Ein wenig Spaß unter Erwachsenen, irgendwo in einer kleinen Gasse, draußen. Man könnte erwischt werden, doch das gehört zum Spaß. Ansonsten, was soll passieren? Die beiden, Mann und Frau, sind Surrogaten. Diejenigen, die sie lenken, sind weit weg in ihren Wohnungen. Sie erleben die Eindrücke der Umgebung, sie fühlen, was der Surrogat fühlt, doch krank oder verletzt werden, können sie nicht … Das Schäferstündchen geht in die nächste Runde, als ein unheimlicher Fremder auftaucht und der ganzen Sache eine Ende bereitet. Kurz darauf liegen die beiden synthetischen Wesen im Dreck der Straße. Als die Polizei anrückt, ist der Angreifer bereits über alle Berge.
Was wäre wenn … Viele Geschichten gehen auf eine Frage zurück, die genauso beginnt. Hier stellt sich Autor Robert Venditti die Frage: Was wäre wenn, die Menschen einen alterslosen und unangreifbaren Ersatzkörper hätten?
Die Menschen, die einen solchen Surrogaten besitzen, müssen nicht mehr aus dem Haus. Sie müssen nicht mehr trainieren, um fit zu bleiben. Sie werden zwar alt, aber keiner sieht es. Sie bleiben bis zum Ende ihres Lebens leistungsfähig und nach außen nicht älter als 30 (wenn überhaupt). Schöne neue Welt, sollte man meinen. Venditti beschreibt zu Beginn eine Gesellschaft, die sich auf das Prinzip der Surrogaten eingestellt hat. Das Leben durch einen Ersatzkörper ist zur Normalität geworden. Und an dieser Stelle, dramaturgisch passend, wird diese Normalität wieder durchbrochen.
Scheinbar hat es sich jemand zur Aufgabe gemacht, die echte Normalität wieder herzustellen. Dazu geht er über tote Surrogaten. Das Wesen (von einem Mörder zu sprechen, fällt schwer) jagt die Synthetischen. Seine Kräfte sind außergewöhnlich. Es überwindet Häuserschluchten und greift mit Stromschlägen an. In diesem Augenblick geht Venditti noch einen Schritt weiter und lässt einen Polizisten schwach werden, indem er ihm den eigenen Surrogaten nimmt. Und plötzlich ist da ein alter Mann mit mehr als nur einem Bauchansatz, der es mit einem trickreichen Verbrecher aufnehmen muss, der immer einen Schritt voraus zu sein scheint.
Der Leser erhält hier mehr als einen Comic. Hier ist die Bezeichnung Comic-Roman treffend, denn eine ganze Reihe von Zusatzinformationen runden die Geschichte ab, geben ihr mehr Fülle, Atmosphäre, mehr Fleisch. Werbekampagnen (wie sie auch aus der Verfilmung zum Comic schon bekannt sind), zusätzliche Artikel aus unterschiedlichsten Quellen lassen die Welt von Central Georgia Metropolis noch lebendiger werden. Venditti beschreibt eine kalte Welt, deren Kälte sich bis in die engsten zwischenmenschlichen Beziehungen hineinfrostet. Die Hauptfigur, der Polizist Harvey Greer hat seine eigene Frau seit langem nicht mehr gesehen. In Form ihres Surrogaten weigert sie sich beharrlich, sich auszuklinken.
Brett Weldele pflegt einen künstlerischen Ausdruck, mit dem sich der Leser, der etwas mehr gewöhnt ist, vielleicht erst einmal anfreunden muss. Stilistisch erinnert es an die Ausdrucksform eines Ben Templesmith (30 days of night) erinnert. Weldele hält sich mit seiner Illustration noch mehr zurück. Er beschränkt sich auf wenige Striche, fette, leichte, oftmals schnell hinskizziert wirkend, auch unfertig und entwirft so eine unwirkliche Welt, unmenschlich sowieso. Es finden sich nicht viele Details. Hintergründe sind ebenso flink angelegt. Könnte man glauben.
Ich mag Artwork mit Schmutz und Struktur. Ich glaube, dass es viel Charakter hat. Etwas, das glatte Comic-Kunst manchmal vermissen lässt. (Brett Weldele)
Wer sich den Entstehungsweg am Beispiel einer Seite im umfangreichen und sehr interessanten Anhang der Geschichte ansieht, entdeckt, wie umfangreich die Arbeit daran immer noch ist und wie viel Methode in dieser Form der Gestaltung steckt. Weldele, der auch die Kolorierung übernimmt, arbeitet gerne Ton in Ton. Die Figuren sind eins mit dem Hintergrund, meist abgehoben durch aufgesetzte Lichter und eingefügte Schatten. Mit der Gestaltung des Verbrechers, hier mit einem besonderen Eintrag im Anhang versehen, rückt Weldele in die Nähe von Künstlern wie Mike Mignola oder Guy Davis.
Eine interessante Idee, die sehr gut weiter geführt worden ist. Jugendwahn, Entfremdung haben zu einer Art Web 10.0 geführt. Das Leben ist zu einem einzigen Versteckspiel geworden. Eindrucksvoll, spannend, behutsam erzählt, allerdings werden sich Comic-Freunde an den grafischen Stil von Brett Weldele gewöhnen müssen. 🙂
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