Dienstag, 08. September 2009
Der Nordstaatler schießt auf den Südstaatler. Isabeau und ihr Begleiter, der Fotograf und Reporter Quentin, geraten mitten in diese Schießerei. Isabeau hegt noch den Funken Hoffnung, dass sie als Zivilisten heil aus der Sache herauskommen, aber sie irrt sich. Nur Augenblicke später wird auch auf sie beide das Feuer eröffnet. Quentin will nicht kampflos sterben. Er schießt zurück und schießt und schießt, bis das Magazin leer ist und der Nordstaatler sich nicht mehr rührt.
Es herrscht Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten. Andere nennen es schlichtweg Chaos. Dieser Krieg war bereits häufig Thema von Erzählungen, Romanen und auch Comics. Francois Bourgeon nutzt den Hintergrund dieser amerikanischen Epoche, um das Schicksal von Isabeau Murrait zu beleuchten und eine Frau aus der Vergangenheit zu reißen, die der Leser in der Ursprungserie Reisende im Wind kennenlernte: Isabeau de Marnaye.
Selten nur findet sich eine solche Konstruktion im Comic oder auch in der Erzählung allgemein, in der nach vielen Jahren das Leben einer Figur forterzählt wird. Bourgeon arbeitet auf zwei Zeitebenen. Einerseits begleitet der Leser die Isabeau einer neuen Generation, andererseits begegnet er der alten Isabeau und lässt sich später von ihr durch Erzählungen in die Vergangenheit entführen. An dieser Stelle wird der Bürgerkrieg zur Nebensache. Zwei starke Frauen treffen aufeinander, getrennt durch 80 Lebensjahre. Ihre Welt, die ihnen nun gemeinsam ist, hat nichts von ihrer Faszination, aber auch nichts von ihrer Brutalität verloren. Die Menschenverachtung, der die alte Isabeau in Afrika begegnete, findet sich nun in Amerika und macht auch keinerlei Unterschied zwischen Schwarz und Weiß.
Aufwändig ist das Wort, das die gesamte Produktion überschreibt. Gleich das erste Bild (bzw. die beiden Eingangsbilder) füllt eine Seite aus. Ein kleinerer Zubringer hebt ein Detail aus einer anderen dramatischeren Perspektive hervor. Das Hochherrschaftliche der alten Farm aus dem Süden, wie es von vielen Ansichten wie auch aus Klassikern wie Vom Winde verweht oder auch Fackeln im Sturm her bekannt ist, zeigt deutlich die Bedrohung des Paradieses. Nur diese Seite erzählt bereits eine kleine Geschichte von Flucht und Panik, vom Niedergang und von Schönheit des Landes, die gleich darauf auf den nächsten Seiten vom brutalen Chaos des Krieges überlagert wird. Der Tod macht keinen Unterschied zwischen Jung und Alt und so ist nicht der Angriff eines gepanzerten Kanonenbootes das wirklich Dramatische, sondern die Beerdigung eines fünfjährigen Jungen, der letztlich nur einer von vielen Toten ist.
Sehr bald nach dieser Einführung der allgemeinen Schrecken des Krieges und der persönlichen Schmerzen von Isabeau Murrait, nimmt Bourgeon den Leser auf eine Wanderschaft durch ein zerrissenes Land mit. Er zeigt, dass zwar die Abschaffung der Sklaverei ein Gegenstand der Auseinandersetzungen zwischen Nord und Süd gewesen sein mag, aber letztlich beide Seiten über Rassisten verfügen. Soldaten töten sich wegen ihrer Uniformen, aber sie machen auch vor Zivilisten nicht halt. Isabeau, die eine sehr resolute junge Frau für ihre 18 Jahre ist, nimmt schließlich doch Hilfe an. Nicht dankbar zuerst, doch später wenigstens mit einer gewissen Freude und auch Erleichterung.
