Für den einen ist sie die Frau seines Lebens. Für den anderen ist sie nur eine Spielerei, ein Zeitvertreib. Und für die Frau bleibt nur die Antwort, dass sie einen Mann braucht, um in dieser Welt zu überleben. Will sie nicht ihr Leben verlieren. Der Mann, mit dem sie sich abgab, vielleicht für die Aussichten auf ein besseres Leben, vielleicht auch einfach für die Aussicht auf einen besseren Mann als den, der ihr mit großer Leidenschaft hinterher trauert, lässt sie ohne mit der Wimper zu zucken zurück. Der Mann, der sie liebt, kann den Vertrauensbruch nicht ertragen und droht damit, sie zu töten. Am Ende fällt ein Schuss. Wen es trifft, bleibt optisch verborgen. Schlussfolgerungen werden dem Leser überlassen.
Wo die Kleinen sich streiten, toben die Großen sich aus. In Miami Beach werden neue Pläne ausgetüftelt. Müßiggang ist rein äußerlich, stets schwingt das Geschäft mit, wenn es sich auch nicht um astreine Geschäfte handelt. Andere sinnieren über Frauen, trinken einen über den Durst. Wieder andere gehen auf einen furchtbaren Trip, essen vielleicht auch einen Hund auf. Und das sind nur die harmloseren Auswüchse in 100 Bullets.
In der 9. Runde der Gangstergeschichten im weiteren Umfeld um Agent Graves, tummeln sich bekannte und neue Gesichter zu einem schaurigen Verbrecherstelldichein. Von Autor Brian Azarello ist der Stammleser einiges gewohnt. In seinem Erfindungsreichtum, auch in der ausführlichen Darstellung von Gewalt steht er einem Frank Miller oder einem Garth Ennis in nichts nach. Neben der Verzweiflung einer Figur steht Unschlüssige einer anderen. Daneben winkt der Killer, dem es nichts ausmacht, einen anderen Mann zur Erlangung von Informationen zu foltern.
Eduardo Risso bannt diese Geschichten mit seiner gewohnt feinen, hier auch sezierenden Weise auf das Papier. Manches wird in gnädige Schatten getaucht und der Fantasie des Lesers überlassen. Scherenschnitte genügen, um zu wissen, was gerade passiert ist. Mit einem Schaudern möchte man sich vielleicht abwenden. Hier werden Szenen aus vergleichbaren Szenarien wie Der Pate locker übertroffen. Ein Pferdekopf ist hier gar nichts. Die Darstellung Rissos überträgt aber noch etwas anderes als Spannung und Gewalt: Bitterbösen und rabenschwarzen Humor.
Hier offenbart sich in der verschachtelten Handlungen ein weiteres Talent Azzarellos, nämlich auf ähnliche Weise erzählen zu können, wie es ein Quentin Tarantino seit längerer Zeit erfolgreich auf der Kinoleinwand praktiziert. Die manchmal parodierende Zeichnung eines Risso trägt zur stilistischen Ähnlichkeit mit Werken von Tarantino bei, der auch gerne eine Figur überspitzt darstellen lässt.
Spain, ein Gangster, der augenscheinlich durchdreht, weil sein Freund und Anwalt seinen kleinen Schoßhund wegen der folgen eines schlimmen Drogentrips einfach verspeist hat, ist ein gutes Beispiel für diese Technik. Mit Bosco, einem Dealer aus Miami, trifft er außerdem auf einen gleichwertigen Gegner (soll heißen: ebenso durchgeknallt). Wenn am Ende ein unschuldiges Kleinkind mit großen Augen auf das blickt, was die Erwachsenen angerichtet haben und eine Hand nach der erschossenen Mutter ausstreckt, dann blitzt das Wörtchen Zynismus mehr als deutlich auf.
Für Freunde des harten Thrillers und Krimis bestens geeignet, allerdings ist die Vorkenntnis der bisherigen Handlung erforderlich. Darüber hinaus heißt es: Am Ball bleiben. Diese Krimireihe ist nichts für den Lesegenuss zwischendurch und will ein wenig aufmerksamer gelesen werden. 🙂
100 Bullets 9, Neun Leben hat die Katze: Bei Amazon bestellen