Vince rennt dem Dieb durch die Gassen Roms hinterher. Handtaschenräuber sind hier nichts Ungewöhnliches. Ein Mann in der Kleidung eines Priesters, der einen Ganoven verfolgt, ist allerdings nicht alltäglich. Vince hat mehr als nur Glück. In einem kleinen hof kann er nicht nur den jugendlichen Gauner, sondern auch gleich die ganze Bande stellen. Die beiden Anführer, deutlich älter als ihre jugendlichen Gefolgsleute, wollen sich nicht von einem Priester einschüchtern lassen: Ihr Fehler. Vince ist weitaus mehr als ein Mann der Kirche. Diese Erfahrung machen auch die Gauner. Und wenn Vince ehrlich zu sich ist, dann sind es auch keine richtigen Gegner für ihn.
Die Vorfälle des Wochenendes in Davos haben dem Vatikan zu denken gegeben. Eigene, verstärkte Sicherheitsvorkehrungen scheinen wichtiger denn je zu sein. Bruder Vince, auch Janitor Trias genannt, verfolgt die Ereignisse aufmerksam. Pater Soffranello, der Vorgesetzte von Vince, lässt keine Zweifel aufkommen: Die Kirche befindet sich in einem spirituellen Krieg. Die Sekte vom Neuen Tempel wird ihre Fäden weiter spinnen, um an der Macht des Vatikans zu graben. Mehr noch: Es steht zu befürchten, dass die Unterwanderung der katholischen Kirche weiter fortgeschritten ist, als bisher angenommen wurde.
Die Größe des Vatikan-Staates täuscht über die Möglichkeiten seiner weltweiten Einflußnahme hinweg. Autor Yves Sente kennt sich mit dichten Verschwörungsszenarien und Thrillern aus. Er vermag es, sich in phantastischen Themen zu bewegen (Blake und Mortimer), aber ebenso weiß er sich in die Realität einzufinden. Der Janitor spielt mit den Geheimnissen, die zu allen Zeiten, auch heute noch, hinter den Mauern des Vatikans vermutet werden. Tägliche Meldungen wie auch diverse sehr erfolgreiche Thriller haben das Interesse an dieser Thematik wach gehalten.
Nach den vergleichsweise rasant erzählten Ereignissen der beiden Vorläuferbände schaltet Yves Sente hier einen Gang zurück. Bruder Vince, ein Beschützer und Agent im Dienste des Vatikans (man könnte sagen, dass er zu einer Art Inneren Abteilung gehört) ist die Kernfigur. Er ist jung, charmant, gut aussehend, sportlich, mutig, den Frauen nicht abgeneigt, kurzum: Wie kommt solch ein Mensch in den Schoß der Kirche?
Yves Sente nimmt den Leser mit in die Vergangenheit von Vince. Dieser erzählt einer an ihm (als Mann) nicht uninteressierten Journalistin, woher er kam und wie seine Verbindung zur Kirche entstanden ist. Diese Schilderungen, mit Unterbrechungen vorgetragen (und von Francois Boucq illustriert), sind mindestens ebenso spannend wie die Ereignisse in der Gegenwart. Kaltes Braun und Grau färbt die Erinnerungen und grenzt sie deutlich ab. Man könnte im Zusammenhang mit dem Aufbau der einzelnen grafischen Abschnitte von einem prachtvollen Bilderbogen sprechen.
Francois Boucq beginnt im Vatikan und kann sich anschließend der wunderbaren Kulisse Roms bedienen. Demgegenüber steht die sonnendurchflutete Küste Sardiniens und die eher triste Vergangenheit in New York. Im Krankenzimmer seiner komatösen Tante begegnet Vince einem kleinen Mädchen wieder, einem Mädchen, das nur er sehen (meistens jedenfalls) kann. Die augenscheinlich harmloseste Figur ist gleichzeitig die geheimnisvollste. Das Kind, angetan mit einem altmodischen Kleid, ist … Nun, sie hat sich noch nicht offenbart, aber Vince (und sicherlich auch der Leser) hegt einen Verdacht.
Die Gesichter der auftretenden Figuren sind filmisch, sie wirken wie gecastet, wie es auf neudeutsch heißt. Jede noch so kleine Rolle wurde mit einem Charakterkopf besetzt. Hier wird nichts mal eben über den Kamm geschert. Die entsprechenden Blickwinkel und Perspektiven sorgen für optimales Kameragefühl. Boucq zeichnet mit höchstem Sinn für Realismus, gerade so, als seien die Handlungsorte recherchiert und in jedem Detail so existent. Bilder, wie auch die Geschichte selbst, strahlen eine leise Dramatik aus, eine Dramatik, die in einem Finale gipfelt, das man so nicht hätte erwarten können.
Ein sehr guter dritter Teil der Reihe, der einerseits den bestehenden Handlungsstrang fortführt, andererseits auch eine Wende durch neue Hintergrundinformationen und neue Charaktere vorstellt. Sehr spannend, ohne die große Action-Keule zu schwingen. Ein Vorkenntnis der bisherigen Handlung ist erforderlich. 🙂
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