Mittwoch, 31. August 2011
Ein Wort zuviel: Mit einem Wort unterschreibt der Mann sein Todesurteil. Eigentlich suchte er nur eine helfende Hand, mehr nicht. Der Tod ist die Endstation und wird zur Herausforderung an Giuliano Nero, der dem Täter dadurch sehr viel näher kommt. Bis zu diesem Fall trieb Nero dahin. Er hatte nichts zu tun. Er hatte keine Familie, keine Frau an seiner Seite. Sein Leben war leer. Aufregung versprach auch dieser neue Fall nicht, aber wenigstens Einnahmen. Und so machte sich Nero an die Arbeit, versiert, nicht ungeschickt, neugierig, auch hartnäckig. Und tatsächlich: Bald entstehen neue Spuren, die nicht existieren dürften, hätte die Polizei wirklich den richtigen Mörder gefasst.
Wie tief sollte ein Ermittler in die Psyche eines Serienmörders blicken? Wann beugt er sich zu sehr über den Abgrund und fällt selbst hinein? Der von Alex Crippa erschaffene Ermittler Giuliano Nero ist auf der Spur eines Mannes, der eine seltsame Obsession zur Vermeidung von Trauer entwickelt hat. Es besteht keine Beziehung zwischen den Mordopfern. Gemeinsamkeiten sind keinerlei zu entdecken. Nur im Tod weisen sie eine Ähnlichkeit auf. Nachdem der Mörder sie getötet hat, wird die entstandene Wunde fein säuberlich vernäht.
Nero beschäftigt sich als Detektiv zunächst mit einem Fall, der für die Polizei gar keiner mehr ist, denn die hat bereits einen Verdächtigen festgenommen und ist von dessen Schuld überzeugt. Der Leser hingegen weiß bereits von der ersten Seite an, dass die Polizei auf dem sprichwörtlichen Holzweg tappt, da er dem Ermittler Nero nach zwei Seite in der Gegenwart nun in der Vergangenheit folgt. Italien hat sich als Krimiland auch bei uns etabliert, doch sind dort ausgewählte Schauplätze im Comic eher selten anzutreffen.
Alex Crippa schließt diese Lücke eine Geschichte lang (Das fünfte Opfer), bevor er Nero in ein weitaus ungewöhnlicheres Krimiland schickt: Russland. Der Wechsel vom beschaulichen, aber sehr verregneten Italien ins finster verschneite Russland ist einer der sehr atmosphärischen Aspekte im vorliegenden Sammelband, der die Trilogie über den Privatdetektiven Nero vereinigt. Neros Problem: Er findet immer besseren Zugang zu der Bestie, die er verfolgt. Mosaikartig setzt er Hinweis auf Hinweis zusammen und kommt so dem Mörder immer näher. Bis er ihn findet und die erste Geschichte mit einem gemeinen Cliffhanger endet. In dieser Erscheinungsform mag der Leser diese Erzähltechnik verzeihen.
Der geschilderte Mörder ist nicht so ungewöhnlich wie ein Hannibal Lector, die Umstände indes sind es schon. Nero ermittelt weitgehend allein (bis auf einige kleinere Hilfestellungen) und bedient sich eines Buches, geschrieben von einem Kriminologen, dessen Theorien Nero ein gutes Stück weiter bringen: Archangelsk. So lautet der schon Unheil verkündende Titel der zweiten Episode. In Nero ist es düster geworden. Die Bilder sind ein Ausdruck dieser psychischen Fehlentwicklung. War der Fall im ersten Teil ein Fall, so wird er im zweiten Teil zur Besessenheit.
Crippa legt viel Wert auf seine Figur, deren charakterlichen und seelischen Absturz der Leser nur gebannt verfolgen kann. Andrea Mutti zeichnet einen Nero zeichnet einen jüngeren Mann, der sich mittels eines Kinnbarts älter macht. Nero ist ein Ermittler, der raucht, trinkt und auf seine Kleidung nicht viel wert legt. Doch im ersten Teil wirkt er noch schlank und frisch, während er im zweiten Teil zusehends verfällt, nicht wortwörtlich natürlich. Der cremige Farbstrich von Angelo Bussacchini gibt Muttis Bildern (ich wollte es eigentlich nicht schreiben) einen fotorealistischen Effekt, als habe Mutti gestellte Fotos nachgezeichnet. Dieser Blick, möglichst echt, sorgt auch dafür, dass die Atmosphäre dichter, die Handlung noch packender ist.
Copy-Killer: Es gibt Fachbegriffe für Zustände, die sich dem Normalsterblichen entziehen. Ein Copy-Killer, ein Nachahmer von Mördern, indem er die Untaten kopiert, ist der nächste Gegner von Nero. Venedig als Schauplatz strahlt zunächst Wärme aus, bevor Nero das Szenario betritt und das Unwetter folgt. Nero ist mittendrin, aber längst nicht obenauf. Er ist zu einem Ermittler geworden, der durch seine Arbeit am Leben erhalten wird. Selbst Resignation scheint ihm noch zu viel zu sein. Das Team, Crippa, Mutti und Bussacchini, beendet seine Arbeit leider nach dem dritten Teil an Nero, der sich hier mit derart viel Tiefe etabliert hat, dass weitere Geschichten wünschenswert wären.
Ein gelungener Krimiband, spannend von der ersten bis zur letzten Seite. Abseits der bekannten italienischen Ermittler aus Roman und Fernsehen ist dieser unkonventionelle Ermittler mehr amerikanisch als italienisch, mehr düster als romantisch. Mit Gespür für intensive Szenen erzählt und stark illustriert. 🙂
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Ymirs Tod ist der wahre Anfang. Und das Ende. Denn aus der Ermordung des Riesen erwächst nicht nur eine Welt. Dieser Beginn steht auch für den Größenwahn der Mörder. Odin, der später sich den Nornen anvertraut und geweissagt bekommt, welches Schicksal ihn im Gegenzug erwartet, bricht fast unter der Last dieser Prophezeiung zusammen. Von nun an gilt es, Krieger um sich herum zu versammeln. Nur die besten Kämpfer sollen es sein, gefunden auf den Schlachtfeldern von seinen eigens dafür ausgeschickten Töchtern. Wenn das Ende kommt, soll es nicht kampflos hingenommen werden. Die Götter werden sich verabschieden, wie sie kamen: Mit Mord und Totschlag.
