Venedig: Die Bevölkerung feiert den Karneval und alles bereitet sich auf die denkwürdige Zeremonie der Vermählung mit dem Meer vor. Jeder auf seine Weise. Während die einen sich eine schöne Zeremonie wünschen, wollen andere, finstere Mächte, das Schicksal der gesamten Menschheit auf das Fürchterlichste beeinflussen. Kaum sind die Reisenden, die genau das verhindern wollen, in Venedig angekommen, werden sie bereits entdeckt und gejagt. Ihre Flucht ist waghalsig, doch etwas anderes bleibt ihnen nicht übrig. Ihre Häscher scheuen kein Risiko um der Männer habhaft zu werden. Gäbe es die Primordialen in ihrer Gruppe nicht, wäre jeder Fluchtversuch vergebens.
Der Mensch hat zu viel erreicht. Seine Möglichkeiten sind immens. Selbst im Jahr 1565 scheint es keine Grenze mehr für ihn zu geben. In der dritten Ausgabe wird der Kampf gegen die Kirche, die danach drängt, die Oberhand über die Menschen zu behalten, immer dringlicher. Wie in vielen anderen Thrillern auch ist die Kirche hier zum Widersacher der Menschheit geworden, die mit ihren ganz eigenen Wertvorstellungen und Zukunftsvisionen eine Richtung für die Menschheit festlegen will. Mathieu Gabella beschreibt Machenschaften, die erst langsam Gestalt annehmen. Zu Anfang war alles noch diffus, das Szenario war fremdartig, nicht zuletzt wegen der Kreaturen, um die es sich insgeheim dreht.
Kreaturen: Primordiale. Diese Wesen, die wie zusammengesetzt aussehen (was letztlich auch möglich ist, wie die Geschichte erzählt), sind der Ursprung für Legenden, für die Darstellungen seltsamer Gestalten, mythischer Wesen, vielleicht auch für mythologisch aussehende Wasserspeier. Optisch wirken sie, als habe man den bekannten (und unbekannten) Gestalten die Haut, das Fell, die Federn oder die Schuppen abgezogen. Das hat auf den ersten Blick einen leichten Ekelfaktor, der sich angesichts der wissenschaftlichen Betrachtungsweise in der Erzählung schnell gibt.
So faszinierend in der Gestaltung, so aufwendig in der Umsetzung. Für Anthony Jean ergibt sich (nicht nur) durch die vielen Einzelheiten und unterschiedlichen Facetten der Primordialen ein Höchstmaß an Arbeit. Die Einblicke in die Vielfalt der Primordialen, die hier entstehen, sind faszinierend und muten manchmal als tatsächlich biologisch existierende Wesen an. Die mythischen Figuren, die hier nachgebaut werden wirken auf gruselige Weise schön. Einen besonderen Eindruck hinterlassen die Tritonen und die Nymphen, beides Wasserwesen, die hier mythologisch Vorbilder für Meerjungfrauen und Meermänner gewesen sind.
Der Leser darf im Laufe der Geschichte dem Zusammenbau einer Wasserprimordale beiwohnen, sicherlich ein Höhepunkt der Handlung, wenn auch nicht der Höhepunkt, denn dafür haben sich Anthony Jean und Mathieu Gabella erzähltechnisch wie optisch etwas sehr Spezielles ausgesucht: Die Hydra. Jenes Wesen, einst von Herkules angeblich erschlagen, bildet hier ein grandioses Fundament in vielerlei Hinsicht. Dieses neunköpfige Ungeheuer ist derart gigantisch entworfen, dass viele Monster, die sich bisher in Comic, Film und Roman ein Stelldichein gaben, kläglich dahinter verblassen. (Selbst ein Godzilla kann nach Hause gehen.)
Bei all den Details und der erzählerischen Pracht heißt es: Aufpassen. Die Erklärungen, die hier durch die einzelnen Personen erfolgen, auch die Konsequenzen, die sich durch einzelne Handlungsweisen ergeben, wollen aufmerksam gelesen werden. Allerdings ist die Spannung nach einigen Seiten bereits so groß, dass sich die Aufmerksamkeit zwangsweise einstellt. Beide Macher beweisen hier ein außerordentliches Talent.
Eine im wahrsten Sinne des Wortes phantastische Geschichte: Die Kenntnis der bisherigen Geschichte ist ein Muss. Die Bilder sind außergewöhnlich, plastisch und handwerklich von großer Perfektion. 🙂
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