Isabeau de Marnaye muss sich nicht nur gegen die Männer in ihrer Begleitung behaupten. Eine Frau gilt in Afrika nicht viel und zu sagen hat sie gar nichts. Umso größer sind die Befürchtungen ihrer weißen Begleiter, Isabeau könnte bei dem bevorstehenden Besuch eines leibhaftigen Königs etwas Falsches sagen und so Katastrophe auslösen.
Francois Bourgeon erzählt vordergründig ein historisches Abenteuer. Mehr als nur zwischen den Zeilen ist gehörige Kritik an den damaligen Zuständen ablesbar. Der Sklavenhandel wäre nicht möglich gewesen, hätte es auf dem afrikanischen Kontinent nicht Formen des Besitzes von Menschen gegeben. Die Hierarchien waren steiler, als es der Europäer zu dieser Zeit noch kannte. Ein Menschenleben war dort wie auch später an Bord des Sklavenhändlerschiffes nichts wert. Menschen gingen verloren, sprangen aus Stolz lieber den Haien vor die Fänge. Andere wurden verschenkt und sind doch nur als Witz gegenüber dem Beschenkten gedacht, der eine alte, vollkommen unterernährte Frau bekommt.
In dieses Szenario schickt Francois Bourgeon eine junge, im besten Sinne emanzipierte Frau, den Männern um sie herum eher unschicklich, aber nicht zu bändigen. Isabeau de Marnaye ist nicht die einzige, die ungewöhnliche Situationen erlebt. Auch die Charaktere, die ihr zur Seite gestellt sind, können durchweg überzeugen. Spannende und abenteuerliche Szenen wie ein Schießwettstreit (auch thematisch bereits auf dem Titelbild zu erkennen), der Angriff eines Löwen lösen sich mit Absurditäten ab. Dieser entstammen entweder der vorherrschenden Kultur und sind von einem Europäer nicht zu begreifen oder es sind die Europäer selbst, die wie in hier an einem Duell anzusehen, durch blanken Wahnsinn in den Tod gehen.
Francois Bourgeon setzt seine Geschichte aus vielen Einzeldramen zusammen. Er schickt seinen Leser in ein Wechselbad der Gefühle. Er reißt mit, erweckt Mitleid, auch Abscheu, schafft Freude und ist ein im besten Sinne vorbildlicher Autor im Bereich Graphic Novel. Denn seine Bilder entstehen auf die gleiche penible Art. Jede Seite folgt einem durchdachten Aufbau. Es gibt keine Experimente. Der Leser soll der Handlung gut folgen können, mit der nötigen Geschwindigkeit der Handlung folgen. Die Gewichtung zwischen Handlung, Bild und Dialog stimmt einfach.
Bourgeon zeigt ein buntes Afrika, aber kein farbenprächtiges. Es ist kein Afrika, das mit einer Safari-Romantik aufwarten kann. Das Leben dort ist beschwerlich, die Wege sind beschwerlich, Natur, Tiere und der Mensch sorgen für ständige Gefahren. Die Schluchten sind tief, es ist heiß, auch dreckig, aber eines ebenfalls: Geheimnisvoll. Bourgeon zeigt die unangenehmen wie auch die unerklärlichen Seiten Afrikas jener Tage, jene Seiten, die Afrika aus europäischer Sicht so fremdartig machten. Grafisch macht er dies mit der ihm eigenen Perfektion, die sich nicht nur in der Ausstattung niederschlägt oder auch später den gezeigten Schiffen (für die er ein Faible zu haben scheint), er macht überdies Afrika zu einem Darsteller.
Zeitweilig arbeitet er je nach Bildanteil reduziert mit dieser leichten aquarellartigen Kolorierung, die durch den Tuschestrich eingezäunt wird. So führt er den Blick des Betrachters über das Bild und letztlich über die gesamte Seite.
Ein sehr schöner, weil spannender und interessanter Teil der Reihe, wunderbar gestaltet, mit einer sich zuspitzenden Handlung. Ein moderner Klassiker. 🙂
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