Nicolas Jarry liebt den germanischen Götterreigen. Daran besteht keinerlei Zweifel. Mit ODIN begibt er sich an eine weitere Darstellung der Geschichte der nordischen Götter (wie bereits mit Götterdämmerung), ist hier jedoch einerseits knapper, andererseits stärker konzentriert auf den Göttervater, der doch in seinem Gebaren allzu menschlich ist.
Alles begann mit drei Brüdern. Odin war nicht einmal der älteste von ihnen. Hönir und Lodur hießen die anderen. Die drei Götter bilden den Ausgangspunkt einer tragischen Geschichte. Hochmut kommt vor dem Fall könnte die Überschrift dieses göttlichen Dramas lauten. Sie schaffen die Welt, doch gibt es niemanden, der sie für ihre Taten und ihre Macht verehrt. Die folgende Geschichte, nicht von Nicolas Jarry erfunden, aber sehr gut nacherzählt, zeichnet zwar einen Aufstieg nach, doch selbst Odin entdeckt darin die ersten Anzeichen eines die Welten erschütternden Untergangs.
Durch die Bilder von Erwan Seure-Le Bihan entsteht aus einem einem altbekannten Epos eine theatralische Apokalypse, die von einer gedanklichen opernhaften Musik untermalt zu sein scheinen. Oder auch von Bombastrock. Erwan Seure-Le Bihan nimmt sich viel Platz für seine Bilder. Je nach Technik darf es eine ganze Seite sein, manchmal auch eine Doppelseite. Er wendet zur Darstellung die Szene, die Collage, aber auch die Buchillustration an, die so eher in alten Legenerzählungen, vielleicht sogar in der Bibel zu erwarten wären. Die einleitenden Seiten eines neuen Kapitels imitieren eine Originalseite, mit Frakturschrift und nachgeahmten Malgrund inklusive.
Das Ende steht am Anfang. Der Leser begegnet Odin, als dieser bereits auf ein langes und wenig schönes Götterleben zurückblicken kann. So mächtig es war, so tragisch war es auch. Mitleid kann der Leser für diesen Gott nicht empfinden, herrschsüchtig wie er ist, bei allen begangenen Fehlern. Dafür sind die Grafiken, die dieses Götterschicksal spiegeln, umso schöner, aufregender. Odin, der einmal gewahr wird, dass es eine noch höhere Macht geben mag, begegnet dem Unglaublichen in vielerlei Gestalt. Optisch reißt Erwan Seure-Le Bihan diese Abschnitte wie Blitzlichter heraus. In deckenden und durchscheinenden Farben, mit der jeweils erforderlichen Technik für den bestmöglichen Effekt, präsentiert der Künstler Ansichten, von denen man sich sofort mehr wünscht.
Vieles ist martialisch, auch märchenhaft: Die Erschaffung der Welt, Schwarzalben, Lichtalben, Dämonen, Loki, der Gang zum Schlachtfeld, Baldurs Tod. Letztere ist eine der besonders beeindruckenden Sequenzen, gefolgt vielleicht von Odins Erkenntnis, dass selbst er als Gott den Preis für seine Taten zahlen wird. Bihan spielt mit Licht und Farben. Herausragend sind jene Seiten, in den sich rote und blaue Malerei treffen, am besten ganzseitig. Hier finden sich eher Gemälde als Comic-Bilder.
Die Bösen: Faszinierend. Loki ist zu einem genialeren Charakter geworden, als er es ohnehin in der Sage ist, ein Zerstörer zwar, aber auch der alleinige Anstifter zur Verdammnis, während die Guten viele sind und uneins. Die Nornen, eine eher außergöttliche Macht, sorgen für unheimliche Augenblicke.
Die nordischen Götter einmal anders: Angelegt auf zwei Bände zeigt sich bereits im ersten Teil das Zeug zum Klassiker. Mag die Geschichte auch sattsam bekannt sein, sind die Bilder aufwendig gestaltet, von einem Künstler, der das Gespür für besonders dramatische Einzelbilder besitzt und einer phantastischen Technik, um diese umzusetzen. 🙂
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Um ein vortrefflicher Attentäter zu sein, ist die Kenntnis von Örtlichkeiten eine Notwendigkeit. Viel wichtiger ist es jedoch, die Schwachstellen des Gegners zu kennen. Nävis, die den Attentäter aufhalten soll, ist eine Expertin, wenn es darum geht, Schwachstellen bei ihren Feinden zu finden. Sie beeilt sich, den Standort des Attentäters zu erreichen. Ihre Verfolger, wahrlich nicht unbedarft in ihrem Gewerbe, tun sich schwer, auch nur einen Treffer bei ihr zu landen. Doch bei aller Mühe, die sie sich gibt: Am Ende muss doch Plan B herhalten.
Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Als Teil einer Formel vor Gericht mag diese Ankündigung von dem einen oder anderen etwas lasch gehandhabt werden. Auf dem Planeten Absoluta jedoch ist diese Formel kein leeres Gerede. Hier wird Wahrheit gesprochen. Ob man will oder nicht. Jean David Morvan schickt Nävis, die Agentin der Konstituante, in eine Welt, die für jemanden, der sich tarnt, täuscht und natürlich auch für seinen Auftrag lügen muss, ein recht unbequemer Ort ist.