Für jemanden, der die alte Isabeau, die erste aus den alten Geschichten kennt, ist der Einstieg merkwürdig (falls er nicht die Kurzbeschreibung auf der Rückseite gelesen hat und vorbereitet ist). Es fehlt gegenüber den alten ersten fünf Ausgaben das Geheimnisvolle, wie es Afrika in manchen Geschichten einfach grundsätzlich mitbringt. Amerika hingegen ist bereits lange entzaubert und so wirkt diese Geschichte anfangs wie eine Art Western. Dieser ist zwar anders erzählt als gewöhnlich, wartet mit einem beinahe tropischen Klima auf (es beginnt in New Orleans) und hält nichts von den legendären Felsen mit einem vorüberreitenden John Wayne bereit.
So lebt die Handlung von den Gegensätzen und wird so zur Besonderheit. In dem Augenblick, als die alte Isabeau ihre Geschichte erzählt, von der Moderne des Bürgerkriegs weg hin zu den alten Sklavenaufständen, älteren Lebensweisen, kehrt auch die Magie zurück. Das ist von Francois Bourgeon auch so gewollt, denn seine junge Isabeau, die den Erzählungen ihrer Urgroßmutter lauscht, kann sich dieser Magie auch nicht entziehen. Ohne Zweifel hat Bourgeon seine grafische Technik weiterentwickelt, perfektioniert sogar. Sein Blick und seine Ausführung ist gnadenloser geworden, sezierender, aber nicht weniger schön als früher. Ob Körper, Gesichter, Häuser, Pferde, Landschaft oder dichtes Gestrüpp, alles wird mit der gleichen Professionalität und Leidenschaft gezeichnet. Es ist schwer zu sagen, wann und wie genau die Geschichte den Leser packt, aber dass es sie bei historisch interessierten Comic-Fans schaffen wird, das sollte außer Frage stehen.
Eine sehr schöne literarische Fortsetzung mit einem künstlerischen Francois Bourgeon, der nach seinen bisherigen Arbeiten sich noch verbessern konnte und einen Zenit erreicht hat, der anderen Künstlern zum Vorbild dienen kann. Wer am tiefen Süden der USA und ihren Anfängen interessiert ist und Abenteuer mag, der findet mit dieser Ausgabe genau das richtige Lesefutter. 🙂
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Montag, 07. September 2009
Alle haben sie sich in der Höhle versteckt: Mama Bär und Papa Bär. Die drei blinden Mäuse ebenso wie der gestiefelte Kater. Der Dachs, der Maulwurf und der Kröterich. Eines Tages gehen ihnen die Vorräte aus. Was sollen sie machen? Draußen mag es vielleicht noch Nahrung geben, aber dort treiben sich auch die Patrouillen des Feindes herum, Kobolde, die jeden Flüchtling töten. Die Tiere haben keine Wahl. Still und heimlich machen sie sich an ihre lebensgefährliche Aufgabe.
Der große böse Wolf soll ein Schwächling gewesen sein? Autor Bill Willingham macht sich so seine Gedanken darüber, was hinter den Kulissen der Fables-Welt vor sich gegangen sein könnte. Warum verhalten sich manche so und nicht anders? Warum ist zum Beispiel Bigby, der Wolf, tatsächlich (wirklich) groß und mehr als nur böse? Willingham lüftet viele Geheimnisse der Fables, eingebunden in eine Rahmenhandlung aus 1001 Nacht, die wir so noch nicht kannten.
Snow White, oder wie wir sagen würden: Schneewittchen, logiert als Gast eines Sultans, der allerdings keinerlei Wert auf seinen Gast zu legen scheint. Snow White wird nicht empfangen, auch nicht, nachdem sie sich sehr über dieses Verhalten beschwert hat. Selbst ihr Status als offizielle Abgesandte von Fabletown hilft ihr nicht weiter. Das Gegenteil ist der Fall: Frauen als Gesandte auszuwählen ist am Ort ihres Besuches nicht nur unschicklich, sondern wird vielmehr als Beleidigung aufgefasst.
