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Comic Blog


Freitag, 15. Januar 2010

Die Welt von Lucie

Filed under: Mystery — Michael um 17:39

Die Welt von LucieEs soll ein schöner Einkauf werden. Das Kaufhaus ist voll, aber noch lange nicht jeder darf hinein. Die Rabaukenkids, die Straßenkinder, die Unruhestifter, solche, die kein Geld haben, müssen draußen bleiben. Wer Ärger machen will, bekommt Ärger mit dem Wachpersonal. Wenig später brennt das Kaufhaus. Eine Panik bricht aus. Ein Mädchen überlebt: Margaret. Ohne Verletzungen. Allerdings schweigt sie. Meistens. Viel wichtiger jedoch: Es besteht die Möglichkeit, dass sie telepathischen Kontakt besitzt. Aber mit wem? Einst gab es Experimente auf dem Gebiet der Telepathie. Das ist lange her. Die Ergebnisse hatten Potential, doch schnell zeigte sich, dass derlei Fähigkeiten in den falschen Händen zu einer Katastrophe führen können. Hat Margaret vielleicht Kontakt zu einer Versuchsperson von damals? Unmöglich …

Sehr rätselhaft. Obwohl die Handlung in der westlichen Welt spielt, ist die die Geschichte von einer rätselhaften Grundstimmung durchdrungen, wie sie sich in Mangas oder unheimlichen Filmen aus Japan findet. Kris kann als Autor seine Begeisterung für dieses Genre nicht leugnen. Er kennt die Regeln dieses Seitenarms der Phantastik genauestens. Alles beginnt, wie so häufig in diesen Geschichten, mit einem Unglück, das allerdings natürlichen Ursprungs ist: Ein Brand in einem Kaufhaus. Ähnlich schreckliche Ereignisse gibt es leider jeden Tag, so oft, dass die Meldungen meist wieder schnell vergessen sind.

Hier jedoch gibt es eine Überlebende. Eine einzige, der kein Haar gekrümmt wurde. Sie ist nicht in der Verfassung, um sich Gedanken über ihren Zustand zu machen. Andere sind viel mehr daran interessiert, das Geheimnis um ihre Rettung zu lüften. Kris benötigt zur Klärung dieser Frage (die hier nicht komplett aufgelöst wird) einen langen Anlauf, weshalb der Leser wirklich Geduld mitbringen muss.

Er folgt den Aufklärungsspuren der Polizisten Karakis und Roberval. In einem Institut für paranormale Forschung nimmt er an den Ermittlungen von Dr. Emma Chapman und Dr. Sascha Iablokow teil. Margaret, das überlebende Mädchen steht unter ständiger Beobachtung und liegt, bis auf gelegentliche sprachliche Ausbrüche in russischer Sprache (die sie nie gelernt hat), still. Ganz anders ist ein Duo, das ganz langsam immer mehr zusammenwächst: Soledad und Lucie. Soledad ist ein Straßenkind, ein sehr starkes Mädchen, aber zeitweilig immer noch ein Kind. Und Lucie? Die sagt nichts. Lange Zeit jedenfalls. Lucie ist nicht ein Geheimnis, sie ist das Geheimnis.

Lucie könnte eine schwächere und weibliche Version eines Akira sein. Sie ist zwar zugegen, bleibt aber eine Hülle. Ihre Existenz wird durch die Recherchen der anderen, auch durch Soledads Anlernversuche beschrieben. Lucie ist wie ein Geist und zunächst sieht es für den Leser so aus, als sei sie gar nicht da. Zuerst ist diese Situation befremdlich und schwer zugänglich. Es dauert, bis sich einem ein immer größer werdendes Rätsel erschließt, bevor die ersten Antworten hereintröpfeln. Wer Geduld aufbringt, wird angenehm überrascht. So, könnte man sagen, ist Lucie ein wenig LOST in AKIRA. Kris konzentriert sich stark auf seine Figuren, bis es einem dämmert, dass die Geschichte längst in Gang gekommen ist und man mitten drin steckt.