Jean David Morvan legt die Handlung in drei Abschnitten an. Am Anfang steht eine Jagd, von dort geht es in ein Kloster und am Ende steht die Flucht. Doch hinter dieser Oberfläche findet noch etwas anderes statt. Morvan vergisst bisherige Geschehnisse nicht, flechtet weitere Informationen zum Fortgang der Reihe ein. Für Neueinsteiger in die Serie ist es schwierig, über diesen Teil hinweg zu lesen. Nävis, die Heldin der Serie (Titelbild des Bandes: die Figur in der Mitte), ist stets ein sehr starrsinniger Charakter gewesen. Ihre Auffassung von Gerechtigkeit, auch Recht, von Freiheit und Freundschaft haben sie mehr als einmal anecken lassen. Wer sie hier zum ersten Mal kennenlernt, wird nicht auf einen besonders zugänglichen Comic-Charakter stoßen.
Aber: Das ist auch das Schöne an der Serie. Morvan lässt seine Comic-Heldin leben. Bei Nävis (selbst wer die Reihe nicht verfolgt hat, kann das anhand der Handlung erahnen) hat sich eine ordentliche Portion Verbitterung angesammelt. Der Starrsinn wurde hierdurch noch vertieft. Die Beschreibung mag ein Bild eines eigensinnigen Kindes vermitteln, aber Nävis ist darüber hinaus eine Agentin und eine sehr fähige dazu. Nur ihre Professionalität hält sie aufrecht, so mag es in mancher erklärenden Szene wirken.
Die gute Charakterzeichnung Morvans ist eines, die stilistisch sehr saubere, klare und mit Hang zum Perfektionismus umgesetzte Grafik von Philippe Buchet ist der andere Garant für die Vorzüglichkeit dieser Space Opera. Ist Nävis mit hoher Korrektheit menschlicher Anatomie gezeichnet worden, sind es besonders die Außerirdischen, die einen hohen Reiz von SILLAGE ausmachen. Abgesehen davon, dass Nävis sowieso der einzige Mensch in dieser Serie ist, gibt sich Buchet bei den fremden Wesen ganz besondere Mühe. Im Kloster (ich nenne es so, ohne zu viel verraten zu wollen) haben sich viele unterschiedliche Exemplare versammelt, die durch ihre Gestaltung ein weiteres Leben-Element der Reihe sind.
Klare Gestaltung bis in den kleinsten Knopf und die Gürtelschnalle. Buchet zeichnet einen Comic, das steht außer Frage und die Gestaltung versucht auch nicht, diesen Umstand zu übertünchen. Aber Buchet ist dennoch höchst realistisch. Wenn er es zeichnet, dann soll es auch so aussehen, als könne es funktionieren. Wer von anderen Sternenepen her ein gebraucht ausschauendes Universum gewöhnt ist und diese Form der Space Opera mag, liegt hier mit der Optik goldrichtig.
Ein faszinierendes SciFi-Universum: Nävis kann als vielschichtiger Seriencharakter weiterhin überzeugen. Die Grafiken von Philippe Buchet dürften jedem Fan von Space Operas durch ihre frische, genaue und farblich stimmige Umsetzung Spaß bereiten. Top. 🙂
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Montag, 29. August 2011
Julius Publius Vindex: Römischer Heerführer, vor Arroganz triefend, rücksichtslos. Rom ist alles. Der Feind ist nichts. Gnade ist nur ein Wort. Diejenigen, die sich gegen die Besatzungsmacht auflehnten, sollen zur Strafe in den Bergwerken als Sklaven arbeiten. Doch jene, die das Schwert nicht gegen die römischen Soldaten erhoben, sollen eine andere Strafe erhalten. Jene, die sich Christen nennen, die den Krieg verweigerten, die den Tod nicht fürchten, weil sie an ein Leben nach dem Tod glauben, sollen nun vortreten. Ihnen soll das Los im Bergwerk erspart bleiben. Dafür sollen sie sterben, gleich hier, gleich jetzt. Es sei denn, sie schwören ihrem Gott ab. Nur einer bleibt schließlich stehen und ist bereit, für seinen Glauben sein Leben zu geben.
Julius hat große Pläne, er und seine Freunde. Rom soll brennen. Neue Bauten sollen alte ersetzen. Das Volk wäre dagegen, aber das Volk soll auch nicht gefragt werden. So soll das Volk einen Sündenbock erhalten: Christen. Livia, die Tochter von Julius, ist von der Grausamkeit ihres Vaters erschüttert. Aber er macht ihr begreiflich, dass Rom, selbst er, nicht diese Größe erreicht hätten, wäre sein Volk nicht über Leichen emporgestiegen. Allerdings sind nicht alle bereit, diese Einstellung zu teilen. Bald erfährt Julius, was es bedeutet, in Rom als Verräter zu gelten.
Alix Alice und Xavier Dorison entführen in eine vergangene Epoche, die Hochzeit eines Weltreiches, wie es auf der Erde kein zweites gab. Mitten im Aufstieg einer Sekte namens Christen findet sich ein karrieresüchtiger General dort wieder, wo man nur durch den Tod die Freiheit erlangt. Die römischen Unterdrücker erhalten hier ein Gesicht in Form eines Mannes, dem kaum etwas wichtig ist außer ihm selbst, abgesehen vielleicht von seiner Tochter. Man muss der Figur des Julius Publius Videx zugute halten, dass sie konsequent ist. Selbst im Bergwerk, dort, wo andere sich zu Tode schuften, will er sich weder verbrüdern, noch aufgeben. Alice und Dorison kreieren einen Charakter, der wahrhaft abscheulich ist, bis auch dieser an einen Punkt gerät, der eine Veränderung herbeiführt. Aber das dauert.
Die Veränderung, man möchte sagen vom Saulus zum Paulus, erfolgt durch Schwäche, gegen die eigenen Prinzipien. Das erkennt Julius zu spät und zunächst ist er auch nicht bereit, die Schuld für diesen Fehler bei sich selbst zu suchen. Sein Widersacher, will man ihn so nennen, ein Christ, der jeglicher Versuchung trotzt, bleibt durch seine scheinbare Leidenschaftslosigkeit blass und ist am Ende doch der Stärkere der beiden. Das heißt: Beinahe. Denn schließlich erfolgt auch für diesen ein Wendepunkt.
