Freitag, 10. Juni 2011
Thorgal will seinen Sohn wiedersehen. Und er setzt alles daran, den entführten Jungen zu finden. Doch die Beharrlichkeit eines Vaters, das nötige Versteckspiel in scheinbar feindlicher Umgebung, wird selten freundlich begrüßt. Missverständnisse und Ärger sind die Folge, bevor sich neue Freunde finden. Wüsste Thorgal jedoch, welche Feinde gegen seinen Sohn Jolan aufmarschieren werden, welche Wagnisse der Junge lange vor seiner Zeit als Mann eingehen muss, er wäre in höchster Not. So aber verfolgt Thorgal Jolans Spur, ohne zu ahnen …
Die Schlacht von Asgard: Und was für eine Schlacht! Der Fantasy-Fan ist Schlachten gewöhnt. Er kennt sie vom HdR. Zuletzt stritten sich die Götter sogar persönlich in Thor. In alten Sagenbüchern kann der Leser das Himmelreich der Germanen bis zur Götterdämmerung verfolgen. Yves Sente hat andere Pläne. Er schickt die Kleinsten gegen die Größten, Zwerge gegen Riesen. Loki hat die Riesen aufgestachelt, Jolan, Thorgals Sohn, führt die Zwerge an. Eigentlich sollte man denken, ist dieser Kampf eine klare Angelegenheit. Falsch gedacht.
Denn Yves Sente, seit Band 30 der Reihe als Autor dabei, macht aus dieser Schlacht ein kurioses Spektakel, im besten Sinne des Wortes. Die Zwergenschaft, kleine (sehr besondere) Wesen ohne die üblichen langen Bärte, die sich selbst die Armee der Lebenden nennt, tritt gegen Riesen an, bunt bemalt, die nicht so recht wissen, wie ihnen geschieht. Dahinter steht ein Loki, an einen Joker erinnernd, mit flammend roten Haaren, und so gemein, wie die Sage es vorschreibt. Das Titelbild wie auch der Titel selbst verraten bereits das Ziel der Handlung. Wie es dazu kommt, ist allerdings eine sehr wendungsreiche Geschichte.
Thorgal wäre nicht der über mehr als 30 Bände gereifte Krieger, würde er nicht nach allem, was er durchgemacht hat, seinem entführten Sohn nachjagen, um diesen zu retten. Die Entführung selbst hat der Leser zu diesem Zeitpunkt nicht in diesem Album miterlebt, aber das ist auch nicht vonnöten. Die Suche Thorgals nach seinem Sohn ist nicht unwichtig, aber, man darf es durchaus angesichts der Gewichtung der Erzählung sagen, zweitrangig. Ein viel größeres Gewicht wird auf die Geschehnisse Jolans gelegt, die weitaus phantastischer, auch farbenreicher sind.
Grzegorz Rosinski: Stilistisch ist hier zum kürzlich neu aufgelegten ersten Band der Reihe ein ungeheurer Unterschied zu finden. Grzegorz Rosinski malt seine Bilder nun komplett, mit lasierenden Farben, in sehr hellen Bereichen auch mit deckenden Anteilen, Gouache vielleicht. Atmosphärisch wird die Geschichte so viel dichter, da die Bilder brillant sind und die Zeit (ca. 7. Jahrhundert) mit ihrer Ausstattung wunderbar zeigt. Rosinski kann bei Handlungsstränge optisch sehr gut voneinander trennen: Dunkel, düster, winterlich findet sich der Abschnitt, der die Welt und Jahreszeit von Thorgal zeigt. Hell, grün, frühlingshaft ist die Welt, in der Jolan dem göttlichen Plan folgt und in Streit mit Loki tritt.
Bösewichter sind dankbare Kreaturen. Helden sind gut, aber Bösewichter machen mehr Spaß. So ist Loki auch hier der heimliche Star der Geschichte. Er wird als eine Art Kobold dargestellt, durchtrieben, mit länglich, schmalem Gesicht, feuerroten Haaren, die auch mal unter einer blonden Perücke versteckt werden. Täuschen kann er damit allerdings niemanden. Thorgals Kampf gegen Halsabschneider ist bereits eine gelungene Szene, mit der Schlacht um Asgard toppt sich Rosinski selbst. Die spätere Szenerie in Odins Palast ist das Sahnehäubchen. Das ausgewählte Licht lässt die Grafiken wunderbar lebendig wirken.