Guillaume Martinez kann ebenfalls nicht leugnen, den einen oder anderen Manga gelesen oder einen Anime gesehen zu haben. Seine Figuren sind in der Art gezeichnet, wie sich japanische Zeichner westliche Charaktere vorstellen. Das wirkt anfangs, hier wie dort, schlicht, skizziert. Das mag sogar stimmen, gewinnt aber durch die Kolorierung von Nadine Thomas und Kness deutlich an Volumen. Guillaume Martinez liefert sehr feine, zerbrechlich aussehende Zeichnungen, deren Strichstärken zuweilen kurz vor dem Wegbrechen stehen. Was zu Beginn eher nach wenig ausschaut, wird im Laufe der Handlung immer mehr. Mit wenigen Strichen wird eine Mimik inszeniert, ein Raum oder ein Ort illustriert. Das lässt nicht nur Luft und Platz für die Entfaltung der beiden Koloristen, das lässt auch dem Leser Platz, mit einer gewissen filmischen Geschwindigkeit durch die Handlung zu gleiten.

Farblich wird, wie meist heutzutage, der Computer eingesetzt. Die Welt von Lucie ist eine kalte Welt. Die Farben zeugen davon. Kaltes Grün, kaltes Blau, metallisches blutiges Rot, kaltes Braun und Grau. Wenige Ausflüge in die Wärme erfolgen in Ocker, Orange oder auch in ein senffarbenes Gelb. Daneben sind glasklare farbige Ausflüge selten, wie etwa im grellen Neonlicht der Klinik. Die gesamte Ausstrahlung sagt: Hier stimmt etwas nicht. Das passt hervorragend und ist darüber hinaus toll auf die jeweilige Szene abgestimmt.

Die Welt von Lucie befindet sich in bester Tradition von Klassikern wie Teufelskreis Alpha oder auch modernen Mystery-Varianten wie LOST oder Akira. Das Werk von Kris und Guillaume Martinez ist nichts für Leser, die einen Action-Kracher suchen. Die Welt von Lucie kommt mit leiser Unheimlichkeit daher, mit Feingefühl erzählt und gezeichnet. 🙂

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Mittwoch, 13. Januar 2010

Die Abenteuer von Tanguy und Laverdure 2

Filed under: Abenteuer — Michael um 19:30

Die Abenteuer von Tanguy und Laverdure 2 - Die Schwadron der StörcheDie Spione haben gute Vorarbeit geleistet. Die Doppelgänger sind perfekt ausgewählt. Leider haben sie sich nicht allzu perfekt auf ihren Einsatz vorbereitet. Selbst wenn: Niemand hätte ahnen können, dass sie auf Flieger treffen, die sich in Australien und in den USA auskennen. So wird Tanguys Vater, ohne es zu ahnen, zum Ziel. Die Spione können kein Risiko eingehen. Schnell ist das Flugzeug von Kommandant Tanguy manipuliert. Gleich nach dem Start schraubt der erfahrene Pilot die Maschine in die Lüfte, doch plötzlich …

Die Mirage III ist nicht nur etwas, auf das Frankreich in seiner Armee stolz sein kann, es ist auch etwas, auf das viele Menschen im weiten Bereich des Waffengeschäfts sehr gespannt sind. Oder interessiert. Über die Maßen neugierig, ließe sich auch sagen. Andere hingegen wollen das Flugzeug einfach nur abstürzen sehen. Ein Auftrag führt Tanguy und drei seiner Mannschaftskameraden nach Israel. Die dortige Luftwaffe möchte ihre Staffeln modernisieren. Dafür brauchen sie das Beste vom Besten. Tanguy ist überzeugt, dass ihre Vorführungen zum Verkauf des Flugzeugtyps beitragen können. Der Auftrag wird schwieriger, als er gedacht hat.

Albert Uderzo gehört, das beweist er mit dieser zweiten Ausgabe der gesammelten Abenteuer von Tanguy und Laverdure, zu den ganz Großen. Bereits mit der ersten Zusammenfassung wusste er zu überzeugen und konnte zweifelsfrei zeigen, dass er noch mehr kann, als nur Funnys zeichnen. Hier bricht die Professionalität noch mehr durch, sind die Zeichnungen noch sicherer, auf den Punkt genau realistisch, dass man es als Leser fast schade finden kann, dass Uderzo diesen Pfad einmal zugunsten von Asterix aufgegeben hat.

