Der Vater ist nicht daheim. Frau und Kinder sind allein. Für die Männer, die auf der Jagd nach Indianerskalps sind, bietet sich eine willkommene Gelegenheit. Ohne mit der Wimper zu zucken, machen sie sich an ihr grausiges Werk. Der junge Mann, der wenig später zurückkehrt, um seine Familie zu schützen, entgeht zwar nicht den Kugeln der Männer, aber immerhin der Skalpierung. Der Grund: Der junge Mann ist weiß, seine Haare hell und somit ist sein Skalp bei den Behörden, die für Indianerskalps zahlen, nichts wert. Schwer verwundet lassen sie den Mann zurück. Der Kopfgeldjäger mit dem Spitznamen WANTED rettet dem jungen Mann das Leben und bringt ihn zu indianischen Freunden.
Neue Western braucht das Land. Nach den großen Westernreihen wie Blueberry und Comanche gab es nicht mehr viel Neues aus dem Wilden Westen zu berichten. Wehmütig dachte der Western-Fan an Buddy Longway zurück, freut sich darüber, dass der Lone Ranger wieder unterwegs ist. Mit WANTED wird die Lücke des knallharten Cowboys gefüllt, des Westmannes, der flink mit dem Colt ist, der eine raue Schale besitzt und einen einigermaßen weichen Kern. Simon Rocca kreiert einen Kopfgeldjäger namens WANTED, in der Tradition der Dollar-Trilogie von Sergio Leone stehend.
WANTED ist der Fremde, der auftaucht, wenn der Gejagte am wenigsten damit rechnet. Gleich zu Beginn führt Rocca den Hauptcharakter fachgerecht bei der Ergreifung eines Schurken ein. Beachtet man die Brutalität in der Erzählung, fühlt man sich als Western-Fan etwas an Das Wiegenlied vom Totschlag erinnert, eine Darstellung von Gewalt, die nicht wegschaut. Die Geschichte greift die historische Tatsache auf, dass für Skalps, die behaarte Kopfhaut von kriegerischen Indianern, Prämien gezahlt wurden. Weiße Skalpjäger, die es sich einfacher machen wollten, überfielen harmlose Ureinwohner, Frauen und Kinder. Bei den offiziellen Stellen fragte niemand nach, ob der Skalp von einem wehrhaften Krieger oder einem heranwachsenden Kind stammte.
WANTED gehört eigentlich zu der Sorte Männer, die hart vorgehen, sich aber nicht einmischen wollen. Probleme anderer gehen sie nichts an. Simon Rocca bricht mit dieser Einstellung seines Helden und setzt so die Geschichte in Gang. Als Zeichner für diesen Comic-Italowestern konnte seinerzeit Thierry Girod gewonnen werden. Es ist keine Zufälligkeit, dass die Bilder sich stark am frühen Hermann wie auch am frühen Jean Giraud orientieren. Bei der Orientierung bleibt es zunächst. Man entdeckt das Können, aber es fehlen hier und dort noch die I-Tüpfelchen, um mit den Altmeistern des Westerns mithalten zu können.
Thierry Girod tuscht mit feinen bis zu fetten Strichen und scheut auch die Unregelmäßigkeit nicht. Er ist bis zu einem gewissen Grad sehr akkurat, lässt aber auch die Tusche mal für sich arbeiten. Hier zeigt sich Handwerk stärker als in neueren per Computer getuschten Werken. In der ersten Hälfte des vorliegenden Bandes wirken die Zeichnungen dichter, schlüssiger, in der zweiten Hälfte wird es dünner, schneller, als habe vielleicht die Zeit gedrückt.
Ein Western, der sich der Realität verpflichtet. Hier wird nicht einfach das Schießen geübt, denn Patronen kosten teures Geld. Hier steht man sich nicht einfach so bei, hier will der Held erst einmal die Notwendigkeit der Hilfe einsehen. Ein Auftakt einer sechsbändigen Reihe, der neugierig macht, aber sein Potential noch nicht ausschöpft. 🙂
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