Kann ein kopfloser Körper sprechen?
Snow White gerät in eine Geschichte hinein, die aus 1001 Nacht hinlänglich bekannt ist. Es geht fortan um Schneewittchens Kopf. Nach einer rundum bezaubernd illustrierten Einleitung geht es an die erste Kurzgeschichte mit dem Titel Fechtstunden. In einer von John Bolton ungewöhnlich schön und im wahrsten Sinne des Wortes märchenhaft gestalteten Episode, erhält eine junge Braut von ihrem Prinzgemahl Fechtstunden. Ausdrucksstark und kräftig koloriert haben die Bilder von Bolton auch etwas reliefartiges. Die Ausstattung der einzelnen Figuren, ihre Bekleidung und ihre jeweilige Haltung wirken wie alte Gemälde, die ein Stück natürlichen Lebens der damaligen Zeit zeigen. Aber sie bilden auch die Pracht jener Tage ab, die rein gar nichts mit dem Leben der gewöhnlichen Bürger zu tun hatte.
In weiteren Abenteuern und hintergründigen Episoden erfährt nicht nur der Sultan nach und nach mehr aus der Vergangenheit der Fables. Auch der Leser lernt mehr über die skurrilen Begebenheiten, die den Charme dieser Reihe ausmachen und einen schier unergründlichen Topf für Ideen bieten. Willingham weiß die Möglichkeiten nicht nur für lange heftübergreifende Spannungsbögen zu nutzen, er schafft auch den Trick, auf vier Seiten eine pointierte Handlung zu erzielen, die einerseits Fürchterliches beschreibt, andererseits mit einem Augenzwinkern endet.
Beispielhaft hierfür ist die Geschichte über den Kampf der Kaninchen gegen einen Kobold. Willingham überlässt hier vieles der Phantasie des Lesers, nur den Witz zum Schluss, den lässt er sich nicht nehmen. Einiges zündet erst auf den zweiten Blick so richtig (so wie dieser Witz). Manches wie die Geschichte um den bösen Wolf, der schließlich sogar seinen Vater verschlingen will, ist wie das Anrennen gegen Windmühlen. Willingham macht keinen Hehl aus dem kommenden Ende, nur der Weg hält Überraschungen bereit.
Die grafische Umsetzung, für die eine Vielzahl von Künstlern gewonnen werden konnte, schwankt zwischen fein und knuffig, ein wenig Jugendstil, Pastellmalerei, Kreidetechnik, Öl und Aquarell. Insgesamt findet sich hier eine Bandbreite von Techniken, die eher selten im herkömmlichen Comicgeschehen sind und daher schon einen Blick wert sind. Wer Märchen mag und einige besondere Maltechniken zu schätzen weiß, die der Fan eher im Albenformat vorzufinden wähnt, wird hier sehr positiv überrascht werden, zumal die Qualität der Bilder sehr gut ist.
Wunderbar kurzweilig, toll erzählt auch für jene, die mit den Fables bislang noch nichts anfangen konnten. Die Illustrationen sind über das Normalmaß hinaus gelungen und ein echter Blickfang. Klasse. 🙂
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Freitag, 04. September 2009
Ein Blick nur war es, den der Matrose Hoel sich erlaubt hat. Doch es war ein Blick zuviel. Matrosen, die einen Blick in Offizierskajüten werfen wollen und ein Übermaß an Neugier an den Tag legen, sind nicht gut angesehen auf einem Schiff mit 800 Mann Besatzung. Nun harrt er seiner Strafe. Auspeitschen. Das Fahren von der Rah, von hoch oben ins Wasser. Nur das berüchtigte Kielholen wird es nicht sein, denn das ist verboten worden. Aber werden sich die Schiffsoffiziere auch an dieses Verbot halten?