Ohne Frage ist er ein Meister der Karikatur, des Funny-Charakters. Wer sich die Figur des Ernest Laverdure genau betrachtet, wird stilistische Eigenarten finden, die es bei Asterix zuhauf gibt, aber auch schon beim guten alten Umpah-Pah zu sehen sind. Eigentlich, wenn man bei aller Bewunderung ganz ehrlich ist, passt Laverdure nicht so recht neben die anderen Figuren, die sehr realistisch gezeichnet sind. Aber es ist gerade dieser Ausbruch, der dieser Reihe eine gewisse Leichtigkeit verleiht, der sich französische Komödien und Abenteuerfilme in den 60er Jahren rühmen konnten.

Neben Gesichtern, die reale Vorbilder haben, wie Abbildungen im Vorwort belegen können, finden sich hier und da auch Charakterköpfe, die einem durchaus bekannt vorkommen. Ein Oberst Arf von der israelischen Luftwaffe könnte durchaus mit einem Caesar verwandt sein. Arf ist weitaus realistischer gezeichnet, doch der gesamte Entwurf der Figur (Gesichtsform, Alter, Haarfarbe, Statur usw.) erinnert stark an den späteren römischen Heerführer, der in der Asterix-Reihe eine nicht unwesentliche Nebenrolle spielt.

Nebenrollen sind hier haarklein auf das Beste besetzt. Selbst der minimalste Auftritt eines Polizisten oder eines Wirts sprüht vor Individualität und ist für jeden Comic-Schaffenden vorbildhaft (die zwar gut sind), dessen Gesichtstypen sich generell wiederholen. Das ist im übertragenen Sinne großes Kino eines Perfektionisten.

Jean-Michel Charlier ist der zweite Kopf dieses Comic-Traumduos. Hier greift Charlier tief in die Trickkiste der Fliegergeschichten. In der großen Zeit des Kalten Krieges wird die Entwicklung der Kampfflugzeuge gnadenlos vorangetrieben. Die Mirage III steht hier exemplarisch für diesen technologischen Einsatz. Trainingsflüge würden schon genügend Möglichkeiten schaffen, um dieses Prachtflugzeug in Szene zu setzen. Aber Charlier wäre nicht Charlier, würde er sich mit Standardsituationen begnügen. So kommen zu den allgegenwärtigen Gefahren des modernen Jagdfliegers noch Sabotage und Spionage, Entführungen und Anschläge hinzu.

Schlussendlich tritt noch Laverdure auf den Plan. Nicht nur, dass er allerhand Unsinn anstellt, an dem er Schuld hat und auch nicht, darüber hinaus ist er ein Tausendsassa, der mit seinem Sportwagen noch mehr Chaos anrichten kann. Eine Spinne im Pilotenhelm (der nicht geöffnet werden darf) genügt schon für einen heiteren Einschub. Laverdure ist die Figur, mit der stets zu rechnen ist, die allerdings nicht vorausberechnet werden kann. Darüber hinaus ist Charlier mit Laverdure ein sehr sympathischer (obwohl er immer ins Fettnäpfchen tritt) und lebensfroher Held gelungen.

Nicht nur ein Stück Comic-Geschichte: Beste Abenteuerunterhaltung, toll und sehr abwechslungsreich erzählt, mit absoluter Perfektion in Szene gesetzt. Wer ein vollkommen anderes Bild von Albert Uderzo gewinnen möchte, dem sei die zweite Gesamtausgabe der Reihe ans Herz gelegt. Selbst Jahrzehnte nach ihrem ersten Erscheinen setzen die hier versammelten Abenteuer immer noch Maßstäbe. 🙂