Eine sehr gelungene Abenteuerhandlung, die den Leser auf erfrischend leicht aufbereitete Weise in den germanischen Sagenhimmel hinauf trägt. Sehr bunt, sehr schön erzählt. Autor wie auch Zeichner sind in Bestform. Einfach schöne Fantasy! 🙂
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Mittwoch, 08. Juni 2011
Der Mann sollte sterben. Doch er ist dem Tod entronnen. Er wäre vielleicht noch eine Weile im Hintergrund geblieben, hätte sich gesammelt, damit seine Kräfte erstarken, aber seine neue Herrin hat andere Pläne mit ihm. So kehrt er an den Hof zurück, dessen Herr ihn töten wollte, zum Schutze der Tochter, die Thorgal liebt. Der Plan von Thorgals Herrin geht allerdings auf und so wird der Mann, Gandalf, der Thorgal noch vor kurzem umbringen wollte, aus seiner Heimstatt entführt.
Kaum lernt der Leser den Helden kennen, ist dieser auch schon in Bedrängnis. Aber nicht in irgendeiner Bedrängnis, vielmehr soll es ihm sogleich ans Leben gehen. Mit dem 1. Band Die Rache der Zauberin schickten Autor Jean van Hamme und Zeichner Grzegorz Rosinski einen Krieger ins Rennen, der bislang sein 32. Albumabenteuer in Deutschland erlebt. Der Auftakt zu Thorgal erfolgte 1977, nicht nur im Comic-Bereich rückblickend betrachtet eine lange Zeit für eine Abenteuerreihe.
Zunächst wirkt es wie ein reines Wikingerszenario, durchaus dem Realismus verpflichtet, sehr bald schon kommt aber ein phantastischer, mythischer Aspekt hinzu. Thorgal Aegirsson soll sterben. Eine geheimnisvolle Frau mit nur einem Auge und einem Wolf an ihrer Seite rettet ihn, fordert aber im Gegenzug seinen Dienst für ein Jahr. Thorgal sträubt sich zunächst. Jean van Hamme, Comic-Autor von Largo Winch, Wayne Shelton, XIII oder Blake und Mortimer, weist eher eine Bibliographie auf, die nicht so sehr mit nordischen Heldenthemen bestückt ist, noch weisen sie besonders stark ins Phantastische.
Betrachtet man den Auftakt der Reihe, stellt sich die Frage: Warum eigentlich nicht? Der Aufbau zeigt einen stufenweisen Spannungsaufbau, der gleichzeitig die Charaktere dem Leser zunehmend vorstellt und ihre Motivationen herausarbeitet. Van Hamme kreierte einen kompromisslosen Helden, stark, unbeugsam, der oft mit dem Kopf durch die Wand will und doch von seiner Ehre und seinem Stolz manchesmal ausgebremst wird. Das weckt Erinnerungen an Filme wie Die Wikinger. Thorgal kommt in einer Mischung aus Tony Curtis und Kirk Douglas daher, mit eben jenen beschriebenen Charaktereigenschaften.
Jean van Hamme bricht allerdings aus einem realistischen Szenario aus, indem er Thorgal in den Kampf gegen einen Riesen wie auch einen Zwerg schickt. Es bleibt nicht bei diesen Einfällen. Wenigstens in der zweiten Hälfte des vorliegenden Bandes wird es noch phantastischer. Grzegorz Rosinski, der Künstler, arbeitet in diesem Auftakt noch wie ein früher Hermann oder auch ein Jean Giraud.
Wie es sich in neueren Bänden zeigt, folgt eine enorme grafische Veränderung der Reihe. Rosinski reiht sich in jene Künstler ein, die sich während ihrer Laufbahn technisch verändert und verbessert haben. Der umfangreiche Anhang zeigt einen Querschnitt von Rosinskis Fertigkeiten und Techniken und gibt einen Ausblick auf die Entwicklungen des Künstlers.
