Von den Frauen hätte Scrubby eigentlich keine Gefahr erwartet. Und prinzipiell wollen sie ihm auch nichts Schlimmes. Er soll nur eingefettet werden. Wer zum ersten Mal in einen Schacht einfährt, erfhält gleichzeitig eine gewisse Taufe, nur hat Scrubby keinerlei Lust darauf eingedreckt zu werden. Er versucht zu entkommen. Vergeblich. Der Tumult jedoch weckt die Aufmerksamkeit des Besitzers. Dieser beendet den Aufruhr auf seine herrische Art und befiehlt, dass Scrubby unter der Erde eingesetzt werden soll.
Ich sehe die Dinge so, wie sie wirklich sind.
Es beginnt mit einer Tragödie. Der kleine Peter, von allen nur Scrubby gerufen, muss erleben, wie seine Familie an der Stadt, die ihnen doch eine neue Lebensgrundlage bieten sollte, zerbricht. Zurück bleiben er und seine ältere Schwester Sheila, die versucht, Mutter, Schwester und Familie zugleich zu sein. Scrubby, der ein besonderes Kind ist, weil er Dinge sieht, die ansonsten niemand bemerkt, bemerkt den Zauber, der auch in der Stadt vorhanden ist.
Um diesen Zauber dem Leser auch begreiflich zu machen, spielt Pierre Dubois mit einer Art Zitat: Scrubby wird Zeuge einer Aufführung von Peter Pan. Was für ihn zuerst unglaublich ist (ebenso wie für die Darsteller des Stücks), bewahrheitet sich. Die Erwachsenen im Publikum, die Städter nehmen den Zauber an, sie lassen sich von der Märchenhaftigkeit des Stücks anstecken und mitreißen. Hier findet sich eine der schönsten Szenen des vorliegenden Bandes. Gleichzeitig entwickelt sich auch ein Vergleich zu Peter Pan. Geschichte und Grundgedanken mögen verschieden sein, doch das Gefühl, das sich beim Lesen der Geschichten einstellt, ist ähnlich.
Die Legende vom Changeling verzaubert dort, wo sie es soll, aber sie schafft es auch gleichermaßen durch den echten Schrecken der soldatischen Maßen zu erschüttern. Doch dieser Schrecken ist nicht mehr als eine Einleitung auf das, was noch kommt.
Der schwarze Mann: Immer eine gerne verwendete Gruselfigur, immer mit unterschiedlichen Kräften ausgestattet, aber stets schon durch die Namensgebung besonders düster vorverurteilt. Hier ist der schwarze Mann mehr als eine bloße Gruselmähr oder Horrorgestalt. Bei Pierre Dubois wird er zum Sinnbild einer menschenverachtenden Industrialisierung. Profit steht über allem, der Mensch ist nur besseres Arbeitsgerät. Natürlich ist die Figur auch teuflisch und stellt eine reale Gefahr für Leib und Leben dar. Ihre Kräfte überraschen selbst jene, die es wissen müssten, jene heimlichen Wesen,
Pierre Dubois will nicht nur bezaubern. Der Wechsel aus der heiteren Welt des grünen Landes in die graue Stadt ist vollzogen. Vollkommen ungeschminkt wird die gefährliche und menschenunwürdige Arbeit unter Tage gezeigt. Demgegenüber stehen die Planungen der Unternehmer künftige Streiks und Aufstände nicht wieder aufkommen zu lassen. Kühles Kalkül trifft auf die pure Notwendigkeit in dieser Welt zu überleben und dafür gegebenenfalls das eigene Leben zu riskieren, weil es keinerlei Alternativen zu geben scheint. In diesem von Menschenhand geschaffenen furchtbaren Konstrukt schimmert hier und dort das echte Leben durch, so, wie es sein sollte, so, wie sich die Menschen wirklich verstehen sollten, um sich gegenseitig Mühsal und Leid zu ersparen.
In feinen Bildern von Xavier Fourquemin erwacht diese Welt zum Leben. Seine Figuren sind märchenhaft karikiert. Der Leser kann ihren Charakter an ihrem Äußeren erkennen, eine Eigenschaft, die den Figuren selbst nicht gegeben ist. Augen, Wangen, Nasen und Kinnpartien sind bei Fourquemin besondere Merkmale. Wie gut damit zu gestalten und auch zu spielen ist, zeigt sich am schwarzen Mann. Hier ist alles schmal, klapprig dürr, aber keineswegs skelettartig. Fast ist dieser Unheimliche mit der schwarzen Kleidung, dem Zylinder und dem Gehstock mit seinem nicht minder gruseligen Griff (in Form eines knöchernen Tierkopfes) ein Abbild eines Ebenezer Scrooge, nur schlimmer. Der Gesamteindruck der Figuren ist ein wenig knotig, organisch, nur nicht realistisch. Fourquemin modelliert seine Figuren. Dank der Koloristin Scarlett Smulkowski werden die daraus entstehenden Szenen nicht nur ins rechte Licht gesetzt, sondern auch sehr plastisch.
Eine tolle Fortsetzung, inhaltsreicher und aufregender noch als der erste Teil. Alles steuert mit Macht auf ein Drama zu. Die unmenschlichen Bedingungen, der Bloody Sunday sind nur Wegpunkte zur großen Katastrophe, die so nicht zu erwarten war. Top. 🙂
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