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Montag, 11. Januar 2010

Sinbad 2 – In den Klauen des Djinns

Filed under: Abenteuer — Michael um 21:32

Sinbad 2 - In den Klauen des DjinnsSinbad hat sich eine mächtige Feindin gemacht: Turabah, die Zauberin. Obwohl sie aussieht, als besuche sie gerade einmal die Schule (ganz gleich welche), besitzt sie doch unglaubliche Kräfte und ist grausam bis aufs Mark. Sinbad nimmt es mit Gleichmut und Leichtsinn. Und wird dafür bestraft. Der Mann, der nach seinen Eltern sucht, ist selbst skrupellos, muss aber sehr schnell lernen, dass es ohne die Hilfe und die Zuneigung anderer nicht geht. Wandelte er bisher alleine durch das Leben, hat er nun weibliche Begleitung. Beinahe jedenfalls. Azna, der weiße Panther, kann sich nach Belieben in eine Frau verwandeln. Darüber hinaus wurde ein Bann gebrochen, der Azna an die Zauberin Turabah band. Sinbad, der alte Charmeur, hat es eben immer noch drauf.

Obwohl es aussieht, als ginge nun alles gut weiter, wendet sich das Blatt gegen den Dieb und Schwerenöter. Sinbad hat keinerlei Mühe, Azna auf seine Seite zu ziehen, sie dazu zu bringen, so gut wie alles für ihn zu tun. Doch das wird bald auch bitter nötig sein, denn Sinbad ringt alsbald mit dem Tod und nur Azna kann ihn retten.

Endlich wieder Geschichten aus dem Morgenland: Die Zeiten eines Douglas Fairbanks Jr. und eines John Philip Law sind lange vorbei, daher kann man als Leser und Fan des Genres dankbar sein, dass sich Christophe Arleston dem Thema angenommen hat. Frisch, unverbraucht, mit vielen neuen Ideen steht hier ein Sinbad bereit, der zunächst ein wenig an Disneys Aladdin erinnert. Und damit gaukelt Arleston zusammen mit seiner Co-Autorin Audrey Alwett und dem Zeichner Pierre Alary dem Leser etwas vor, nur um ihn zur Gänze zu überraschen.

In den Klauen des Djinns hält keinen Dschinni (es gibt unterschiedliche Schreibweisen) bereit. Ganz im Gegenteil: Es ist auch kein Flaschengeist, mit dem sich ein Sabu in Der Dieb von Bagdad auseinandersetzen musste. Dieser war nur hinterhältig. Bei Arleston und Alary sieht der Djinn mörderisch aus, ist verschlagen, böse, gemein, findet Geschmack an Menschenfleisch … Kurz, vor diesem Flaschengeist muss sich einer in Acht nehmen. Apropos: Der Leser muss auch nicht auf Aladin verzichten. Dieser hat hier die drei Wünsche gut genutzt und ist nun der Kalif von Bagdad, der Prächtigen (allerdings ohne jemanden an seiner Seite, der Kalif anstelle des Kalifen werden will, sondern nur mit jemandem, der den Kalifen abservieren möchte).

Aladin ruft einen Wettbewerb aus. Nicht wie einst Robin Hood im Bogenschießen muss sich der Teilnehmer beweisen, sondern mit dem Messer. Jeder Wurf ein Treffer lautet die Devise. Dieser Wettkampf kann mit einigen interessanten Wendungen aufwarten. Immerhin ist ein sprechendes und halbwegs intelligentes Messer daran beteiligt. Klingt merkwürdig, funktioniert aber sehr gut und mit einem tollen, leicht anarchischem Humor.

Pierre Alary, der Zeichner, dessen Arbeit der Leser schon im Dreiteiler um Belladonna bewundern durfte, zeigt eine ungewohnte Sicht und ein ungewohntes Bild des Morgenlandes. Stilistisch fast ein wenig wie moderne Zeichentrickserien aus dem Cartoon Network mit einer Prise Guy Davis und einem Koloristen namens Jean-Paul Fernandez, der über ein ähnliches Händchen verfügt wie ein Dave Stewart. Daraus ergibt sich ein sehr dynamisches Gesamtbild mit sehr eigenem Bildempfinden. Vieles wäre ohne die Zeichnungen von Alary so nicht machbar. Es würde nicht wirken, zu albern sein oder vielleicht auch zu aufgesetzt. Wenn aber eine Turabah mit ihren Bediensteten eine Art Wasserpolo auf Flamingos reitend spielt, denkt man zuerst nicht weiter darüber nach. Bis man feststellt: Moment, die spielen eine Art Wasserpolo auf Flamingos reitend. Bei Alary sind die Bilder dergestalt, dass es so ist. Stilistisch entsteht hier keine Widerrede.