Hier ist die Arbeitsweise noch klassisch. Es wird eher grob koloriert, noch ohne große Schattierungen und Verläufe. Manchmal wird farblich auch gegen den Strich gebürstet, so dass die Farben etwas übertrieben sind oder um des Effektes oder der Atmosphäre willen bewusst falsch gesetzt werden. Die Tuschestrich ist großzügig, sehr frei, erkennbar gepinselt, in jedem Fall eher skizzenhaft. Das ist, wie es früher oft der Fall war, gerade in realistischen Szenarien, sehr organisch und in seiner Wirkung oft sehr ausdrucksstark.
Ein klassischer Auftakt, für all jene Leser, die kernige Helden, Sagen, Schwerter und auch Magie mögen. Jean van Hamme erzählt versiert und spannend, wie man es als Fan von ihm gewohnt ist. Grzegorz Rosinski bietet mit seiner zu jener Zeit perfekten Technik einen tollen Einstieg in die Serie. 🙂
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Montag, 06. Juni 2011
Wer hat die Macht im kleinen Inselstaat Kampong? Yoko Tsuno stellt sehr bald fest, dass Verbrecher hinter schönem Deckmantel ihren Geschäften nachgehen und ihnen niemand das Handwerk zu legen vermag. Ihre Nachforschungen bleiben nicht unbemerkt. Schnell wird sie selbst zum Ziel. Ihre Verfolger scheuen sich nicht, Waffen zu benutzen und Schnüffler zum Schweigen zu bringen. Yoko kann sich ihren Verfolgern entziehen. Ungefährlicher wird es dennoch nicht. Auf einer abgelegenen Insel geht eine Waffe in Stellung, die zu einer noch gewaltigeren Machtverschiebung in Kampong führen könnte. Yokos Überlebenssinn wird gehörig auf die Probe gestellt.
Nur Fliegen ist schöner. Wer die unterschiedlichen Arbeiten von Roger Leloup zu seiner Reihe Yoko Tsuno anschaut, wird sich dieser unterschwelligen Aussage kaum entziehen können. Besonders im vorliegenden 8. Band der Gesamtausgabe mit dem Untertitel Die Erde am Abgrund finden sich einige sehr aussagekräftige Beispiele für diese These.
Den Anfang in diesem Band macht Flug in die Vergangenheit. Die Vergangenheit trifft hier auf die Zukunft. Roger Leloup kreiert hier eine der besten Geschichten um Yoko Tsuno. Der Aufbau ist sehr überlegt. Technik soll hier faszinieren. Thriller-Elemente wie Mordanschläge liefern kurze Spannungsstöße in der schrittweisen Entwicklung des Szenarios. Als Schauplätze dienen die Bretagne, die Schweiz und schließlich sogar das Pamir-Gebirge nordöstlich von Afghanistan. Yoko Tsuno, die ursprünglich als Elektronikerin in mysteriöse Fälle verwickelt wurde, findet sich hier gänzlich in ihrer Rolle als Pilotin wieder.
Es beginnt mit einem Segelflugzeug. Ihre Flugerfahrung wie auch ihr Gewicht weisen sie als die geeignete Kandidatin für einen viel schwieriger gelagerten Flugeinsatz aus. Zuerst folgt das Training am Simulator, schließlich wird es ernst. Die Jagd auf ein vor 50 Jahren verschwundenes Flugzeug hat begonnen. Der präzise dargestellten Technik stellt Leloup einen regelrechten Flugdinosaurier gegenüber, eine Handley Page H.P.42. Ein rein äußerlich aus Wellblech und Holz zusammen gezimmerter sowie mit vier Motoren ausgerüsteter fliegender Wal ist der heimliche Star des Bandes. Leloup holt hier einmal mehr etwas aus der realen Vergangenheit ans Licht der Aufmerksamkeit und webt es sorgfältig in sein Abenteuer ein.
