Das kleine Mädchen am Flughafen, neben ihrer Mutter auf der Bank sitzend, soll übersetzen. Ob sie Drogen bei sich haben? Das kleine Mädchen weiß weder mit dem Begriff noch mit der Situation viel anzufangen. Die Beamten suchen Streit und nehmen ihren großen Bruder in die Mangel. Chloe lernt Leila, so der Name der kleinen Einwanderin, kurz darauf kennen. Chloe nimmt das Leben leicht. Sie will tanzen und nur tanzen. Und sie kann es. Beim Tanzen vergisst sie alles um sich herum. Ihre Leidenschaft und ihr Können bleiben nicht unbemerkt und bald schon übt sie professionell. Agnes, die eigentlich von Hause aus einen viel besseren Start ins Leben mitbekommen hat, schlägt sich mehr oder weniger alleine durch. Ihre Eltern haben Besseres zu tun, als ein Kind aufzuziehen oder zu erziehen.
Kindheit und Jugend könnten so schön sein. Gäbe es nicht die Eltern, die Schule, unterschiedliche soziale und religiöse Hintergründe, später die Liebe, all die damit verbundenen Irrungen und Wirrungen … Aufzuwachsen war nie einfach. Heute ist es in mancherlei Hinsicht einfacher, in anderen Belangen schwieriger. Sophie Michel beschreibt eine Geschichte über eine langjährige Freundschaft dreier recht verschiedener Mädchen, die gerade deshalb wie Puzzleteile zusammenpassen und wie geschaffen füreinander sind. Das macht es nicht einfacher für die drei Mädchen, aber wenigstens etwas leichter.
Chloe kommt in Frankreich zur Welt, einen Vater hat sie aber nicht. Leila kommt als kleines Mädchen zusammen mit ihren arabischen Eltern in dieses ferne Land. Agnes hat Eltern, diese interessieren sich jedoch kaum für sie und lassen das Kindermädchen all die Arbeit machen.
Schrittweise, an bestimmten wichtigen Punkten im Leben der drei Mädchen, enthüllt sich ein Lebenslauf, der auf den ersten Blick gewöhnlich scheint und doch immer spannender wird. Sophie Michel gelingt es sehr schnell, dass der Leser Zuneigung zu den Mädchen fasst. Es beginnt mit der Geburt der drei, im Alter von fünf Jahren trifft man sie schließlich wieder. Leilas Familie wird bei ihrer Einreise angefeindet, Chloe zeigt ihr Talent und ihre Freude am Tanz, Agnes ist ein höchst einsames Kind.
Emmanuel Lepage zeichnet und malt die drei Mädchen und schließlich jungen Frauen sehr ausdrucksstark mit viel Charakter und Herz. Die drei kleinen Mädchen sind nicht von Beginn an ein Herz und eine Seele. Das Zusammenraufen, viele kleine Szenen (Chloe, die Leila mit der Aussprache hilft, Agnes‘ Kampf gegen die Einsamkeit, schöne Tanzszenen u.a.) fügen sich zu einem großen Ganzen in sanften Farben ausgeführt. Die Qualität des Titelbildes findet sich auf der kompletten Strecke des Comic-Buches wieder (satte 144 Seiten inkl. Skizzenanhang).
Leichte, wenige Umrisse und innerhalb der Figuren oder auch Gegenstände nur wenige Striche bauen ein räumliches Miteinander auf. Ein lasierender Farbauftrag sorgt für Tiefe. Dabei arbeitet Lepage einerseits mit echten Farben, bei Tageslicht, er inszeniert aber auch gerne mit künstlichem Licht und nur wenigen Lichtquellen und experimentiert mit Farbräumen, schafft Atmosphäre, manchmal auch widersprüchlich zur Handlung. Das verstärkt mitunter die Dramatik, in heiteren wie auch sehr traurigen Szenen.
Die Mischtechnik aus Bleistift, Aquarell (und Tusche?) funktioniert stets hervorragend in vereinfachten wie auch sehr komplexen Darstellungen. Die besten Momente sind jene, die ohne Worte auskommen und das Bild (oder die Sequenz) alleine auf den Betrachter wirken kann.
Sophie Michel spannt den Bogen so weit, bis sich der Kreis wieder schließt. Die einstigen Mädchen werden selber Mütter. Es sind in diesen Zeiten gewöhnliche Lebensläufe, auch sehr interessante und mitreißende, obwohl die Hautfiguren dies vermutlich nicht so empfinden würden.
Erzählung mit liebenswerten Hauptdarstellerinnen, unterhaltsam, ehrlich, niemals aufgesetzt wirkend und mit viel Feingefühl erzählt und gezeichnet. Ein auf Realität bedachter Comic abseits von Fantasy und Co. Sehr schön. 🙂
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