Mit zwei Serien hat Francois Bourgeon hierzulande besonders auf sich aufmerksam gemacht. Dazu gehören Die Gefährten der Dämmerung und Reisende im Wind. Während ersterer Mehrteiler im finsteren Mittelalter angesiedelt ist und nicht wenige phantastische Elemente aufzuweisen hat, findet sich der Leser in Bourgeons anderem Klassiker gegen Ende des 18. Jahrhunderts wieder, einer Hochzeit der Sklaverei.
Viele werden von der Geschichte des Prinzen und des Bettelknaben (Mark Twain) gehört oder gelesen haben. Die Ausgangssituation hier ist ähnlich. Zwei Mädchen von unterschiedlichem sozialen Stand, aber ähnlich in ihrem Äußeren tauschen die Rollen. Doch nach dem Tausch legt das nun höher gestellte Mädchen keinen Wert mehr darauf, den Schwindel zu beenden und lebt das Leben der einstigen Freundin weiter. Zwar kommt es später wieder zu einer Annäherung und das verratene Mädchen gewinnt mittels sexueller Fertigkeiten sogar die Kontrolle über ihre Freundin, doch ein Rücktausch der Identitäten ist durch die physische Veränderung infolge vieler Jahre nicht mehr rückgängig zu machen.
Anziehung und Hass machen das Zusammenleben von Agnes de Roselande und Isabeau de Marnaye aus. Isabeau ist die unzweifelhaft stärkere der beiden, jene, die zu jedem Trick und jeder Maßnahme greifen würde, um einen Vorteil zu erlangen oder wenigstens mit dem Leben davon zu kommen. Nach langen Jahren, in denen Isabeau unter der Verwechslung gelitten hat, will sie nun ein neues Leben fern der Heimat beginnen. Die Reise wird zu einer Tortur. Auf einem Schiff mit 800 Männern Besatzung können zwei junge Frauen nur zu Unruhestiftern werden, weshalb Isabeau und Agnes ihren Aufenthalt unter Deck verbringen. Beinahe jedenfalls, denn mit Isabeau hat Bourgeon eine faszinierende Frauenfigur entworfen, der ihre Überlebensfähigkeit und Zähigkeit nicht anzusehen ist, die aber berechnender, klüger und geduldiger ist, als so manches Mannsbild, das sich gemäß der Epoche als die Krone der Schöpfung wähnt.
– Man sollte diese dreckigen Biester verjagen, bevor sie die Fantasie unserer Matrosen erregen. – Ich verstehe Ihre Befürchtungen, Herr Kaplan! Immerhin sind Sie hier der einzige, der ein Kleid trägt.
Es sind solche kleine Auseinandersetzungen zwischen dem Schiffskaplan und dem Schiffsarzt, die für eine große Dichte der Geschichte sorgen. Abgesehen von den Rückblicken auf die Vergangenheit der beiden jungen Frauen ist die Handlung an Bord des Schiffes mit einer Prise Liebe, sogar ein wenig Erotik versehen, bevor Bourgeon die Wirklichkeit zuschlagen lässt und der zu dieser Zeit ewige Kampf zwischen Frankreich und England um die Vorherrschaft auf See in ein dramatisches Finale mündet.
Als zeichnender Künstler verfügt Bougeon über ein paar charakteristische Merkmale, die er auch in seiner neuesten Produktion, der Fortsetzung zu Reisende im Wind nicht verloren hat. Die Gesichter sind allesamt Charakterköpfe, stets erkennbar, aber sie besitzen auch einen Anklang von Konstruiertheit. Auf den ersten Blick wirkt das störend, doch da sich Bourgeon auf jeder Seite an seine sorgfältig entworfenen Figuren hält, lernt man diesen Aspekt sehr zu schätzen. Seine Art einen Faltenwurf zu zeichnen, Kleidung beinahe wie ein Gelände wirken zu lassen, findet man als Leser nicht häufig im Comic-Genre. Wie sehr Bourgeon ein Konstrukteur unter den Zeichnern ist, zeigt sich an Schiffen und Uniformen, an Einzelheiten von Takelage und Kajüten, wo er nicht das Geringste dem Zufall überlasst.
