Professor Jack Stanton und sein Mentor Professor Alexander Kandel stehen endlich am Ziel all ihrer Forschungsbemühungen. In 6000 Metern Höhe, inmitten schroffer Felsen und umgeben vom ewigen Eis entdecken sie ein in den Fels gemeißelten mindestens 400 Meter hohen Tempel. Aber die langjährig erwartete Entdeckung führt zu einem Sinneswandel von Professor Alexander. Angesichts der Monströsität des Bauwerks bricht sein Enthusiasmus zusammen. Niemand darf jemals von dieser Kathedrale des Unheiligen erfahren. Jack Stanton jedoch will nach all den Bemühungen nicht auf den verdienten Ruhm verzichten.
Ein Buch entsteht. Stanton genießt die Aufmerksamkeit. Über das Fernsehen hat er die Möglichkeit, seine Theorien zu verbreiten, die natürlich etwas marktschreierisch sind, aber im Sinne einer verkaufsfördernden Maßnahme zu erwarten waren. Leider geben die verbreiteten Thesen den meisten Menschen keinerlei Grund an all das, was Stanton erzählt, zu glauben. Doch die wenigen, die Stanton beeindruckt hat, sehen das anders. Einer von ihnen versucht den Professor sogar zu töten. Und das ist erst der Anfang.
Xavier Dorison, Comic-Fans phantastischer Stoffe bekannt von aktuellen Serien wie W.E.S.T. oder Long John Silver, erzählt die Geschichte eines Propheten. Ein Blick in die Bibel zeigt, dass die Visionen, oder jene Dinge, die sie sahen, nicht immer leicht verständlich waren. Es ist keine leichte Vision, die hier von einem Jack Stanton empfangen wird, aber sie ist umso spannender für den Leser. Angeblich gehören Autoren wie Stephen King oder Michael Crichton zu seinen Vorbildern. Nach der Lektüre des vorliegenden Bandes dürften Fans der beiden letztgenannten Autoren dies ausdrücklich unterstreichen.
Mathieu Laffray ist ein klassischer Illustrator, der bei einigen Projekten sein Können unter Beweis stellen konnte. Für Dark Horse schuf er die Titelbilder zu den Comic-Umsetzungen der Thrawn-Trilogie und gab dem Admiral das Aussehen von Clint Eastwood. Für den Film Der Pakt der Wölfe arbeitete er als Konzept-Designer. (Seine Homepage zeigt viele schöne Arbeiten von ihm.
Sein Strich ist ausdrucksstark und auf dem Punkt. Bei Laffray findet sich ein beherrschter, aber auch natürlicher zufälliger Strich wieder, wie er auch einer Illustratorlegende wie John Buscema zueigen war. Die Gesichter besitzen Charakter, Kantigkeit und Individualität. Die Gestaltung der Umgebung fällt aufwändiger aus. Xavier Dorison gibt die nötigen Vorgaben dazu. Seien es der erwähnte Turm, den die beiden Professoren auf ihrer Expedition finden, ein wahrhaft apokalyptisches Szenario im Herzen von New York oder im weiteren Verlauf die Geschehnisse, die dem Comic erst ihren Namen geben: Laffray setzt immer das Nötige ein. Die nötigen Striche, die nötige Tusche (bzw. Schatten) und die nötige Farbe. Die Bilder wirken in absoluter Balance.
Nachdem er sich mit der Realität zu Beginn arrangieren muss, kann sich Laffray in der zweiten Hälfte auf das Gebiet des Phantastischen geben. Es ist ein Ausflug in Bilder, die das Gefühl von Die Reise zum Mittelpunkt der Erde, Der dunkle Turm, ein wenig Dantes Inferno, aber auch von mancher Conan-Geschichte aufkommen lassen. Riesige versteinerte tote Körper sehen aus, als verharrten sie im Moment ihres Todes mitten in der Bewegung. Manche Details zeugen noch davon, was ihnen vorher geschah. Stanton selbst bleibt unerwartet cool. Zigarette rauchend sitzt er auf einem überdimensionalen Totenschädel am Sandstrand eines unwirklichen Meeres. Laffray zeigt viel, doch noch bleibt für die Vorstellungskraft übrig. Wie in sorgsam servierten Appetithäppchen lüftet diese fremde Welt Bild für Bild ihre Geheimnisse.
Das geschieht natürlich nicht zur Gänze. Dorison verfährt ähnlich wie Stephen King, der einst seinen Revolvermann auf die Reise schickte. Aus dem anfänglich dünnbandigen Geschichtchen wucherte regelrecht ein ganzes Universum. Hier gewinnt man als Leser sehr schnell den Eindruck, dass genau das auch hier passieren kann. Das Potential ist mehr als vorhanden. Dorison ergeht sich in Rätseln und erinnert mit dieser Technik auch an den Comic-Autor Regis Loisel. Zum Auftakt werden Puzzleteile ausgebreitet. Als Leser erkennt man, wo etwas zusammenpassen könnte, doch man kann sich erst sicher sein, wenn der Autor die Lösung tatsächlich preisgibt.
Nahe an der Perfektion: Rätselhaft, düster, verschachtelt, aber mit Verstand erzählt. Erstklassig illustriert. Lange war endzeitliche Stimmung nicht mehr so gut. 🙂
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Links:
www.lauffray.com (Homepage von Mathieu Lauffray)
www.youtube.com/watch?v=bo4d8oTU2tk (Drawing Superheroes 2/3, John Buscema ist der erste Zeichner)