Ein Pechvogel wird in die Verbannung geschickt. Eigentlich ist Tibill ein netter Kerl. Er hat auch gute Ideen, nur die Umsetzung bringt manchmal Schwierigkeiten. So hatte Tibill auch diesmal nur vor, sein Dorf zu retten. Die Dorfbewohner hießen seine Idee sogar gut, obwohl ihnen die Risiken seiner bisherigen Einfälle sehr wohl bewusst und in Erinnerung waren. Aber ihnen fiel eben nichts besseres ein. Ange, das Autorenduo, das bereits mit Die Legende der Drachenritter eine Erfolgsserie im Bereich Fantasy geschaffen hat, wagt sich nun in eine märchenhaftere Ecke des Genres.
Tibill ist ein Lilling, eine Art Zwerg und damit gehört er zu einer Vielzahl von Rassen, die in dieser Welt zuhause sind. Diese Welt, in der es wimmelt und wuselt, in der Wesenheiten und Tiere, Städte, Dörfer und Relikte aus dem Boden sprießen, als gäbe es gleich zehn Welten zu schaffen, ist der heimliche Nebendarsteller.
Gleich das Titelbild zeigt es: Tibill, der auf seiner Reise die ebenso kleine und heimatlose Loretta kennenlernt (die einige Zeit benötigt, bevor sie sich dazu herablässt, sich vorzustellen), steht vor einem gigantischen Helm, den die Natur bereits überwuchert hat. Riesen schlafen inmitten einer Taverne und das anscheinend schon so lange, dass ihr Körper in die Architektur eingefügt hat und Treppen und Laufstege an ihnen entlang führen. Riesen fischen im für sie flachen Wasser stehend vor der Küste. Aber keiner verliert ein Wort darüber. Und wo die Lillinge klein sind, sind sie noch lange nicht die Kleinsten.
Tibills Welt: Ein Füllhorn. In dieser Fülle kann natürlich alles passieren. Ohne jegliche Beschränkungen wird selbstverständlich auch die Vorgabe zur Aufhebung von Tibills Verbannung wieder machbar: Das Urteil kann unter einer Bedingung aufgehoben werden, nämlich, wenn der Verurteilte die Welt rettet. Wenn es weiter nichts ist, möchte man sagen. Das ist auch schon Vertretern anderer kleinwüchsiger Völker gelungen. Allerdings sahen diese auch eine konkrete Bedrohung für die Existenz aller und darüber lässt Ange den Leser noch im Trüben fischen.
Schwierigkeiten gibt es indessen reichlich, auch ohne den Untergang der Welt vor Augen zu haben: Damit diese entsprechend märchenhaft dargestellt sind, hat sich mit Laurent Cagniat ein Zeichner gefunden, der stilistisch eine jugendliche Atmosphäre herstellt und damit eher an Klassiker wie Johann und Pfiffikus anknüpft. Cagniat bevorzugt keine rein cartoon-artige Darstellung. Er pflegt eine realistische wirkende Umgebung mit ein, die mehr als nur ein Sahnehäubchen ist. Die Szenen aufzuzählen, in denen sich die Massen tummeln und es allerhand zu entdecken gibt, sind zu zahlreich.
Die Bilder sind mit feinen Strichen getuscht, manchmal auch nur so viel, wie gerade eben notwendig ist. Über die Kolorierung von Yoann Guillo entsteht eine hohe Lebendigkeit, insbesondere der Umgebungen und der Landschaften, die einen oft innehalten lassen, um das Szenario einfach nur zu betrachten.
Ein liebevoller Auftakt in einer märchenhaften Fantasy-Welt, die vor Einzelheiten und Ideen geradezu überquillt, im positiven Sinne. Das Duo Ange hat zusammen mit dem Zeichner Laurent Cagniat und der Koloristin Yoann Guillo einen sehr schönen Einstieg geschaffen.
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