Bei Bourgeon stehen Tod und Sexualität dicht beieinander. Der Künstler und Autor beschönigt nichts, bildet drastisch ab, zeigt das nackte Leben jener Zeit so wahrheitsgetreu wie möglich und so notwendig es die Geschichte verlangt.
Eine extrem spannende und durchdachte Geschichte in einer außergewöhnlichen Zeit des Umbruchs. Intrigen, Hass und Liebe, Seeschlachten inklusive: Francois Bourgeon hat hier den ersten Teil eines Klassikers der Comic-Unterhaltung vorgelegt, die perfekt zeigt, wie sehr das Genre auch der Literatur zuzuordnen ist. 🙂
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Eben noch hat Ritter Vaune ein Machtwort gesprochen. Eben noch war sie von der Nichteinmischungspolitik in die inneren Angelegenheiten der Herrscherhäuser überzeugt: All das ändert sich mit dem Anblick eines Platzes, auf dem sich in langen Reihen, dicht an dicht, minderjährige Sklaven beiderlei Geschlechts aufgestellt haben. Dort warten sie wie Vieh, bis man sich ihrer bemächtigt, ihnen eine Aufgabe zuteilt, die nichts anderes beinhaltet, als in irgendeinem Harem Dienst zu tun. Solange, bis man ihrer überdrüssig geworden ist, weil sie zu alt sind. Die Drachenritter dürfen nichts tun. Aber die Saat des Aufstands kann ohne Taten gesät werden, nur mit Worten.
Die Drachenritter sollen sich nicht in die Belange von Königen oder Fürsten einmischen. Ihr Kampf ist der gegen Drachen und sonst nichts. So lautet die Anweisung, so ist die Theorie. In der Praxis sieht die Umsetzung manchmal ganz anders aus. So mancher Fürst denkt, er könne sich der Drachenritter bedienen, um seine eigenen Interessen zu schützen. Oder die Drachenritter sieht von den Gegebenheiten vor Ort so schockiert, dass sie es kaum vermögen, sich nicht einzumischen. Drachenritter sind ausnahmslos Frauen und als solche müssen sie außerdem Jungfrauen sein, wollen sie nicht von dem großen Übel befallen werden, das um sich greift, wenn ein Drache ein Gebiet in seinen Besitz nimmt. Obwohl sie so wichtig sind und ihren Wert im Kampf gegen die Bestien bewiesen haben, ist doch jedes Mal eine neue Zurschaustellung ihrer Qualitäten nötig. Andernfalls werden sie von männlichen Kriegern kaum ernst genommen. Eine eigentliche unerträgliche Situation, die nur Drachenritter mit großer Selbstdisziplin meistern können. Nicht umsonst ist der Bund als Orden organisiert und streng strukturiert.
Vor Ort allerdings, im Einsatz sind die Drachenritter allenfalls in der Stärke kleiner Gruppen auf sich selbst gestellt. Und da fangen die Schwierigkeiten an: So wie in der vorliegenden 7. Folge der Saga. Da die Geschichten generell für sich alleine stehen und keine Fortsetzungen darstellen, ist ein Quereinstieg jederzeit möglich. In der Stadt, die das Autorenduo AnGE als Handlungsort ausgesucht hat, ist das Übel allgegenwärtig.
