Der alte Mann lässt halten. Es ist ein schöner Tag für einen Spaziergang. Einen letzten Spaziergang. Ein großes Erbe wartet. Als die Witwe bei der Testamentseröffnung an der Seite ihrer beiden Enkelkinder den Worten des Testamentsvollstreckers lauscht, ahnt sie vielleicht schon, was auf die beiden minderjährigen Racker zukommen wird. Die Kinder, ein Geschwisterpaar aus Mädchen und Junge, können mit diesem Land nichts anfangen. Aufgewachsen fern von Opas Heimat sollen sie diese wenigstens nach seinem Tode kennenlernen, denn sonst gibt es kein Erbe. Also machen sich die beiden missratenen Sprösslinge an Carnados Seite auf, um Opas Asche in Belgien zu verstreuen.
Der wilde Norden heißt Belgien. Und was für ein Land das ist: Gangster warten an jeder Ecke. Einige Gegenden sind völlig heruntergekommen. Der europäisch allseits bekannte inländische Streit kocht immer wieder hoch und über. Mittendrin soll Canardo zwei völlig hochnäsige und verzogene Gören über verschiedene Stationen zu ihrem Ziel bringen, allein, um das Testament eines alten Mannes zu erfüllen, der zu allem Überfluss ein erfolgreicher Gangster gewesen ist. Der Umstand, eine Nanny bei sich zu haben, die nicht nur auf die Kinder aufpasst, sondern auch eine gewisse Anziehungskraft an ihm entdeckt, macht es zeitweise angenehmer, aber nicht einfacher.
Sokal schickt seinen Inspektor Canardo, den ehemaligen Polizisten und jetzigen Detektiven, auf eine Horrortour sondergleichen. Diese ist nämlich mit einer solch großen Portion schwarzen Humors gewürzt, dass es auf jeder Seite nur so kracht. Sokal hat bisher gute Bände abgeliefert, nicht wenige davon waren auch sehr gut, doch dann kommt plötzlich einer, dessen Handlung noch eine Spur besser ist, noch komischer, noch gemeiner. Und das ist Opas Asche.
Canardo muss sich eher selten mit Kindern auseinandersetzen und jene, die er hier befördern muss, weil ihr Chauffeur bedauerlicherweise in die Luft geflogen ist, sind keine Zierde für ihr Alter. Eigentlich sind sie für gar nichts eine Zierde. In gewohnt tierischer Manier zeichnet Sokal seine fiesen Enten, deren Abgründe nur ein einziges Mal an anderer Stelle noch tiefer ausgeschachtet werden, als das Reisequartett nach Aussage der Nanny in einem Disneyland für Kinderschänder landet (eine Sorte Hinterwäldler, die der Leser sonst nur in besonders harten Horrorfilmen antrifft). Sokal arbeitet sich durch die Verbrecherszene, die seinen beiden kleinen Helden ein Angebot machen wollen, das diese nicht ablehnen können.
Die Linienführung ist straff und versiert, was kein Wunder ist, da die sehr erfolgreiche Serie nun in die 19. Folge geht. Canardos wulstiger Schnabel und sein gelangweilter Blick, der sich nur dann ändert, wenn ihn etwas vollkommen überrascht (was einige Male vorkommt) sind ein Markenzeichen und ein guter Transport von der allseits beliebten (wenn auch vergangenen) schwarzen Serie ins Medium Comic. Sokal benutzt Tiere und Körper, um Charaktere gleich offensichtlicher zu machen. Kinderschänder sind Schweine, Mafiosi sind ebenfalls Schweine, Bulldoggen, der Dorftrottel wird zum sabbernden Erpel.
Eine Grundtönung und eine Schattierung geben den Bildern zumeist Fülle. Mehr braucht es auch nicht. Bei der Jagd durch Belgien, zwischen Abraumhalden, Brüssel und Provinz zieht sehr oft die Geschwindigkeit an. Sokal macht aus Belgien ein Gangstertown, eher düster als bunt.
Schwankend zwischen Lachen und Schmunzeln zündet die 19. Folge von Canardo an jeder Ecke. Fans der Ente im Trenchcoat kommen an dieser Episode nicht vorbei. Wer Fan werden will, sollte einen Blick riskieren. Vorkenntnisse anderer Bände sind nicht erforderlich. 🙂
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