Eine der schönsten Nebenstränge der Handlung ist die Entwicklung von Azna. Klammheimlich reißt sie einen Teil der Handlung an sich und Alary das Kunststück ihr immer mehr Fülle und Charakter zu verleihen, nicht zuletzt durch eine kleine, aber sehr feine Anpassung an das menschliche Äußere.

Grafisch ist ein Pierre Alary für alle Comic-Fans empfehlenswert, die eine neue Mixtur aus Zeichentrickstil und Cartoonstil erleben wollen. Dank eines Jean-Paul Fernandez erreichen die Bilder eine tolle Tiefe und Atmosphäre. Zu Christophe Arleston muss kaum etwas gesagt werden. Er gehört nicht umsonst zu den Top-Erzählern und hat hier aus der Figur des Sinbad etwas vollkommen eigenes geschaffen. 🙂

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Montag, 04. Januar 2010

Das Nest 4 – Bekenntnisse

Filed under: Klassiker — Michael um 20:21

Das Nest 4 - BekenntnisseSerge soll gehen. Aber Serge geht nicht. Zwar hatten die meisten im Dorf ihm eine ganz andere Bestimmung zugedacht und bestimmt keine Rolle als Ersatzpapa im Sinn, aber eines steht fest: Serge ist aus dem Dorf nicht mehr wegzudenken. In der Zwischenzeit haben sich ungewöhnliche Freundschaften geschlossen. Mann hält zusammen. Serge hätte das nicht erwartet. In dieser kleinen Gemeinde werden plötzlich Grenzen übersprungen, sogar von Seiten her, von denen es nicht zu erwarten war. Das ist für die Menschen wünschenswert, allerdings sind es auch Erkenntnisse, die für drei kleine Beobachter immer seltsam bleiben werden. Eine Ente, ein Hund und eine Katze haben längst gegen alle Wahrscheinlichkeit nicht nur Frieden, sondern auch Freundschaft geschlossen. Wen kümmern da die Mutmaßungen darüber, wer wen warum oder ob überhaupt liebt?

Ein Mikrokosmos menschlicher Verhaltensweisen, angesiedelt zwischen Neugier, Gutmütigkeit, Neid, Angst und Liebe. Gut durchgerührt ergibt das eine herzliche Menschlichkeit, eine Normalität, die in dieser Form in Großstädten schwer zu finden ist. Regis Loisel und Jean-Louis Tripp haben mit ihrer kanadischen Dorfgeschichte aus den 20er Jahren eine faszinierende Handlung kreiert. Die hier geschilderte Menschlichkeit, die kleinen Szenen und Episoden rangieren ohne Übertreibung auf einer Stufe mit Veröffentlichungen wie Don Camillo und Peppone. Soll heißen: Wer bislang dem Comic den Wert las literarisches Werk verweigerte, wird mit dieser Reihe eines Besseren belehrt.

In einer Zeit, in der die Uhren langsamer tickten, die Welt noch viel größer war, konzentrierten sich die Menschen viel stärker auf ihr näheres Umfeld als heute. Heute mag die Welt ein Dorf sein, mancher mag den Trost im Chatten finden, aber das hält keinen Vergleich zu einer Szene stand, die Loisel und Tripp hier mit ungeheurem Fingerspitzengefühl geschaffen haben. Gut, warum jemand mitten in einem Dorf an einem Boot baut, mag sich mancher Leser schon gefragt haben. Wichtiger ist allerdings, wie dieser Bootsbau zu einem Treffpunkt wird, wie er Menschen verbindet. Zuerst wortlos im gemeinsamen Zimmern, später im Gespräch. So treffen sich ausgerechnet der Mann, der an der Seite von Marie mit Argusaugen beobachtet wird und der Pfarrer auf dem Boot. Beide sind aufgewühlt. Der eine, weil er nicht kann, wie er soll. Der andere, weil er weiß, warum ersterer nicht kann. Und niemand, so scheint es, darf auch nur ein Wort darüber verlieren. Bis …