Dieses Übel kann verschiedene Ausprägungen haben. Es verändert die Gestalt von Tieren und Menschen, treibt in den Wahnsinn, kann aber auch nur psychische Auswirkungen haben, die nicht sofort als Zeichen der Anwesenheit eines Drachen erkennbar sind. Was die Herrschenden nicht sehen, wollen sie nicht begreifen. So fallen die warnenden Worten der Drachenritter, die für eine Evakuierung der Menschen sind, auf unfruchtbaren Boden. AnGe spielen mit einer typischen Situation: Der Leser weiß es hier besser und möchte den verneinenden Verantwortlichen am liebsten in den … treten, weil sich diese so stur zeigen. Das Konzept ist nicht neu, aber es funktioniert, vor allem, da es erst den Auftakt zu einer dramatischen Reihe von Vorfällen bildet, die geradewegs in die Katastrophe führen.
Thierry Demarez zeichnet skizzenhaft, aber auch sehr zart und spart keine Details aus. Er bildet eine starke, fassbare und urige Welt ab, in der gelebt werden kann. Es ist eine Welt, in der geraucht wird. (Zigaretten! Ungewöhnlich, aber es wirkt nicht aufgesetzt.) Weitere Ansichten dieser Zivilisation werden zum Zankapfel unter den Drachenrittern. Ein junges Leben ist hier nicht viel wert. Kinder, Mädchen und Jungen, nicht älter als dreizehn, werden zur Paarung geführt, ein Aufmarsch, der wahrlich, wie sich ein Drachenritter ausdrückt, an eine Viehschau erinnert und die Unmenschlichkeit dieser Kultur auf den Punkt bringt. Der Drache, riesenhaft gezeichnet von Demarez, ist hier ein Übel, aber er ist bei weitem nicht das größte Übel.
Die Zeichnungen von Thierry Demarez sind um Realismus bemüht, doch auch immer etwas reduziert. Der Eindruck, den die Grafiken hinterlassen, auch durch die Farbgebung von Stephane Paitreau, ist nachhaltig, nicht zuletzt durch die ungeschminkte Darstellung der Gewalt, von der nicht ersichtlich ist, ob sie ein Ausdruck des Übels ist oder ein verzweifelter Aufstand gegen das Schicksal (höchstwahrscheinlich ist es letzteres). Und tatsächlich sind es nicht die Sklaven, gegen die gekämpft werden muss. In einem Akt, der an eine Szene aus Van Helsing erinnert, stellen sich die Drachenritter zwangsläufig gegen die herrschende Klasse der Stadt. Hier ist der optische Horror viel größer als jener des eher abstrakten Grauens eines Kampfes gegen einen Drachen.
Eine Folge wie ein Inferno: Der Kampf gegen den Drachen ist ein Thema, aber zweifellos eher Symptom als Kern des Ganzen. AnGe beweist wieder, auf welch elegante Weise sie ihre Welt bereichern können und wie leicht sie ernste Themen einbringen, ohne aufdringlich zu sein. 🙂
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Donnerstag, 03. September 2009
Der Akt des Tätowierens wirkt wie ein Vorwand, um hinter dem Rücken des Herrschers über die Ereignisse zu diskutieren, die das Leben der Drekkars aus dem Ruder laufen lassen. Das Gespräch währt nicht lange. Die beiden Anwesenden hören Schritte auf dem Holzdach. Jemand kommt und macht sich nicht die Mühe, sich zu verbergen. Zum Glück für die beiden Menschen ist der Attentäter schnell. Der Mann stirbt zuerst. Ehe er zu Boden gefallen ist, stirbt bereits die Frau. Dabei geht es nur um ein kleines Fläschchen mit einem merkwürdigen Inhalt.
Der zweite Band der fünfteiligen Saga beleuchtet die andere Seite der kriegerischen Parteien. Waren es in der ersten Ausgabe die Menschen und ihre Kultur, die im Mittelpunkt stand, sind es nun die Drekkars, die sich vom Rest der Welt vollkommen abgeschirmt haben.