Ähnliches zeigt sich auch gleich zu Beginn des 3. Abenteuers im vorliegenden Band: Der siebente Code. Ein uralter Doppeldecker, als Wasserflugzeug ausgestattet, und ein nicht minder markantes Flugboot geben einen guten Einstand. Allerdings, bei aller Nostalgie solcher Fluggeräte, so vergisst Leloup auch die Zukunft seiner Yoko Tsuno nicht. Diese schlagt sich nicht nur bei der Gestaltung von Raumschiffen nieder, sondern auch beim Entwurf von scheinbar existierenden Flugzeugen. Einfallsreich, genau und teilweise stark in die jeweilige Geschichte eingebunden, präsentieren sich Flugzeuge kleinerer Bauart wie der Kolibri und der Zar.
Es sind Beispiele für die Leidenschaft zur Technik und Fliegerei, allerdings auch Beispiele für die Kleinstarbeit der Vorbereitung zu einem Abenteuer, wie sich aus dem Begleitmaterial im Vorfeld der Abenteuer ablesen lässt. Bei der Gestaltung der Gesichter entstehen nicht ganz so große Unterschiede wie bei der Konzeption der Luftfahrzeuge, aber das mag man Leloup gerne nachsehen, da seine grafische Feinarbeit in bester Tradition zu Werken von Victor Hubinon (Buck Danny) oder Albert Uderzo (Die Abenteuer von Tanguy und Laverdure) steht.
Roger Leloup macht sich sein eigenes Land, angelehnt an real existierende Vorbilder, oder er bedient sich an der Historie, indem er auf die Reste des Kalten Kriegs zurückgreift. In den hier vorliegenden Abenteuern spielt Spionage eine Rolle, kriegerische Konflikte und taktische Pläne, die mittlerweile überholt sind, aber immer noch eine Gefahr darstellen. Elegant lassen sich die Konstruktionen von Leloups Abenteuern nennen, in denen hier die erzählerische Spannungskurve mit der künstlerischen Ausführung Hand in Hand geht. Leloup, der sich thematisch nie festgelegt hat, nimmt den Leser hier mit in Abenteuer, die grob mit dem Genre Thriller übertitelt werden können. Dank ihrer verschiedenen Elemente lassen sie sich aber nicht (wie die gesamte Reihe) zur Gänze in eine bestimmte Schubalde stecken.
Wer Yoko Tsuno bisher von der gruseligen, mysteriösen Seite her kennenlernte, vielleicht auch im Bereich Science Fiction, wird sie bestimmt auch als Agentin für besondere Fälle mögen. Roger Leloup beherrscht auch die Mixtur aus Thriller und Abenteuer perfekt. 🙂
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Samstag, 04. Juni 2011
Regen. In London ist diese Witterung ein normaler, ein häufiger Zustand. Inmitten eines dunklen London ist ein bewaffneter und verzweifelter Mann hingegen seltener anzutreffen. Matt Thurow eilt zu heim und ihm schwant Übles. Und tatsächlich wird er am Zielort, einer kleinen gemütlichen Wohnung, überfallen werden. Die Männer sind erbarmungslos. Einige machen sich nicht einmal die Mühe, ihre Gesichter zu verbergen, so selbstsicher sind sie in ihrem Tun. Die Verbrecher begnügen sich nicht mit Rache an Matt, auch seine Schwester Nelly soll für seine Schnüffelei leiden.
Zweiter Band: Andere Kolorierung. Schöner. Ein Wort, besser kann man es nicht sagen. Im ersten Teil des zweiteiligen Zyklus aus der Reihe Clockwerx wählte Zeichner und Kolorist Jean-Baptiste Hostache noch eine bodenständige, aber erkennbare Computerkolorierung. Hier wird nun Wert darauf gelegt, die Kolorierung natürlicher aussehen zu lassen. Die Imitation einer papiernen Oberflächenstruktur mit etwas Buntstiftabrieb sorgt für den gewünschten Natureffekt. Die Kolorierung im vorherigen Band hätte zwar auch für die Arbeit mit Markern gehalten können, doch ergaben sich einige Strichstrukturen, wie sie häufig bei der dort gewählten Kolorierung auftreten. Zugleich nimmt sich Jean-Baptiste Hostache bei seinem Farbauftrag noch etwas zurück. So entsteht eine sehr ruhige und durchweg schöne Farbstimmung.
