Von Schnee bedeckte Gipfel und vereiste Flussufer säumen den Flug der kleinen Passagiermaschine. Langsam gleitet das Flugzeug immer tiefer, an einem Weißkopfadlerpärchen vorüber, an Baumwipfeln vorbei. Auf einer Ebene legt die Maschine eine Bruchlandung hin. Die Propeller verbiegen sich durch den Aufprall, bleiben stehen. Ruhe kehrt ein, dann fällt ein Schuss.
Die Suche geht weiter. Die Rätsel werden verzwickter, die drohende Gefahr wird immer größer. Autor und Zeichner Marc Bourgne macht es seinem Helden Frank Lincoln nicht leicht. Nachdem der Leser in den ersten beiden Geschichten erfahren hat, warum Lincoln ein derartiger Eigenbrötler wurde, der sich nur mühsam anderen Menschen öffnet (auch seiner Tochter), ist eine forschere Erzählrichtung Programm, denn Frank Lincoln will nicht mehr Spielball sein. Seine Frau war für das FBI tätig und arbeitete Unvercover in der engsten Umgebung eines Mafia-Bosses. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Bourgne zieht das Netz um Frank Lincoln herum immer weiter, versieht es mit neuen Details, die den Leser überraschen müssen.
Frank Lincoln ist nicht nur ein Privatdetektiv mit gewöhnlichen Fällen, nicht nur ein Mann, der dem Geheimnis seiner verschwundenen Frau auf die Spur kommen will, er ist auch ein alleinerziehender Vater einer heranwachsenden Tochter mit allen Problemen, die dabei entstehen können. Marc Bourgne verkompliziert die Situation im engeren Umfeld von Lincoln, indem er dem Detektiv einen jugendlichen Mitarbeiter zur Seite stellt, dem es nicht nur gelingt das Herz von Lincolns Sekretärin zu entflammen, sondern auch noch jenes von Jeannie, Franks Tochter.
Der Leser entdeckt in Frank den ganz normalen Menschen, der mit einem normalen Leben überfordert scheint, hat ihm doch die Normalität so viel Schmerz eingebracht. Im jeweiligen Fall bewahrt Frank die Ruhe, er weiß, wo es lang geht, wie er sich zu verhalten hat. Frank ist hier der abgebrühte Kerl, den nur noch selten etwas überraschen kann. Sehr zur Freude des Lesers serviert Marc Bourgne genau das: Überraschungen.
Wenn Alaska eines hat, dann ist das Natur (noch). Städte und Ansiedlungen gibt es auch, aber die Natur nimmt noch den größten Raum ein und macht diesen amerikanischen Bundesstaat abseits des restlichen Staatenbundes so charakteristisch. Im der ersten Episode des vorliegenden Bandes, Break-Up, (wie im Vorgänger sind zwei Geschichten in diesem Sammelband abgedruckt) stürzt ein kleines Sportflugzeug in der Wildnis ab. Frank und sein Mitarbeiter Billy machen sich mit einem Hubschrauber auf den Weg, um das Flugzeug zu finden. Ähnlich wie in einem der Kriminalthriller schlechthin, Mörderischer Vorsprung, ist die Natur neben den Bösewichtern der zweite Gegenspieler der Helden. Die Natur sorgt nicht für die Bequemlichkeit des Wanderers.
Es regnet, gewittert, es ist matschig, Rinnsale verwandeln sich in reißende Bäche, Abhänge in Rutschbahnen. Tiere sind nicht domestiziert und können dem Menschen richtig gefährlich werden. (Frank verhält sich hier im Gegensatz zu Sidney Poitier vollkommen richtig.) Hier stimmt die Bilderfolge, es wechseln sich Ruhephasen mit Action-Sequenzen ab. Marc Bourgne zeichnet in einem exakten, analytischen Stil, fast wie eine sehr ausgefeilte Storyboard-Vorgabe. Im Kino würde die Handlung, so wie sie ist nicht funktionieren, dafür ist der rote Faden hinter der jeweiligen Handlung zu langfristig angelegt, doch eine sofortige Umsetzung für eine Fernsehserie wäre ohne Wenn und Aber möglich.
Daran zeigt sich auch, dass Bourgne sein erzählerisches Handwerk beherrscht. Erst kommt die Pflicht, dann die Kür. Bourgne beherrscht beides. Er erzählt erfrischend geradlinig, er experimentiert nicht, fast könnte man sagen, er arbeitet wie ein Koch, der seine Zutaten genau im richtigen Moment, an der richtigen Stelle ins Spiel bringt. In der zweiten Episode Kodiak erhält der rote Faden einen Hakenschlag, wie er so nicht vorherzusehen war. Nachdem die Handlungsorte sehr unterschiedlich gewählt waren, Franks Gegenspieler vom Mafioso bis zum eifersüchtigen Rachemacho diverse Varianten bereit hielten und die Spielorte abwechslungsreich waren, skizziert Bourgne in einer Nebenhandlung eine Sekte, die wie eine Mixtur aus verschiedenen berüchtigten Sekten der Vergangenheit wirkt und auch eine leichte Verwandtschaft zu Der dritte Zwilling aufweist. Das Schöne ist, dass Bourgne einen Umstand, den andere Autoren zu einem Knalleffekt aufbauschen würden, zu einer Nebensache macht. So fällt der Aha-Effekt für den Leser noch größer aus, denn er wird nicht mit der Nase darauf gestoßen, sondern soll aufpassen, mitdenken.
Eine gelungene Fortsetzung, geradlinig spannend erzählt in der ersten Episode, weitaus mysteriöser in der zweiten Episode. So gut können Comic-Thriller sein und so gut sollten sie immer sein. Klasse. 🙂
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