Es ist eine merkwürdige Zivilisation, die Fabrice David hier schildert. Nur auf den ersten Blick hat sie japanische Aspekte, was an den Rüstungen liegen, der Kleidung allgemein, vielleicht auch am Gebaren untereinander. Alles beginnt mit der Geburt eines Drachenweibs, einem Rückblick auf längst vergangene Ereignisse, die allerdings bis in die Gegenwart nachwirken. Die Geburt dieses Drachenweibs ist verhaltene Fantasy, wenn man es so nennen kann. Diese Art Fantasy kommt nicht opulent oder besonders drastisch daher. Sie wird vielmehr mit einer großen Selbstverständlichkeit erzählt. Als Leser mag man das Gefühl gewinnen, in eine Dokumentation einer fremden (und vergangenen) Zivilisation zu schauen. Es entsteht der Eindruck einer eher ägyptischen oder auch südamerikanischen Zivilisation (obwohl es keinerlei Pyramiden zu bestaunen gibt).
Aber David lässt für den Leser binnen kurzem auch keinen Zweifel daran, dass dieses altehrwürdige System nicht nur von Intrigen zerfressen ist, sondern auch in hohem Maße korrupt und fremdgesteuert. Das Reich der Drekkars, aufgebaut auf der fremdarbeit von Sklaven, balanciert im Laufe der Handlung zunehmend auf dem Rand eines Pulverfasses. Die höhlenähnliche Welt ist karg. Die Krieger sind von ihrer Lebensart überzeugt, der Herrscher jedoch ist längst nur noch eine Farce. Weder sein Gebaren noch seine äußere Erscheinung sind dazu angetan den Schein von Göttlichkeit zu vermitteln, den sie eigentlich zeigen sollten. Es herrscht eine postapokalyptische Stimmung, die umso deutlicher wird, liest man sich die Hintergrundinformationen im Anhang durch (was aber zum Verständnis der Geschichte nicht erforderlich ist).
Die intensive Studie eines Zivilisationsniedergangs, die David hier entwirft, ist in dieser Form sehr außergewöhnlich für ein Fantasy-Epos. Allerdings passen die zwischen kalten und warmen Brauntönen pendelnden Bilder von Eric Bourgier sehr gut zur Geschichte. Die Menschen, die hier gezeigt werden, sind optisch schwer einzuordnen. Obwohl es kulturelle Anleihen gibt, lässt sich vom Erscheinungsbild schwer auf einen bestimmten Menschenschlag schließen, der hier Pate gestanden haben könnte. Dass es sich bei den Sklaven um Afrikaner handelt, ist unschwer zu erkennen, doch bei den Drekkars selbst schwingen von asiatischen bis hin zu indianischen Zügen viele Merkmale mit. So entsteht etwas sehr eigenes, fast schon etwas neues.
Es ist keine überschwängliche Fantasy-Umgebung. Die Kargheit bildet einen vollkommenen Gegensatz zu sonstigen Szenarien. Dennoch sollte man nicht voreingenommen sein. Bourgier orientiert sich ein wenig an alten architektonischen Leistungen von Völkern, denen es gelungen ist, ihre Tempel direkt in die Felsen zu schlagen. Bedingt durch den feinen Farbauftrag wie auch die sehr gelungene Anwendung von Licht und Schatten entstehen nicht nur sehr authentisch anmutende Bilder, sondern auch Grafiken, die durch ihre wunderbar leichte Plastizität bestechen.
Sehr dunkel, sehr mysteriös: Fabrice David beschreitet seinen eigenen phantastischen Wege. Hier ist er stärker an realistischen Vorlagen der irdischen Vergangenheit (was im ersten Teil noch durchaus phantastischer war), doch die Handlung kündigt einen Umschwung an. Grafisch ist der Band toll von Eric Bourgier umgesetzt. Er spielt mit dem Realismus und reizt ihn aus. Betrachtet man den kurzen Epilog, wartet in den drei Fortsetzungen bestimmt noch großartiges auf den Leser. 🙂
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