Ist es eine Frau oder ein Mann, der auf dem Friedhof gesehen wurde? Ist es ein Geist gewesen? Diese Fragen führen zurück in eine vergangene Zeit, als ein finsterer und blutdürstiger Herrscher nicht nur seine Feinde schlug, sondern auch sein eigenes Volk nach Belieben und mit furchtbarer Willkür strafte. Sein Name war Vlad Tepes. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhundertsfürchten sich die Menschen vor dem Monster, das von der Burg Targoviste in Transsylvanien herab regiert. Gepfählte Menschen säumen die verschneite Straße zur Burg und gemahnen jeden, der diesen Weg wählt, dass es die letzten Schritte sein könnten, die er in diesem Leben macht. Die beiden Mönche sind voller Gottesfurcht und zuversichtlich. Aber Tepes schert sich nicht um den Schutz Gottes. Oder um seine Gebote.
Pascal Croci verwebt zwei Ebenen der DRACULA-Legende miteinander. Der echte Dracula, Fürst Vlad Tepes, den der Autor Bram Stoker später nutzte, um seine Gruselversion des Fürsten der Vampire zu schreiben, prägt den ersten Teil der Handlung. Croci, der die Geschichte zusammen mit Francoise-Sylvie Pauly schrieb, nutzt die Unheimlichkeit der echten Figur, vergisst aber bereits zu diesem Zeitpunkt nicht, den Vampirismus einzufügen und so eine Brücke zur späteren Kreatur der Nacht zu schlagen.
Aufgespalten in zwei Teile, könnten die beiden Hälften der Handlung unterschiedlicher kaum sein. Die historische Figur und ihr Zeichenstil erinnert an chinesische Schattenfiguren, feingliedrig, zerbrechlich wirkend, spinnenartig, gerade so, wie es der Leser vielleicht aus den Anfangssequenzen von Bram Stoker’s Dracula von Francis Ford Coppola her kennt. Aber Croci verliert sich nicht allzu sehr in filmischen Vorbildern, obwohl sich Anklänge hier wiederfinden. Eine Szene aus Tanz der Vampire wird in Haltung und Flair original umgesetzt. Der echte Dracula ist nicht romantisch, eigentlich ist er monströser und fürchterlicher als der spätere Vampir.
Vlad Tepes ist ein Pfähler. So wie die Römer ihre Feinde entlang der Straßen kreuzigten, so pfählt Tepes seine Verurteilten, aufgespießt, senkrecht durch den Körper und Croci scheut sich nicht, diese Brutalität in aller Konsequenz zu zeigen. Demgegenüber stehen ungeheuer schöne malerische Bilder, entstanden mit einer sehr feinen lasierenden Technik. Die Atmosphäre ist durchweg düster. Croci zeigt ein kaltes, winterliches Land, derb, tot darniederliegend. Die spinnenartigen Kreaturen, Tepes und seine beiden teuflischen Schwestern, seine Frau in ein blutiges Rot gekleidet, tanzen wie auf einer Bühne, in einer Art Ballett.
Im Laufe der Handlung, insbesondere nach dem Umschwung in den Teil, der auf Bram Stoker zurückgeht, wird der Leser zur Abstraktion gezwungen. Er muss durch die Augen der Erzähler blicken (wie in der Roman-Vorlage), einen Dracula bekommt er dann gar nicht mehr zu Gesicht. Denn dieser Dracula ist schließlich nicht mehr fassbar. Er lebt durch das Grauen, das andere durch ihn oder wegen ihm erleben. Landschaftsansichten in England, in Rumänien werden von Text untermalt. Hier setzt Croci eine Grundkenntnis des Themas bzw. der Handlung voraus.
Sehr feinfühlig erzählt, ein wenig fragmentarisch aufgebaut, auch traumhaft, dafür aber, um bei diesem Begriff zu bleiben, auch traumhaft gestaltet. Eine schöne, sicherlich ungewöhnliche wie auch sehr eigene Interpretation des Themas. 🙂
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