Alice und Dorison erzählen mit aller Dramatik und setzen Wendepunkte erst, als es nicht mehr anders geht. Sie schildern das Römische Reich, bei allem Pomp, aller Kultur und militärischer Finesse, im beengten Raum des gewählten Handlungsortes Judäa als barbarischen Kraken, dem ein Menschenleben nichts gilt und der das hervorbrachte, was ihn schlussendlich fällte. Die Revolution beginnt im Kleinen, durch Menschen, die nur mit ihren Fäusten gegen schwer bewaffnete Soldaten anstürmen.
Robin Recht beherrscht Ausdruck und Haltung. Das ist das nötige Rüstzeug für die Darstellung des optisch schön ausgeführten Albums. Freunde feiner Ansichten römischer Architektur oder insgesamt optisch ansprechender Ausstattung werden eher enttäuscht sein. Das liegt aber nicht an Recht, der, sobald sich die Gelegenheit ergibt, sehr feine Ansichten auf das Papier zaubert. Denn das Stichwort lautet Gelegenheit und die ist nur selten gegeben. Der Haupthandlungsort, ein wüstengleiches Judäa, wie auch in der Folge das Bergwerksgefängnis, bieten nur karge Hintergründe. Doch Inszenierungsmöglichkeiten gibt es dennoch genug. Wolkenbrüche und Unwetter zur dramatischen Unterstreichung, das höllenartige Bergwerk, enge Wohnkammern, weite Gebirgslandschaften: Die Kulisse trägt das Szenario sehr gut, fast schon passend für ein Theaterstück.
Francois Lapierre gibt den skizzenartigen Grafiken Rechts Volumen und weiß durch starke Kontraste noch mehr zur Dramatik beizutragen.
Zurück ins Römische Weltreich: Rom fällt noch lange nicht zum Zeitpunkt dieser Handlung, doch das Fundament erhält ersten Risse. Alice und Dorison inszenieren einen der vielen Wendepunkte, grafisch schön umgesetzt, für Fans vom Rom-Geschichten oder historischen Stoffen sicherlich sehr interessant. 🙂
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Links: www.youtube.com/watch?v=fgfG3uQWmaQ (Robin Recht im Interview)
Sonntag, 28. August 2011
Die junge Frau, Eva, ist allein im Dschungel. Wie sie von hier wieder zurückfindet, weiß sie nicht. Die Verletzung schmerzt und könnte sich entzünden. Moment! Vollkommen allein ist sie nicht. Die Orang-Utans um sie herum machen die junge Frau nervös. Die Affen halten sich zurück, sind friedlich und sie sind sogar mehr als das: Sie wollen helfen. Dieser Umstand wird von Eva jedoch völlig missverstanden. Sie scheucht die Tiere fort, um sich ihren Weg selbst zu suchen. Aber die Orang-Utans geben nicht auf. Bald sind sie wieder da und sie haben ihre eigene Methode, um Zuneigung bei der jungen Frau zu wecken.
Richard Marazano erzählt gegen den Strich. Dies zeigte sich bei Der Schimpansenkomplex, bei Absolute Zero und bei Eco Warriors scheint es nicht anders zu sein. Gegen den Strich bedeutet: Häufig folgen Autoren einmal festgelegten Regeln. Sie legen Spannungsbögen fest, bauen ihre Charaktere in erkennbaren Mustern auf und einiges mehr. Marazano bricht aus diesen Mustern aus, frei nach dem Motto: Das Leben folgt keinen Regeln. Er hat die beiden Hauptfiguren, Chris und Eva, getrennt. Chris muss Eva, die im Dschungel scheinbar verschollen ist, nun suchen und geht dafür einen Pakt ein, indem er die Eco Warriors, denen er entsagt hatte, zur Hilfe ruft.
Der Dschungel: Kriegsgebiet. Nicht nur die Natur ist dem Menschen gegenüber feindselig, der Mensch wird selbst zur Gefahr. Darüber hinaus haben im Dschungel Forschungen stattgefunden, die nicht an die Öffentlichkeit geraten sollen. Marazano, der gerne ein unheimliches oder auch rätselhaftes Element in seine Geschichten einfügt (das weder vom Leser noch von den Akteuren zunächst durchschaut wird), legt hier gleichzeitig die Grundlage für weitere Abenteuer. Zwar ist dieses Abenteuer mit zwei Bänden erzählt, doch es harrt bereits die nächste Mission, die in die Arktis führt.
Sieht man von den Meinungsverschiedenheiten (auch Freundschaften) unter den menschlichen Charakteren ab, bilden die Orang-Utans den heimlichen Anziehungspunkt der Handlung, nicht nur durch den Titel. Ihr Verhalten, mal verspielt, mal unabhängig, mal verzweifelt, rührt an und wird von Marazano geschickt eingebaut. Chris Lamquet, Zeichner und ausführender Kolorist in dieser Ausgabe, widmet sich gerade den Affen sehr hingebungsvoll, hängt doch gerade von den Grafiken dieser Tiere in vielen Szenen einiges ab. Wie der Anhang zeigt, hat er nicht nur die menschlichen Charaktere sorgfältig studiert.
Lamquet zeichnet hoch realistisch, beschränkt sich aber bei der Abbildung stets auf so wenige Striche wie möglich. Er liebt den Effekt der scheinbar durchgepausten Fotografie, die durch die Kolorierung an Volumen gewinnt und doch auch leicht abstrahiert wird. Durch einige grafische Tricks wie Geschwindigkeitsunschärfe, realistisch ausschauende Himmel, Spiegelungen und einiges mehr erzeugt Lamquet Bilder mit Tiefe und einem Ausdruck starker Lebendigkeit. Ein filmischer Eindruck ist offensichtlich gewünscht.
Wenn ich einem Affen eine Pistole in die Hand drücke und der Affe erschießt jemanden, dann ist nicht der Affe schuld. Eine der besonders ergreifenden Szenen soll hier nicht geschildert werden, damit der Leser sie unvoreingenommen erleben kann, aber sie gehört zu einer der besten Comic-Szenen seit langem (für mich) und unterstreicht auch die Ernsthaftigkeit der Geschichte.