Es ist die Zeit der Bekenntnisse. Der alte Noel und der ebenfalls alte Isaac, der eine einäugig, der andere blind sehen so viel besser als der Rest des Dorfes. Was den einen eine Schande ist, kümmert sie nicht. Sie sehen den Kern eines Menschen mit einer Selbstverständlichkeit, die einem bei der Lektüre anrührend leicht erscheint. Die mit kleinsten Dialogen erzählten, manchmal auch wortlos geschilderten Szenen, besitzen eine enorme Lebendigkeit, die in jeder Form von medialer Unterhaltung selten ist. Sei es im Comic, Roman, Film oder Hörspiel.

Das Nest lässt sich Zeit. Viel Zeit. Das ist der Grund. Die leise und langsame Erzählweise ist entgegen aller Erwartung nicht langatmig. Die Geschichte lebt nicht nur durch ihre handelnden Figuren, sondern auch durch die Umgebung, die Fremdheit des Jahrzehnts und durch die Abgeschiedenheit von allem. Nicht nur die Geschichte dauert. In diesen geschilderten Leben dauert alles. Hier muss nichts extra ausgebremst werden, mit dieser neumodischen Entschleunigung des Lebens. Hier geht es nur so schnell, wie es geht. Und das ist im Gegensatz zur heutigen Zeit und auch zu den Erwartungen, die an die zivilisierte Welt gestellt werden, Schneckentempo.

Obwohl es Probleme in diesem Dorf gibt, gibt es auch Lösungen. Die Menschen mögen mitunter verschroben sein, aber sie sind nicht dumm. Regis Loisel und Jean-Louis Tripp entwerfen eine verschworene Gemeinschaft, die auch grafisch wunderbar funktioniert. Großaufnahmen, Gesichtsausdrücke sind hier immens wichtig, da sie einen guten Teil der Handlung miterzählen. Durch seine Abstufungen in der Mimik entsteht ein starkes filmisches Erlebnis. Die Zeichnungen insgesamt sind sehr zerbrechlich wirkend ausgeführt. Regis Loisel liefert die Grundlage, bereits ausgezeichnet, die von Jean-Louis Tripp mit hoher Strichdichte in Licht und Schatten getaucht wird. Mittels Computerkolorierung (der man diesen Aspekt aber nicht ansieht) wird die übrige Arbeit durch Francois Lapierre mit sanften unaufdringlichen Farben erledigt.

Ein toller vierter Teil, der aber nicht ohne seine Vorgänger bestehen kann. Als Reihe ist Das Nest eine absolute Ausnahmeerscheinung im Bereich Comic, gleichzeitig aber auch eine kleine literarische Entdeckung, in der zwischen den Zeilen noch viel mehr zu finden ist, als vordergründig ersichtlich. Sehr gut. 🙂

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Freitag, 01. Januar 2010

Jeff Jordan – Gesamtausgabe 2

Filed under: Cartoon — Michael um 16:05

Jeff Jordan - Gesamtausgabe 2Die Kuh ist nicht das größte Ärgernis, obwohl sie alles frisst, was grün und nicht angenagelt ist. Ein Geist geht um in den Ruinen, weiß, gruselig, leise. Leider auch mit einem Hang zum Schnupfen. Kein Wunder bei diesem Wetter, bei dem noch nicht einmal ein Hund vor die Tür geschickt wird. Jeff Jordan nimmt sich des ungewöhnlichen Falles an. Ausgerüstet mit einer Infrarotkamera macht er Jagd auf den Unheimlichen, nur um am Ende nicht dem Geist, sondern einem roten Mönchen gegenüberzustehen, der nicht minder geheimnisvoll, dafür aber umso schlagkräftiger ist und Jordan erst einmal bewusstlos zurücklässt.

Durch die Hölle von Massacara heißt es gleich zu Beginn der 2. Gesamtausgabe der Jeff Jordan Klassiker. Ein kleiner Staat in Südamerika, mit großen Anteilen einer riesigen Wüste und der Melone als Hauptnahrungsmittel, hat es sich vorgenommen, seine Macht zu vergrößern: Natürlich mit Waffen. Ein Erfinder wurde entführt. Jeff Jordan reist mit seinem Assistenten Teddy geradewegs in die Höhle des Löwen, um den Mann zu retten.

