Zum Inhalt springen


Comic Blog


Samstag, 15. Mai 2010

Fegefeuer

Filed under: Mystery — Michael um 19:48

FegefeuerBenjamin Tartouche hat Glück. Er wohnt allein in einem großen Haus. Seine Zukunft … nun, die könnte besser aussehen. Aber noch ist nicht alle Tage Abend. Sein einziger Freund wohnt zwar weit weg. Eine Freundin hat er auch nicht. Aber immerhin hat er ein großes Haus ganz für sich allein. Da muss eine Versicherung her. Man kann nie wissen. Benjamin weiß vieles nicht. Auch nicht, dass er einem miesen Schwein von Versicherungsmakler aufsitzen wird. Dass seine gesamtes Leben den Bach runtergehen wird. Dass er sterben wird. Und damit nicht genug.

Mit einem Schlag kann sich alles ändern. Nicht zum Besseren. Autor und Zeichner Christophe Chaboute entwirft ein Szenario über ein Leben, das, nimmt man die bestehenden Sicherheitsnetze wie Versicherungen und anderes von der Gesellschaft verlangte heraus, auf einer Klippe balanciert und schließlich ohne Netz und doppelten Boden herunterfällt. Schlimmer noch: Die viel beschworenen und allseits beworbenen Netze funktionieren nicht. Noch schlimmer: Am Grunde des Abgrunds geht es noch tiefer hinab.

Nur diese Ausgangssituation und das Danach genügen vielfach schon für eine Geschichte. Chaboute schickt seinen Helden, einen Jedermann, in ein Zwischenreich, ins Fegefeuer. Chaboute entwirft eine Zwischenstation. Hier wird sich entscheiden, welche Aufzugkabine Benjamin Tartouche betreten darf. Die nach oben oder jene nach unten. Tartouche ist ein Jedermann. Andere würden sagen, er sei ein Niemand. Was soll so einer schon verbrochen haben, um das Fegefeuer zu verdienen? Ja, was? Christophe Chaboute fragt letztlich anders herum: Was hat so einer getan, um das Leben verdient gehabt zu haben?

Nichts. Aber auch im Jenseits gibt es eine zweite Chance. Benjamin Tartouche muss einen Menschen finden und diesem ins Gewissen reden, so sehr, dass eine vollkommene Richtungsänderung eintritt. Kleine Wunder geschehen sofort. Große brauchen etwas länger. Eine kleine Aufforderung wirkt recht schnell. Die Änderung eines Charakterzuges ist Arbeit. Verzweifelte Arbeit, wie Christophe Chaboute sehr schön zeigt.

Das Besondere an der vorliegenden Geschichte ist nicht, was Christophe Chaboute alles erzählt. Interessant ist, was zwischen den Zeilen liegt und wie der Autor den Leser in die Handlung einbezieht. Wie er die alltäglichen kleinen Sünden zeigt, die sich aufsummieren, selbst in einem kurzen Leben. Wie er die Hoffnungen zeigt, die Ängste, die Verzweiflung, eigentlich ein allzu echtes Leben, wie es im Comic nicht eben oft vorkommt. Als Schutzpuffer lässt Christophe Chaboute mittels des Fegefeuers wieder etwas Abstand entstehen. Trotzdem greifen die Emotionen zu. Man muss mit Benajmin Tartouche hoffen und bangen.

Die Zeichnungen sind einfach gehalten, auf den ersten Blick überraschend, später aber genau richtig, da sie Luft zur Entfaltung der eigenen Gedanken lassen. Man erkennt Leidensgenossen von Tartouche wieder. Frank Zappa, Van Gogh, Napoleon oder sogar Einstein. Niemand war genial oder mächtig genug, um dem Vorhof zur Endstation zu entgehen. Chaboute arbeitet mit harten Linien, mit einem Strich, der zu Karikaturen passt. Die Kolorierung ist auf das Nötigste beschränkt. Teilweise fällt sie sogar ganz beiseite, denn die Geister haben selbst ihre Farben verloren. Sie sind weiß.

Eine feine Geschichte. Ein wenig philosophisch, mit leichter Hand gezeichnet. Eine kleine Reise, die den Leser bei der Hand nimmt. Ein Comic mit Botschaft? Ja, auch das. Aber Christophe Chaboute erzählt nur über die Wahrheiten, die sowieso schon jeder kennt. Ungewöhnlich. Gut. Und auch ungewöhnlich gut. 🙂

Fegefeuer: Bei Amazon bestellen

Keine Kommentare »

No comments yet.

RSS feed for comments on this post. | TrackBack URI

Leave a comment

You must be logged in to post a comment.