Für mich eines der besten Abenteuer von Richard Marazano, das bislang in Deutschland erschienen ist. Hart am Realismus gezeichnet, sehr ausdrucksstark, gegen den Strich erzählt. Ein wenig Öko-Thriller, tragisch, packend, mit etwas Verschwörung und SciFi. Außerdem mit dem zweiten Band ist dieser Abschnitt erst einmal abgeschlossen. Das passt. 🙂
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Donnerstag, 25. August 2011
Das Paar hat die größte Hoffnung und wird bitter enttäuscht. Denn die Worte der alten Frau, die in einer Hütte aus Wurzelwerk im Wald haust, lässt keinen Zweifel daran, dass die Frau keine Kinder gebären kann, noch jemals wird. Der Traum der Eheleute ist zerstört. Bis zu jener Nacht, als ein Licht am Himmel erscheint und ein Feuerschweif vor den Sternen vorüberzieht. Vor den erstaunten Augen des Mannes rammt ein ungeheuerliches Objekt in einen See. Sobald der Dunst des Aufpralls sich verzogen hat, sieht er eine Hülle, wie sie noch kein Mensch jemals sah. Doch das Kind, das er danach mit nach Hause bringt, sieht menschlich aus, braucht menschliche Zuwendung, eine Mutter und einen Vater. Und viele Jahre scheint es das Leben wirklich gut mit der kleinen Familie zu meinen.
Für den Fantasy-Fan, der auf wirklich geniale Bilder einer fremden Welt gewartet hat, ist dieser Band ein weiteres Fest. Zeichner Iko liefert hier seine erste Serie (in fünf Bänden) ab. Hier ist kein Unterschied zwischen der zeichnerischen Qualität des Titelbildes und der Grafiken auf den Innenseiten. Allein das Titelbild, der Aufmarsch der Krieger zu Pferd, zu Nashorn (!), zu Elefant und zu Giraffe (!) ist einen längeren Blick wert. Gerne auch mit der Lupe, denn die Krieger sind unterschiedlich, facettenreich, die Tiere sind außerordentlich und mal ehrlich, wann gab es jemals Kampfgiraffen?
Die Sequenz (besser gesagt eine Vorausschau derselben) zum Titelbild findet sich auch in der Geschichte selbst. Hier werden weitere Blickwinkel gezeigt, mehr Einzelheiten. Die Fahrzeuge werden deutlicher, noch mehr Tiere werden dem Leser dargeboten. In einem Film wäre der Aufwand schön, hier ist es in dieser Form und der Qualität, die der von Radierungen ähnelt, ein außerordentliches Leseerlebnis. Kurz: Das ist Kino auf Papier.
Wie bereits in der Rezension zum ersten Band erwähnt, nimmt Autor Christophe Bec ein paar Anleihen bei bekannteren Publikationen, vornehmlich Kinofilmen, ohne aber eigene Ideen zu vernachlässigen. Das funktioniert weiterhin erstaunlich gut, zumal er auch Punkte auflöst, die in den bekannteren Geschichten keine Erwähnung mehr finden. Einer dieser Punkte ist, ohne zu viel zu verraten, eine Szene, die sich im Film King Arthur ereignet. Ein Heer wird weniger durch den Gegner, als vielmehr durch natürliche Umstände geschlagen. Aber was geschieht danach mit ihnen? Diese Frage beantwortet Bec, besser, lässt sie durch Iko beantworten, grafisch beeindruckend und gruselig anzuschauen.
Fragen klären: Ein wichtiger Aspekt des zweiten Teils ist die Auflösung von Fragen, ohne besonders viele neue aufzuwerfen, wie es bei Bec doch zuweilen vorkommt. Eher werden Stränge dichter verwoben. Ioen, der Junge, den der Leser inzwischen kennenlernte, wird älter, reift zum Mann und Kämpfer. Mit einem Freund, Torüd, an seiner Seite, der ebenso wie er als Gladiator sein Brot verdiente, beginnt eine lange Reise mit seltsamen Begegnungen und Funden. Teils weiß der Leser, was den Helden erwartet, teils sind es gerade die Vorhersagen, von denen nicht zu sagen ist, ob sie sich bewahrheiten werden, die die Handlung spannend halten.
Farblich herrscht eine düstere und nächtliche Atmosphäre vor. Wenige Tagessequenzen sind zwar hell, doch wirkt das Wetter nie wirklich einladend. Nicht nur infolge des Titels der Serie ist dieser Eindruck kein Zufall. Und so wird das Szenario, als Ioen an seinem Ziel anlangt, vor dunkler und gleichzeitig feuriger Kulisse abgehalten.
Grafisch weiterhin beeindruckend: Iko setzt Szenen in einem Fantasy-Comic um, die in dieser Perfektion selten zu sehen sind. Christophe Bec schreibt, was er liebt: Genres wie Fantasy oder Science Fiction liegen ihm, er kennt es vom Film, verbeugt sich davor, kreiert Eigenes, mischt die Karten neu. Sehr gut. 🙂
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Mittwoch, 24. August 2011
Gefangen: Roland kann die vermummten Krieger nicht einschätzen. Verborgen hinter Tiermasken geben sie sich nicht wie die üblichen Geiselnehmer. Sie sind wortkarg und lassen ihre Beute schließlich sogar auf einer Lichtung zurück. Allein. Sofort sucht Roland nach einem Ausweg. Der junge Ritter will sich nicht seinem Schicksal ergeben. Für ihn und Gwendoline, seine große Liebe, sind die Gitterstäbe zu eng. Der Knabe Johann, das in der Wildnis aufgewachsene Kind, hingegen könnte mit etwas Geschick entweichen. Es wird eine Geduldsprobe. Wird Johann durch allerlei Verrenkungen dem Käfig entkommen können, bevor die Unbekannten, die sich der Geiseln annehmen wollen, auf der Lichtung erscheinen. Es sieht nicht danach aus.