Stimmung: Ein viktorianisches London muss auch als solches zu erkennen sein. Das Genre des Steampunk lebt von Atmosphäre. Im zweiten Band des Zyklus mit dem Titel Sintflut sind gerade solche Eindrücke besonders stark. Tageslicht wird der Leser nur einmal entdecken. Ansonsten herrscht die Nacht vor, vielleicht noch die Dämmerung. Innen finden konspirative Treffen statt, es wird gefeiert (eigentlich auch nicht weniger konspirativ), bevor es in den Showdown geht, die Entscheidung, die sich bereits im ersten Band ankündigte. Hier gibt es nur ein Entweder Oder, dazwischen ist nichts.
Die Autoren, diesmal zu dritt am Werke, Izu, Jason Henderson und Tony Salvaggio, klären bestehende Fragen über die Charaktere und ihre Herkunft. Beleuchtet wird, wie Matt Thurow, der ehemalige Kriminalbeamte, auf die schiefe Bahn geriet, indem er in eine Falle tappte. Hinter den Kulissen werden die Pläne der Geheimorganisation Golden Shell deutlicher, die sich mit der Ausbeutung des Energieträgers Luzifernum eine Vormachtstellung sichern möchte. Die Autoren wählen verschiedene, wenige Sequenzen, in denen sie ihre Geschichte treffsicher, pointiert zu Ende bringen und entfalten gleichzeitig einige für das Auge interessante Handlungsorte, die von Jean-Baptiste Hostache mit viel Sinn für die perfekte Perspektive umgesetzt werden (sofern er nicht entsprechende Vorgaben erhalten hat, versteht sich).
Die Rückblende ist Spannung pur, der Aufenthalt am und im Zug ein stilsicheres Vorgeplänkel, bevor schließlich mit einem Ball im Haus von Lord Oak, dem Chef der Golden Shell, eine Szenerie entsteht, die wie eine Hommage an die Eingangssequenz von True Lies wirkt. Dann sind alle Positionen verteilt und fast die gesamte zweite Hälfte ist als Finale anzusehen.
Das Finale: Von London in die Hölle. Der Energieträger hat nicht umsonst den Namen Luzifernum. Neben der technischen Komponente (beeindruckend anzusehen) kommt noch eine mysteriöse Komponente hinzu, aufgeworfene Fragen, deren fehlende Klärung allerdings nicht schlimm ist. (Denn dafür gibt es hoffentlich noch Fortsetzungen. Schließlich wird ganz bewusst das Ende dieses Zyklus verkündet.)
Sehr gut: Eine Geschichte wird in zwei Teilen abgeschlossen. Straff erzählt, sehr schön in seiner Gesamtheit gezeichnet, insbesondere im vorliegenden zweiten Teil koloriert. Jean-Baptiste Hostache ist ein Zeichner, von dem man sich als Comic-Fan mehr wünscht. Nicht nur für Steampunk-Fans, sondern auch für Comic-Leser, die SciFi, Mystery und Thriller mögen. 🙂
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Freitag, 03. Juni 2011
So hatten sich die Männer den Abend nicht vorgestellt: In den wenige Sekunden vorher ruhigen Straßen werden sie plötzlich von einer riesigen Gestalt attackiert, unmenschlich, scheinbar ohne Kopf, brutal. Die Mänenr haben keine Chance. Erst durch das Eingreifen eines Fremden kann Schlimmeres vermieden werden. Ratlos bleiben die Männer in der Dunkelheit zurück, während das Ungetüm davon stapft, wie ein böser Traum. Der Fremde hat ein auffälliges Interesse an der Angelegenheit und will von den Beteiligten mehr erfahren. Sehr schnell gerät er in eine Verschwörung, deren Größe er nicht abschätzen kann.
Das viktorianische Zeitalter, so glorreich und stark, aber auch so schmutzig und gefährlich hat schon viele Autoren inspiriert, allerdings noch nicht so häufig im Comic-Bereich. Die Autoren Jason Henderson und Tony Savaggio haben sich des Zeitalters des Kolonialismus angenommen und vermischen moderne und rustikale Technik, entwickeln eine Verschwörung innerhalb des Empires und blasen zu einem geheimen Krieg hinter den Kulissen des hochherrschaftlichen Londons und seiner arroganten Aristokratie. Jason Henderson und Tony Savaggio kreieren eine eigene Form von Hellfire-Club, ohne Mutanten, aber nicht weniger machthungrig.
