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Comic Blog


Freitag, 04. September 2009

Reisende im Wind 1 – Blinde Passagiere

Filed under: Abenteuer — Michael um 19:27

Reisende im Wind 1 - Blinde PassagiereEin Blick nur war es, den der Matrose Hoel sich erlaubt hat. Doch es war ein Blick zuviel. Matrosen, die einen Blick in Offizierskajüten werfen wollen und ein Übermaß an Neugier an den Tag legen, sind nicht gut angesehen auf einem Schiff mit 800 Mann Besatzung. Nun harrt er seiner Strafe. Auspeitschen. Das Fahren von der Rah, von hoch oben ins Wasser. Nur das berüchtigte Kielholen wird es nicht sein, denn das ist verboten worden. Aber werden sich die Schiffsoffiziere auch an dieses Verbot halten?

Mit zwei Serien hat Francois Bourgeon hierzulande besonders auf sich aufmerksam gemacht. Dazu gehören Die Gefährten der Dämmerung und Reisende im Wind. Während ersterer Mehrteiler im finsteren Mittelalter angesiedelt ist und nicht wenige phantastische Elemente aufzuweisen hat, findet sich der Leser in Bourgeons anderem Klassiker gegen Ende des 18. Jahrhunderts wieder, einer Hochzeit der Sklaverei.

Viele werden von der Geschichte des Prinzen und des Bettelknaben (Mark Twain) gehört oder gelesen haben. Die Ausgangssituation hier ist ähnlich. Zwei Mädchen von unterschiedlichem sozialen Stand, aber ähnlich in ihrem Äußeren tauschen die Rollen. Doch nach dem Tausch legt das nun höher gestellte Mädchen keinen Wert mehr darauf, den Schwindel zu beenden und lebt das Leben der einstigen Freundin weiter. Zwar kommt es später wieder zu einer Annäherung und das verratene Mädchen gewinnt mittels sexueller Fertigkeiten sogar die Kontrolle über ihre Freundin, doch ein Rücktausch der Identitäten ist durch die physische Veränderung infolge vieler Jahre nicht mehr rückgängig zu machen.

Anziehung und Hass machen das Zusammenleben von Agnes de Roselande und Isabeau de Marnaye aus. Isabeau ist die unzweifelhaft stärkere der beiden, jene, die zu jedem Trick und jeder Maßnahme greifen würde, um einen Vorteil zu erlangen oder wenigstens mit dem Leben davon zu kommen. Nach langen Jahren, in denen Isabeau unter der Verwechslung gelitten hat, will sie nun ein neues Leben fern der Heimat beginnen. Die Reise wird zu einer Tortur. Auf einem Schiff mit 800 Männern Besatzung können zwei junge Frauen nur zu Unruhestiftern werden, weshalb Isabeau und Agnes ihren Aufenthalt unter Deck verbringen. Beinahe jedenfalls, denn mit Isabeau hat Bourgeon eine faszinierende Frauenfigur entworfen, der ihre Überlebensfähigkeit und Zähigkeit nicht anzusehen ist, die aber berechnender, klüger und geduldiger ist, als so manches Mannsbild, das sich gemäß der Epoche als die Krone der Schöpfung wähnt.

– Man sollte diese dreckigen Biester verjagen, bevor sie die Fantasie unserer Matrosen erregen. – Ich verstehe Ihre Befürchtungen, Herr Kaplan! Immerhin sind Sie hier der einzige, der ein Kleid trägt.

Es sind solche kleine Auseinandersetzungen zwischen dem Schiffskaplan und dem Schiffsarzt, die für eine große Dichte der Geschichte sorgen. Abgesehen von den Rückblicken auf die Vergangenheit der beiden jungen Frauen ist die Handlung an Bord des Schiffes mit einer Prise Liebe, sogar ein wenig Erotik versehen, bevor Bourgeon die Wirklichkeit zuschlagen lässt und der zu dieser Zeit ewige Kampf zwischen Frankreich und England um die Vorherrschaft auf See in ein dramatisches Finale mündet.

Als zeichnender Künstler verfügt Bougeon über ein paar charakteristische Merkmale, die er auch in seiner neuesten Produktion, der Fortsetzung zu Reisende im Wind nicht verloren hat. Die Gesichter sind allesamt Charakterköpfe, stets erkennbar, aber sie besitzen auch einen Anklang von Konstruiertheit. Auf den ersten Blick wirkt das störend, doch da sich Bourgeon auf jeder Seite an seine sorgfältig entworfenen Figuren hält, lernt man diesen Aspekt sehr zu schätzen. Seine Art einen Faltenwurf zu zeichnen, Kleidung beinahe wie ein Gelände wirken zu lassen, findet man als Leser nicht häufig im Comic-Genre. Wie sehr Bourgeon ein Konstrukteur unter den Zeichnern ist, zeigt sich an Schiffen und Uniformen, an Einzelheiten von Takelage und Kajüten, wo er nicht das Geringste dem Zufall überlasst.

Bei Bourgeon stehen Tod und Sexualität dicht beieinander. Der Künstler und Autor beschönigt nichts, bildet drastisch ab, zeigt das nackte Leben jener Zeit so wahrheitsgetreu wie möglich und so notwendig es die Geschichte verlangt.

Eine extrem spannende und durchdachte Geschichte in einer außergewöhnlichen Zeit des Umbruchs. Intrigen, Hass und Liebe, Seeschlachten inklusive: Francois Bourgeon hat hier den ersten Teil eines Klassikers der Comic-Unterhaltung vorgelegt, die perfekt zeigt, wie sehr das Genre auch der Literatur zuzuordnen ist. 🙂

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