König Artus war keiner weiser Herrscher. Oder hat es ihm Ritter Roland besonders schwer gemacht? Roland ist tatsächlich ein Ritter Ungestüm. So ist es für ihn ein Leichtes diesen König aus der Reserve zu locken. Ein Artus, wie er einem Prinz Eisenherz gegenüber trat, fast schon ein wenig göttlich, aber wenigstens väterlich oder großväterlich, findet sich hier endgültig nicht. Bislang konnte der Leser aber doch noch einen Funken Sympathie für diesen Regenten entwickeln, waren seine Verhaltensweisen von der Notwendigkeit des Regierens geprägt. In den hier versammelten drei Episoden Die gefangene Prinzessin, Der Aufstand des Vasallen und Die Reiter der Apokalypse zwingt dieser König seinen Gefolgsmann Roland zum Äußersten.
Francois Craenhals, der diesen Chevalier Ardent, wie die Figur im Original heißt, erfand einen jungen Ritter, der zu Beginn mit einer Portion Naivität und Starrsinn in das Ritterleben startete, später aber durch seine Abenteuer reichlich Erfahrungen sammelte, den Stolz aber nie zugunsten einer größeren Beherrschung ablegen konnte. Vielleicht ist es das, was die Beziehung zu dem alten König ausmacht. Beide sind sie stark und sehr impulsiv. Fügt man noch mehrere Prisen Misstrauen dieser Mischung hinzu, entsteht ein Pulverfass, das früher oder später explodieren muss.
Aus einer wohl meinenden Tat (Roland will die Tochter des Königs retten) wird eine Strafe, die Roland nicht verstehen kann. Fortan steht er gegen seinen König, wirft das Schwert, mit dem er dem Regenten diente, fort und führt nadenfeine Stiche gegen Artus an: Wie einst Robin Hood holt Roland sich das Geld von den Pfeffersäcken und gibt es jenen, die es besser brauchen können. Craenhals entwirft eine Geschichte, die sehr wohl auf den Spuren des englischen Volkshelden wandelt und auch an anderer Stelle Parallelen zu anderen Klassikern aufweist. Doch die Geschehnisse passen in die geschilderte Epoche, sind besonnen gesetzt und Craenhals beweist sich so erneut als versierter Erzähler, der mit einem sympathischen Heißsporn eine Seite des legendären Britannien zeigt, die bis dahin eher selten zu sehen war.
In einem klassischen Zeichenstil, angesiedelt zwischen Hal Foster (Prinz Eisenherz) und Antonio Hernandez Palacios (El Cid), erprobt sich Craenhals an realen Kämpfen und (alp)traumhaften Sequenzen. Das Auftreten der Charaktere ist bühnenhaft, möglichst dem Leser zugewandt. Die Gefühle der Figuren sollen ablesbar sein. Craenhals erzählt Schritt für Schritt, mit der erforderlichen Geschwindigkeit und wendet zur Abkürzung längerer Passagen, die zwar wichtig sind, aber ausführlicher beschrieben den Lesefluss stören würden, eine collagenhafte Bildtechnik an. Eine Erzählerstimme kommt meist in solchen Sequenzen zum Einsatz.
Die Reiter der Apokalypse: In der dritten und abschließenden Episode des vorliegenden Sammelbandes stellt sich Roland dem Überirdischen, geisterhaften Erscheinungen und eigentlich kann er hier nicht richtig kämpfen, nur vorwärts gehen, um seine Geliebte zu finden und retten. So ungewöhnlich diese Geschichte ist, so schön ist sie, vor aktuellen Erscheinungen fast schon etwas asiatisch und poetisch anmutend.
Eine faszinierende Mischung: Francois Craenhals setzt einen Helden zurück auf Anfang. Roland kämpft schließlich nur noch für die Liebe und lässt ansonsten alles hinter sich. Bei all den gefährlichen Abenteuern, die er zu bestehen hat, besitzt auch diese Rittergeschichte, was eine Rittergeschichte benötigt: Romantik. Schön. 🙂
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Montag, 22. August 2011
Ein Kind sollte nicht alles sehen. Aber ein Kind will oft alles sehen. Der kleine Peanuts ärgert sich sehr. Immer ist derjenige, der Schmiere stehen soll: Bei Einbrüchen. Selbst wenn es etwas zu bestaunen gibt. Die Prostituierte hinter dem Fenster ist ebenfalls verärgert: Über ein paar halbwüchsige Spanner, die ihr möglicherweise durch ihr Gegaffe die Kundschaft madig machen. Aber Peanuts ist nicht nur maßlos neugierig. Er hat auch ein goldenes Herz. Eigentlich sollte er sich wegen des kaputten Fensters, entstanden durch eines ihrer Missgeschicke, keine Gedanken machen. Doch er ringt dazu durch, den Schaden wieder gut machen zu wollen. Ein folgenschwerer Fehler.
Wer nicht spielt, macht die Straßen unsicher. Selbst Kinder denken darüber nach, wie sie an Geld kommen können. Und sei es nur, damit sie für ein paar Münzen einen Blick auf eine Prostituierte werfen können. Es ist die Zeit, in der viele Arbeiter keine Arbeit haben, ihren Unmut im Alkohol ersäufen, der im Jahre 1929 viele Abnehmer findet. Wer nicht arbeitet, ist zuweilen ein Gangster und nicht zimperlich in der Wahl seiner Mittel. So verhält es sich auch mit Al Capone, der, wenn er schon nicht Tod noch Teufel fürchtet, so doch letztlich vor dem Finanzamt in die Knie geht, denn gegen die ist auch nichts mit Kanonen auszurichten. Doch wer sein Geld liebt, muss es verstecken. Diejenigen, denen der Notgroschen anzuvertrauen ist, gehören dem gleichen Club an und so landet das Geld bei Toto Moreno.
Steve Cuzor mag Amerika, die schwierigen Zeiten, in denen die Geschichten praktisch auf der Straße lagen. Bereits in O’Boys hat er bewiesen, wie gut er die Nuancen in der Beschreibung von Freundschaften beherrscht. In besagter Reihe lehnt er sich an die Geschichten über Tom Sawyer (von Mark Twain) an. Hier sind die Prohibition und das klassische Bandenwesen Grundlage des auf vier Bände angelegten Krimidramas. Ungewöhnlich allerdings: Kinder sind die Hauptakteure.
