Ein Gespräch unter Männern: Eigentlich sollte Rick Grimes ernste Gespräche nicht mit seinem Sohn führen müssen. Eigentlich wünscht er sich etwas anderes für seinen Sohn. Doch Carl hat einen Menschen getötet, ein anderes Kind, willentlich. Er tat es nicht ohne Grund. Er tat es aber auch, weil sein Vater es ihm vorgemacht hat. Weil sein Vater stets solche Aufgaben übernahm, die er keinem anderen aufbürden wollte. Ein Kind wurde zum Mörder, aus Wahnsinn vielleicht. Ein anderes richtete es. Das ist die Welt, in der die Toten die Erde beherrschen. In dieser Welt scheint das Ende nahe zu sein. Oder nicht?
Ruhepause? Ein Neubeginn? Eine Wende? Schwer zu sagen. Die Akteure können jedenfalls einen ruhigen Moment vertragen. Schon einmal wähnten sie sich in Sicherheit. Robert Kirkman ließ seine Charaktere Hoffnung und neuen Mut schöpfen, nur um wieder alles den Bach runtergehen zu lassen. Mit Anlauf. Was folgte war neuerlicher Kampf, gegen Menschen und Zombies, gegen fremde und eigene Unmenschlichkeit, gegen ein Leben, das so gar nichts Lebenswertes mehr an sich hatte. Und genau in diesem Augenblick schickt Robert Kirkman seinen Helden einen Lichtblick, der so unwirklich erscheint, dass sich nicht nur der Leser erst einmal die Augen reibt.
Schöne neue Welt: Einigen Menschen ist es gelungen, ein Reservat für Menschen in einer absolut lebensfeindlichen Welt zu schaffen. Es ist der Versuch einer Rückkehr in die Normalität und wirkt deshalb wie ein schlechter Scherz, ein nicht zu realisierender Neubeginn. Die kleine Mannschaft um den ehemaligen Polizisten Rick Grimes kann die neue Atmosphäre, die so trügerisch scheint, kaum fassen. Eben noch waren sie draußen, den Angriffen der Untoten ausgesetzt, fuhren durch eine menschenleere Stadt und nun wagen einige Menschen innerhalb eines Zauns eine regelrechte amerikanische Vorortsiedlung, mit spielenden Kindern auf der Straße inklusive.
Obwohl alles so schön aussieht (und für den Moment auch ist), unterlegt Kirkman die Szenerie mit Misstrauen auf beiden Seiten. Grimes und seine Begleiter können da draußen einfach nicht mehr so weiter machen. Sie sind körperlich, geistig und auch seelisch an einem Tiefpunkt angelangt. Kurz nimmt Kirkman ihnen noch den letzten Rest Hoffnung, bevor er ein Traumziel auf dem Silbertablett serviert. Die Menschen innerhalb des Zauns, die neue Mitbewohner suchen, da nur so eine Zukunft gewährleistet ist, gehen auf der Suche nach Mitstreitern vorsichtig zu Werke, denn negative Erfahrungen haben auch so gemacht. Und so schafft Kirkman schnell, dem Leser eine Erwartung einzupflanzen: Wann bricht die Gewalt aus?
Denn ohne Gewalt geht es nicht mehr. Selbst Kinder sind nicht mehr davor gefeit. Gewalt ist zum schnellen Lösungsmittel geworden, fast schon zum Allheilmittel. In dieser Welt ist für Diskussion kein Platz und keine Zeit mehr. Falsch verstandenes Mitgefühl kann sehr schnell den eigenen Tod zur Folge haben.Charlie Adlard darf bis auf wenige Ausnahmen in die relative Normalität zurückkehren und einen kleinen Teil des amerikanischen Traums und Lebensgefühls zu Papier bringen. Die Untoten sind angesichts des reißerischen Titelbildes Mangelware. Auch der Sohn von Grimes, auf dem Titel zu sehen, ein Kind, das eine Waffe trägt, muss sich seiner Haut nicht erwehren.
Normalität bedeutet auch: Halloween. Kinder, die sich verkleiden, nach Süßem verlangen, ansonsten Saures verteilen wollen, erscheinen als furchtbarer Witz. Das wirkt optisch nach einer langen Odyssee, die bereits im 12. band angekommen ist, wahnwitzig. Der Eindruck steigert sich allerdings noch durch Annäherungsversuche, Menschen, die ihren Hund ausführen wie auch durch eine kleine Party, dem Gipfel der Normalität.
Sehr viel ruhiger als sonst findet die Geschichte ihren Fortgang: Robert Kirkman tätigt einen Einschnitt, drastisch, wie die berühmte Ruhe vor dem Sturm, ein Element, mit dem Kirkman Erfahrung hat. Auch in Folge 12 immer noch ein Dauerbrenner. 🙂
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