Maurice Tillieux hat seine Hausaufgaben gemacht. Ab einem gewissen Punkt lässt sich nicht mehr sagen, wer Vorreiter, Wegbereiter oder Nachahmer ist. Fakt ist allerdings, dass diktatorische Regime ein gern gesehenes Zielobjekt von lustigen Geschichten und Cartoons sind. Da nehmen sich Spirou und Fantasio ebenso wenig aus wie in gewisser Weise auch ein Isnogud. In diesem beschriebenen Land mit seiner leicht trotteligen Geheimpolizei mag einiges drunter und drüber gehen, in Sachen Gefängnis sind sie beinahe so professionell wie ein echtes Regime. Ein Gefängnis inmitten einer hunderte von Kilometern staubtrockenen Wüste braucht keine Zäune.

So ist nach anfänglichem Spaß, nachdem das Regime und seine Gefolgsmänner so richtig durch den Kakao gezogen worden ist, auch die Spannung Trumpf. Mit einem alten Lkw geht es tags wie nachts durch eine absolut lebensfeindliche Umgebung, während sich die Verfolger bereits an ihre Fersen geheftet haben. Das wird zeitweilig durch Humor aufgelockert, wie es einer Fantomas-Verfilmung zueigen ist. Bereits nach der Lektüre dieses Abenteuers lässt es sich nicht leugnen, dass eine kindliche Leserschaft ihren Spaß an Jeff Jordan haben kann. Tillieux erzählt und zeichnet zeitlos, vor allem zeitlos gut.

Wo es einerseits sehr französisch zugeht, dürfen Verbeugungen vor anderen Klassikern des Detektiv-Genres nicht fehlen. Der Titel Die Nacht des schwarzen Hundes deutet es fast schon zur Genüge an. Wenn ein Hausherr dann noch Barney Basker heißt, ihm ein Hund nach dem Leben trachten soll, werden Erinnerungen an den Hund von Baskerville wach. Zwar spricht Teddy hier auch Edgar Wallace an, nach dessen Motiven auch ein Hund von Blackwood Castle ins Rennen geschickt wurde, aber andere Indizien lassen eher auf eine Verbeugung vor Arthur Conan Doyle schließen. Wie in Die Liga der Rothaarigen dient eine einfallsreiche Mär nur als Ablenkungsmanöver.

Die nächste Verbeugung lässt nicht lange auf sich warten. Der rote Mönch ist fast mehr als nur eine Verbeugung vor dem Schwarzen Abt oder dem Unheimlichen Mönch eines Edgar Wallace. In anderer Hinsicht ist es aber auch ein charmanter Knicks vor dem Landleben und liebevollen Komödien, die sich mit dem doch sehr eigenen Charakter mancher Landbevölkerung beschäftigen. Mit einem feinen Blick zeigt Tillieux, was sich einer einfallen lassen kann, wenn es um die Ankurbelung des Tourismus und die Erschließung neuer Einnahmequellen geht.

Grafisch geht Maurice Tillieux etwas routinierter und kräftiger, vielleicht sogar sicherer zu Werke. Jeff Jordan ist der erzählerische und optische Leitwolf der Reihe, aber Teddy Bär hat sich zu einem heimlichen Star entwickelt. Die Figur des stets zu Späßen aufgelegten Assistenten, der am meisten über seine eigenen Scherze lachen kann, ist einfach und doch schlicht großartig. Zuerst kann man als Leser nur über diesen Charakter schmunzeln. Bis es einen packt. In stilsicheren Strichen gestaltet Tillieux seine Figuren, treffsicher und sauber wird die Realität abgebildet, eine perfekte Kulisse für die Komödie, die Tillieux hier aus Versatzstücken wie auch eigenen Ideen schafft.

Schlicht gesagt: Bestens. So machten es die Funnys einstmals vor und so funktioniert es immer noch. Humor und Spannung kennen eben kein Alter. Wer auf feinem Niveau lachen und spannend unterhalten sein will, liegt mit dem Jungspund Jeff Jordan genau richtig. 🙂

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