Wo ist Laghou? Daheim bei seinem Clan machen sich einige der Zurückgebliebenen Gedanken über seinen Verbleib. Nicht alle, denn manche sind auch froh, ihn los zu sein. Laghou unterdessen ist in Begleitung der jungen Mana auf dem Weg zum Clan der Moosmenschen, die über einen Lebenstrank verfügen sollen. Dieser Heiltrank wird immer wichtiger, da eine unheimliche Krankheit um sich greift. Einzig die heilenden Fertigkeiten der Moosmenschen könnten dieses Unheil aufhalten, dem immer mehr von ihnen zum Opfer fallen. Der Tod wartet stets am Ende des Krankheitsverlaufs.
Als Laghou und Mana ihr Ziel erreichen, werden ihre Hoffnungen erst einmal zerstört. Die alte U-Toh, die Heilkundige des Clans der Moosmenschen, wurde zusammen mit zwei anderen jungen Frauen von den Blutmenschen entführt. Man wehrte sich, doch gegen die Wildheit und Übermacht des Angriffs blieb keine Möglichkeit der Gegenwehr. Aber das Wissen der alten U-Toh wird gebraucht, mehr noch, es darf nicht verloren gehen. So bleibt nur ein Ausweg: Sie muss befreit werden.
Laghou ist eine überaus sympathische Hauptfigur, ein regelrechter Archetyp, im wahrsten Sinne des Wortes. Hinkend, aber überaus geschickt, ist aus Laghou ein sehr guter Waffenmacher geworden. Allein machte er sich im ersten Band auf den Weg, um den Jagdkristall zu finden, der helfen soll Langbart zu töten, einen gewaltigen Bison, der auf den weiten Ebenen zur Legende geworden ist.
Emmanuel Roudier entführt den Leser im zweiten Band der Neandertal-Reihe mit dem Titel Der Lebenstrank auf eine abenteuerliche Reise. Zusammen mit Laghou, dessen Art einem schnell ans Herz wächst, betrachtet man als Leser diese fremde Welt, in der jener Vorzeitmensch, dessen Epoche sich mit der des modernen Menschen überschnitt, täglich um sein Überleben kämpfen muss. Oder wenigstens einiges leisten muss, damit des abends in der Höhle oder der Hütte ein Feuer wärmt.
An der Seite Laghous erlebt der Leser verschiedene Clans, die meisten einander wohl gesonnen, einer jedoch aus Kannibalen bestehend. Aus einer Reise auf der Suche nach dem Jagdkristall wird die Suche nach einem Tauschobjekt für diesen wertvollen Stein. Und daraus entspinnt sich kurze Zeit später eine Rettungsmission. Emmanuel Roudier erzählt mit absoluter Leichtigkeit, ohne Scheu, wie es scheint. Es ist eine einfache Geschichte, die ohne Schwierigkeiten ihre Wendungen nimmt und Haken schlägt. Obwohl das Album nicht mehr Seiten hat als gewöhnlich, wird man den Eindruck nicht los, dass alles irgendwie länger dauert und sich mehr Zeit nimmt.
Das mag an der Atmosphäre und der geschilderten Epoche liegen. Hier geht nichts schnell: Eine Reise dauert Tage. Es wird zu Fuß gereist. Die Menschen nehmen sich Zeit, um miteinander zu reden. Als Leser verfolgt man die Dialoge gerne. Es gibt nichts, das vom Kern ablenkt. Aus dem Einzelreisenden Laghou wird ein Quartett. Die Suche nach den Blutmenschen ist das einzig Reißerische, die Befreiung der Gefangenen ist das Action-Element.
Durch seine Landschaftsbilder lässt Emmanuel Roudier eine grandiose Kulisse entstehen. In sehr realistisch angelegten Farbbereichen gestaltet Roudier eine Welt, wie es sie gegeben haben könnte. Auf den ersten Blick ist sie nicht so verschieden von der unseren. Auf den zweiten Blick entfaltet sich ihre Wildheit. Roudier zeigt eine Natur, die in Ruhe gelassen wurde. Wilde Tiere streifen umher und der Mensch begegnet ihnen mit Respekt. Löwen, Bären, Wölfe, Bisons, Rentiere. Auch wenn es schlicht ausgedrückt ist: Emmanuel Roudiers Bilder sind einfach schön.
Roudier versteht sich nicht nur auf die Darstellung von Licht und Schatten, er versteht es auch Tusche und Farbe sehr gut ins Gleichgewicht zu bringen. Er inszeniert längere Dialogstrecken, aber ebenso versteht er sich auf Bilder ohne Worte. Eine Hochzeit, eine Verabschiedung oder eine Jagd sind nur einige Beispiele für seine hervorragende Bildsprache, die keinen Text benötigt.
Eine tolle Fortsetzung, die zwar für sich stehen kann, aber im Rahmen der Reihe gelesen, viel mehr Spaß macht. Mit Laghou ist Emmanuel Roudier ein sehr gut aufgebauter und sympathischer Charakter gelungen. Roudiers Bilder sind richtig schön und technisch vorbildhaft. 🙂
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