Zum Auftakt der Geschichte, angesiedelt 1897, tappt der Leser zunächst ebenso im Dunkeln wie die Londoner Polizei, die ratlos vor der Aufklärung verschiedener Unfälle steht. Wem könnte daran gelegen sein, Schwarzarbeiter umzubringen? Die Arbeiter haben an einem Projekt gearbeitet, das nicht an die Öffentlichkeit dringen darf. Unterdessen bewegt sich ein Schiff im Sturm auf die englische Küste zu. Der Sturm ist stark und es sieht nicht so aus, als würde die Mixtur aus Raddampfer und Hochseesegler die Küste erreichen. Nur unter höchstem Einsatz kann die Besatzung das Schiff über Wasser halten. Dieses Schiff birgt nicht etwa einen blutrünstigen Grafen an Bord, sondern Maschinen, die aussehen wie die Urahnen der Mechs.
Mechanische, aufrecht stehende, von Menschenhand gesteuerte Riesen. Sci-Fi-Fans werden natürlich direkt Vergleiche zu den Mechs von Battle Tech herstellen, einer Reihe, die dergleichen Maschinen schon vor Jahrzehnten im westlichen Raum populär machten. Solche Maschinen im viktorianischen Zeitalter anzusiedeln ist ungewöhnlich, wurde aber auch von Zeichner Jean-Baptiste Hostache ungewöhnlich gelöst, indem er für die Maschinen ein golem-artiges Äußeres entwarf.
Mehr noch: Einige Auftritte anderer Maschinen erinnern an Szenarien wie Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen. Die Technik in dieser Steampunk-Geschichte nimmt die Betonung auf Steam sehr ernst und kann mit Technikentwürfen aufwarten, die faszinierend aussehen und auch den Wunsch wecken, diese einmal in Aktion zu sehen: Bullig, vor Kraft strotzend, zweifellos laut und schnaufend, eine Art Dragster der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert.
Jean-Baptiste Hostache zeichnet möglichst realistisch, so dass das Leben jenes Zeitalters wunderbar zum Leben erwacht. Bei den Figuren vereinfacht er etwas, eine Spur Manga, etwas amerikanischer Comic, in jedem Fall modern. Das betrifft auch die Kolorierung per Computer ausgeführt, realen Pinselstrich imitierend, aber nur bis zu einem gewissen Detailgrad und nicht allzu sehr in die Tiefe gehend. Das funktioniert in einer Zeichentrickoptik, die hier sehr gut passt. Jean-Baptiste Hostache arbeitet wie viele seiner Kollegen (dies ist seine erste Serie) mit Stimmungen und sucht sich gerne eine führende Farbe oder einen Lichterglanz aus, aus dem sich dann alles andere ergibt.
Ein versiert erzählter Auftakt eines Zweiteilers, eine Mixtur aus Science Fiction und Thriller, die nur langsam offenbart, welche Seite die gute ist. Klasse. 🙂
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Mittwoch, 01. Juni 2011
Wann stellen sich Heimatgefühle ein? Wann empfindet man ein Heim als Zuhause? Die Männer, Frauen und Kinder, die unter der Führung des ehemaligen Polizisten Rick Grimes den Weg in die kleine Enklave gefunden haben, wo hinter hohen Mauern so etwas wie Normalität existiert, haben sich noch lange nicht eingewöhnt. Besonders Rick, dem die Verantwortung aufgebürdet wurde und der sich nie darum gerissen hat, fällt ein normaler Alltag schwer. Zu sehr sind die Ängste noch wach, zu lange haben die Untoten ihn gelehrt, immer und stets wachsam zu sein und niemals in dieser Wachsamkeit nachzulassen. Man könnte auch sagen: Der Preis des Überlebens ist ewige Wachsamkeit.