Aufzuwachsen ist nie leicht, doch in manchen Zeiten und an manchen Orten war es besonders schwierig, war der Schutz schlecht, die Versuchung groß. Für die Kids hier stellt sich bald nicht mehr die Frage, wie sie am besten an Geld kommen. Nachdem sie sich eher dilettantisch in Einbrüchen versucht haben, suchen sie den Kontakt mit einem der örtlichen Bandenchefs. Steve Cuzor schickt seine Helden geradewegs in eine Katastrophe hinein, von der anzunehmen war, dass sie stattfindet, nur das Wie ist eine Überraschung. Helden wie diese werden meist von ihren Erfindern durch die Hölle geschickt. Cuzor schickt sie noch etwas weiter.
Gleich an zwei Stellen finden sich wichtige Wendepunkte, die aus Kindern schnell ernsthafte Charaktere werden lässt. Der Schock wirkt unterschiedlich. Die einen suchen nach einem Ausweg, den anderen versagt jeglicher Lebenswillen. Cuzor inszeniert Drama, Krimi, Thriller, auch Tragödie in einer außerordentlich packenden Mischung. Cuzors Trick: Er zeichnet Visagen, im besten Sinne des Wortes.
Visagen: Humphrey Bogart, James Cagney, Edward G. Robinson, Mickey Rooney, Sydney Greenstreet und einige mehr. Allesamt kantige, gelebt wirkende, ausdrucksstarke Gesichter. Ähnlich wie es ein Jordi Bernet in seiner Serie Torpedo geschafft hat, so versieht auch Cuzor seine Figuren mit Visagen. Hier haben selbst die Kinder bereits derart viele erlebt und gesehen, so dass sie ihre Erfahrungen in ihren Gesichtern abzeichnen. Zusammen mit der Kulisse der Prohibitionszeit in den Vereinigten Staaten ergibt sich eine dichte Atmosphäre, die man als Leser richtig genießen kann.
Wer Gangsterepen mag, neueren oder älteren Datums, wird an der schönen Darstellung der 20er, 30er Jahre des letzten Jahrhunderts in den USA seine Freude machen. Mit der Jungenbande sind Steve Cuzor glänzende Sympathieträger gelungen, denen man als Leser wünscht, dass sie aus dem Schlamassel, in den sie sich befördert haben, auch möglichst wieder herauskommen. Klasse. 🙂
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Samstag, 20. August 2011
Nach der kalten und blauen Pracht des Aufenthalts im Weltraum scheint diese grüne und wuchernde Welt tröstlich. Kurz jedenfalls, denn die vier Difool werden angegriffen, mitleidlos. Ein Gegenschlag dauert zu lange, um das Schlimmste abzuwenden. Am Ende sind die vier Difool mehr auf Augenhöhe. Sie kamen her, um ein Rätsel zu lösen, irgendwie, und müssen erkennen, wie sehr sie noch von einer Lösung entfernt sind. Andernorts werden weitaus größere Pläne geschmiedet, Völker wollen dem Bösen begegnen, dem auch die Difool an den imaginären Kragen wollen. Schließlich wächst auf beiden Seiten die Erkenntnis, dass der Feind nur gemeinsam besiegt werden kann.
Das sind ja gleich vier John Difool auf einmal. Das geht nun wirklich nicht. Der Leser hat an gleich vier der widerwilligen Helden seine Freude, interessanterweise kann Difool selbst nur sehr schwer mit sich auskommen. Vielleicht liegt es daran, dass es sich bei den vier Männern um vier Ausprägungen dieses Charakters handelt, die sich gegenseitig nerven. Durch Besserwisserei. Pseudomut. John Difool ist eben kein Mann für alle Fälle. Er ist meist nur ein Mann, der fällt. (Wie auch gleich das Titelbild beweist.) Man schließt ihn trotzdem ins Herz, weil er Herz hat. Unproblematischer wird es für ihn allerdings nicht.
Denn Alejandro Jodorowsky stellt seinen viergeteilten Helden vor wahnwitzige Herausforderungen. Difool muss auch einige Geschmacklosigkeiten über sich ergehen lassen, harmlos ausgedrückt, und der Leser wird bei derlei gleich mit ausgesetzt. Aber das ist Jodorowsky. Die eine oder andere Entgleisung gehört bei ihm (häufig) dazu. Sieht man einmal darüber hinweg (oder blättert darüber hinweg, überfliegt dieses oder jene Bild), so stellt man fest, wie das Abenteuer wächst und ungeheure Dimensionen annimmt. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Der Feind meines Feindes ist nicht notwendigerweise mein Freund. Die Menschen sind bei weitem nicht die mächtigste Spezies im Weltraum. Schwarze Vampire, Weiße Erzengel, Gunas, das Reich des Benthacodon und noch einige Wesen, die zumindest recht unbequem werden können, wenn man ihn waffenlos begegnet oder wenigstens die eigenen Beine einen nicht schnell fort tragen können. Louz de Garra, Namensgeberin der zweiten Episode um den letzten Incal wird zu einer zentralen Figur und noch stärker treibenden Kraft hinter der Geschichte.
Jose Ladrönn geht in der Darstellung der teils gigantischen Szenen auf. Der Leser wird nicht nur die Rückblicke der Schlacht zwischen Vampiren und Erzengeln genießen dürfen. Auch die Rettungsaktion, die Difool wieder mit seiner Angebeteten Louz zusammenführt, hat es in sich. Es gibt sie, die ruhigen Momente, doch diese sind nicht weniger bombastisch. Ladrönn gibt, will man seiner Technik einen Namen geben, den Blick frei. Er inszeniert diese Space Opera wie auf einer Theaterbühne, die mit der Optik eines Hubble Teleskop arbeitet. Nur der Horizont ist die Grenze und nicht einmal der.
