet Visagen, im besten Sinne des Wortes.
Visagen: Humphrey Bogart, James Cagney, Edward G. Robinson, Mickey Rooney, Sydney Greenstreet und einige mehr. Allesamt kantige, gelebt wirkende, ausdrucksstarke Gesichter. Ähnlich wie es ein Jordi Bernet in seiner Serie Torpedo geschafft hat, so versieht auch Cuzor seine Figuren mit Visagen. Hier haben selbst die Kinder bereits derart viele erlebt und gesehen, so dass sie ihre Erfahrungen in ihren Gesichtern abzeichnen. Zusammen mit der Kulisse der Prohibitionszeit in den Vereinigten Staaten ergibt sich eine dichte Atmosphäre, die man als Leser richtig genießen kann.
Wer Gangsterepen mag, neueren oder älteren Datums, wird an der schönen Darstellung der 20er, 30er Jahre des letzten Jahrhunderts in den USA seine Freude machen. Mit der Jungenbande sind Steve Cuzor glänzende Sympathieträger gelungen, denen man als Leser wünscht, dass sie aus dem Schlamassel, in den sie sich befördert haben, auch möglichst wieder herauskommen. Klasse. 🙂
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