Allerdings scheinen die Menschen, die sie in die Enklave (geht man davon aus, dass die von Untoten überrannten USA ein fremder Staat geworden sind) eingeladen haben, diese Ängste nur im Mindestmaß zu kennen. Waffen innerhalb des kleinen Ortes sind nicht erlaubt. Alles ist irgendwie in eine Friede-Freude-Eierkuchen-Atmosphäre getaucht, die auch vom Anführer der kleinen Gemeinde, Douglas, so gewollt ist. Doch Rick ist misstrauisch. Die Atmosphäre ist trügerisch, der Wille zu gut und die Fassade bröckelt. Denn es gibt Geheimnisse, mit denen die bisherigen Bewohner der Enklave nicht herausrücken wollen. Sehr bald treten Ereignisse ein, die Rick in seinem Misstrauen bestärken.
Normalität ist in einer Welt, in der ein ungeschützter Mensch aufgefressen werden kann, ein Fremdwort. Zwölf Folgen lang haben die Flüchtlinge, die Überlebenden um Rick Grimes nach einem sicheren Ort gesucht, einem Ort zum Durchatmen, wo die Gefahr auf ein Minimum reduziert ist. Kurz fanden sie ein Heim in einem Gefängnis. Der Gitterzaun hielt die Untoten draußen, die Lebenden schlossen sich freiwillig ein. Der neue Aufenthaltsort, eher eine Art Fort, der sich äußerlich wie ein gutbürgerlicher, amerikanischer Vorort ausnimmt, ist größer, schöner und doch gärt es unter der Oberfläche, denn mit den guten alten Vorteilen hielten auch die schlechten alten menschlichen Eigenarten Einzug.
Rick ist wieder Polizist und als solcher will er nicht nur nach außen beobachten. So kommen denn die Bedrohungen zunächst wieder von innen, nicht von außen. Robert Kirkman, Autor der Erfolgserie THE WALKING DEAD beschreibt eine Menschheit im Umbruch. Das Sehnen nach Vergangenem, die Umsetzung, die nicht mehr so funktionieren kann, wie man dachte. Bei genauer Betrachtung ist der Wilde Westen zurückgekehrt. Das Rechtssystem ist vereinfacht worden. Gefängnisse, lange Verhandlungen kann man sich nicht mehr leisten. Ist das Verbrechen zu schwerwiegend, gibt es nur noch ein Urteil: Tod.
Kirkman lässt seine Charaktere um Normalität ringen, besonders jetzt, da sie diese Normalität direkt vor Augen haben und danach greifen können. Jeder Verlust wird betrauert, weil damit stets ein Stück Zivilisation verloren geht, auch ein Stück Menschlichkeit, die man so sorgfältig aufgebaut glaubte. Für Charlie Adlard gibt es nach wie vor auch Zombies zu zeichnen, auch sind die Zeichnungen weiterhin in Schwarzweiß mit den Grautönungen von Cliff Rathburn, aber ein großer Teil der Handlung konzentriert sich auf das Miteinander der Menschen.
Fans der Reihe müssen selbstverständlich nicht auf die Untoten verzichten. Es gibt genügend Szenen, die eine hohe Gefährlichkeit des Lebens veranschaulichen. Da die Enklave noch nicht aus eigener Kraft produzieren kann, ist der Nachschub von außen Pflicht und sehr riskant. Wie riskant, wird von Adlard auf drastische Weise vor Augen geführt. Innerhalb der Enklave sind es Charakterzeichnungen, Gesichtsausdrücke, Blicke, Konstellationen, die ein regelrechtes Drama abbilden. Adlard, zwar nicht von den Anfängen der Reihe dabei, inzwischen aber ein Serienveteran, fängt auch diese atmosphärischen Bestandteile sehr schön ein.
Ein Wendepunkt, der nächste: Robert Kirkman hält die Spannung, die Abwechslung ist vielseitig, die Bedrohungen immer wieder anders. Doch diesmal lässt er den Leser auch mit einem Funken Hoffnung zurück. Aber nur einem ganz kleinen. Mehr gönnt Kirkman seinen Charakteren (noch) nicht. 🙂
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Die Welt, wie wir sie kennen, existiert nicht mehr. Jeglicher Landstrich, die Großstädte, jede noch so kleine Ansiedlung wurde von den Untoten überrannt. Ein Mann hat überlebt. In einer Gefängniszelle hat er unter härtesten Bedingungen ausgeharrt, mit Zombies vor den Gitterstäben. Im Chaos des Untergangs haben die Wärter vergessen, seine Zelle aufzuschließen. Der Mann wartet auf seine Gelegenheit. Ein Verurteilter ist er nicht mehr. Nur noch ein Überlebender. Schließlich hat er Glück und das nötige Geschick, so dass er entkommen kann. Doch vielleicht wäre er in seiner Zelle sicherer gewesen.