Schaut man im Schaffen von Jodorowsky zurück, brauchte es auch immer wieder einen Zeichner, der den gewöhnungsbedürftigen, mitunter abstrakten, auch abstrusen Humor umzusetzen verstand, vielleicht sogar teilte. Ladrönn dürfte bei dem einen oder anderen Detail bestimmt eine gewisse schöpferische Freiheit besessen haben. Es scheint nicht wahrscheinlich, dass Jodorowsky bis in diese Tiefe hinein Vorgaben gemacht hat. Ausstattung, Raumschifftypen und Charaktere sind mindestens ebenso stylisch, wie es der Genre-Fan von den großen Leinwandepen dieser Art her kennt (so viele gibt es da ja nicht). Es ist ein Fest für das Auge und dennoch schafft es Ladrönn bei all der Pracht noch eine durchgehende Rasanz zu entfesseln, die den zweiten Band zu einem Seitenumblätterer macht (dessen Bilder im Anschluss aber noch einmal genauer unter die Lupe genommen werden wollen).
Ungewöhnlich, auch hier wie immer. Spaßig und unterhaltsam für Jodorowsky-Fans. Seltsam für jene Leser, die noch nie mit Jodorowsky zu tun hatten. Grafisch fantastisch ausgeführt von Jose Ladrönn. Und immer noch mit einem der widerspenstigsten Anti-Helden, die je im Comic erschienen sind. 🙂
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Freitag, 19. August 2011
Ein Junge ohne Arme und Beine wird geboren. Dennoch soll er eines Tages das Joch der Unterdrückung dieses Planeten abschütteln und die Völker in die Freiheit führen. Alef-Thau wächst behütet auf. Bedrohungen sind indes in dieser Welt an der Tagesordnung. Ein Kind, später ein Junge, wehrlos, scheint oft eine leichte Beute zu sein. Gäbe es nicht all jene, die an die Prophezeiung glauben und ihr eigens Leben für seines riskieren. Und tatsächlich: Das Schicksal hat ein Einsehen. Es gibt ihm eine Chance. Allerdings muss Alef-Thau daraufhin noch härter für seine Ziele kämpfen und je mehr sich seine Fähigkeiten verbessern, desto gefährlicher wird es.
Alejandro Jodorowsky ist ein Autor, der in den Genres umherwandert, die Phantastik, die Science Fiction, die Historie und auch den Thriller zu seinen Spielfeldern erkoren hat, aber stets wirft er das Bekannte halb über Bord, um durch neue Elemente etwas Ungewöhnliches zu erzählen. Ein sehr gutes Beispiel ist Alef-Thau. Welcher Held in einem doch sehr aktionsgeladenen Abenteuer startete zuletzt ohne Arme und Beine in eine Geschichte?
Immerhin sehr geliebt und behütet wächst der Held auf, nur um schließlich in sein erstes großes Abenteuer getragen zu werden. Jodorowskys Arbeit ist von Bildern geprägt und liefert der reinen Unterhaltung gerade hier einen gewissen Interpretationsspielraum. Es ist einerseits Fantasy mit Kriegen, Vorhersagen, vielen verschiedenen Völkern, auch einer verwunschenen Landschaft. Aber es ist auch ein Märchen, dessen Grenzen zwischen Gut und böse immer weiter aufbrechen, mit Wendungen, die durch die Figur Alef-Thau erst möglich werden. Am Ende geht es um die ganz große Liebe. Und um Hass. Beides findet sich bei Jodorowsky in einer untrennbaren Einheit wieder, ein Motiv, das er in verschiedenen Publikationen aufgreift. Man könnte auch sagen: Jodorowsky liebt den Kampf von Gut gegen Böse.
Arno zeichnet eine klare Linie, eindeutig, ohne zu verbergen. Eine Form, die er braucht, aber verschleiert, weil sie vielleicht nicht optimal ist, gibt es bei ihm nicht. Schatten überlässt er der Kolorierung. Es ist eine mitunter kindliche, mal auch naiv aussehende Phantastik im besten Wortsinn, die dann wieder durch drastische Bilder überrascht. Aber dies ist eben auch ein Märchen und solche wissen durch heftige Aktionsspitzen zu überraschen. Optisch ist Arno sicherlich in der Nähe eines Moebius. Die mit einer einfachen Strichstärke gezeichneten Bilder strahlen Ruhe aus, auch, je nach Szenario, eine wohl berechnete Dramatik. In Massenszenen, Schlachten hat das Auge des Lesers einiges zu finden, an anderer Stelle kann es sich schlicht an den feinen, im wahrsten Sinne des Wortes kleinen Charakteren erfreuen.
(Der kleine Pirlipei ist eine Art Chewie im Miniformat, weniger eine Mischung aus Hund und Bär, dafür von unerschütterlicher Treue und großer Freundlichkeit.)
Alejandro Jodorowsky schickt den Leser an der Seite von Alef-Thau auf eine Quest, die jedoch manchmal den Eindruck erweckt, als handele es sich um ein Kammerstück. Die Welt und die Weite von Mu-Dhara, wo sich Alef-Thaus Schicksal erfüllen soll, erscheint übersichtlich. Entfernungen werden zu Fuß, per Boot, fliegend oder auch per Geistform überwunden. Der Eindruck verstärkt sich noch durch den Umstand, dass Mu-Dhara für die weibliche Hauptfigur Diamantha eine Art Experimentierfeld ist, weil es auch bei ihr ein Schicksal zu erfüllen gibt (dem Alef-Thau so ziemlich im Weg steht).
Phantastik in Reinkultur: Mit Alef-Thau liefert Alejandro Jodorowsky in diesem ersten Teil der zweibändigen Gesamtausgabe sicherlich eine der schönsten und märchenhaftesten Erzählungen ab. Sicherlich auch mit der gewohnten Schrägheit, aber auch mit viel Wärme und Herzlichkeit dargeboten. Mit Arno findet sich ein Künstler, der die Atmosphäre mit der gleichen Wärme technisch zwischen Comicstrip und frankobelgischer Klassik einfängt. Vorbildlich. 🙂
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