Er ist nicht der einzige Überlebende. Noch andere schlagen sich durch diese apokalyptische Welt, allein oder in Gruppen. Einer von ihnen fährt durch das zerstörte Land und denkt an seine Vergangenheit, die zwar, als sie geschah, langweilig und gewöhnlich war, jetzt aber äußerst verheißungsvoll klingt. Er hat sogar schon daran gedacht sich umzubringen. Es wäre ein Leichtes, dem Ganzen mit nur einer Kugel ein Ende zu setzen. Wäre da nicht die Hoffnung, dass da irgendwo vielleicht noch seine Tochter am Leben ist und seine Hilfe braucht. Bis er keine Gewissheit über ihr Schicksal hat, wird er weitermachen. Was immer das in dieser Welt noch bedeuten mag.
Die göttliche Komödie: Der Untertitel des ersten Bandes der neuen Reihe Zombies ist in Anspielung an jenes unsterbliche Werk des Dichters Dante Alighieri gewählt. Dieser schickte seinen Protagonisten geradewegs in das Inferno, im weitesten Sinne eine Situation, nicht unähnlich jener, die auch der Held in dieser Geschichte erfahren muss. Der Held bleibt nicht allein, wünscht sich aber, er wäre es geblieben.
In einer Welt ohne Hoffnung geht Zombies zurück auf die Anfänge des Genres, insbesondere Dawn of the Dead von George A. Romero. Die Macher der Geschichte haben Seattle, einen überaus beliebten Handlungsort, ausgewählt, um als Kulisse des trocken und teilweise mit viel Sarkasmus gewürzten Thrillers zu dienen. Olivier Peru beschreibt einen Mann, der eigentlich mit der Humanität abgeschlossen hat, der alleine wie ein Wolf durch die Gegend zieht und stets befürchten muss, zur Beute zu werden. Ausgerechnet ein kleiner Junge, dem der Mann ohnehin keine Überlebenschancen in dieser Welt mehr einräumt, ändert diese Einstellung.
Der Mann geht mit dem Jungen zusammen auf die Jagd. Das Kind, geschult durch Videospiele, lernt sehr schnell, diese Fertigkeiten in der Realität zu nutzen. Es ist eine glückliche Zeit, denn Glück erlebt in dieser Apokalypse eine neue Definition. Glück bedeutet hier schon, nicht allein sein zu müssen.
Sophian Cholet kann einen Manga-Einfluss in seinen Zeichnungen nicht leugnen. Gerade in den Gesichtern finden sich die Normen dieser Vorlagen wieder, allerdings auch mit mehr Individualität als bei seinen asiatischen Kollegen. In seinem Portfolio beweist er größere Vielseitigkeit, so dass davon auszugehen ist, dass dieser Stil bewusst für diesen Comic gewählt worden ist. Insgesamt haben die Bilder eine hohe Detaildichte. Cholet arbeitet mit unterschiedlichen Perspektiven, um die von Untoten überrannte Weite zu zeigen. Aber er nimmt den Leser auch mit in die Enge halbdunkler Gebäudegänge, in Ansichten, die ein Gamer nur allzu gut von einschlägigen Spielen her kennt.
Vornehmlich gedeckte Farben, Düsternis, Sonnenuntergänge, schlechtes Wetter, Nacht und Erinnerungen simulierend, herrschen vor. Nur selten wird es richtig bunt. Simon Champelovier gönnt nur den ganz wenigen guten Momenten echte Farbe.
Knallhart, ohne Spaß erzählt: Der Serienauftakt ist ein Thriller im Stile des von Romero maßgeblich beeinflussten Genres. Horror ohne jegliche Abstriche. 🙂
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Links:
sophiancholet.blogspot.com (Blog von Sophian Cholet)
sophiancholet-book.blogspot.com (Portfolio von Sophian Cholet)