Schon mal ein Monster fertig gemacht? Melanie Moore ist eines dieser ganz normalen Girlies … Gut, eigentlich führt sie eher ein unbeachtetes Randdasein in der Highschool. Sie ist Luft für die anderen und nichts an ihrem Verhalten wird daran etwas ändern. Melanie geht Ärger aus dem Weg. Sie setzt sich nicht für andere ein. Sie hält sich raus. Ein abendlicher Besuch auf dem Marinette Cemetery ändert das schlagartig. Ein Mann, dessen Kopf blutüberströmt ist, wirft sie zu Boden und hält ihr einen leuchtende Klinge vor das Gesicht. Melanie hält ihn für einen Mörder, einen Triebtäter oder schlimmeres. Sie verliert das Bewusstsein.
Als sie erwacht, erscheint alles wie ein böser Traum. Aber das ist es natürlich nicht. Wenig später materialisiert sich ein ätherisch ausschauenden Frauengestalt auf dem Friedhof: Brigit. Sie ist auf der Suche nach der Wraithborn. Zu ihrem Pech hat diese Waffen bereits den Besitzer gewechselt und ist in Händen gelandet, die weder ausgebildet sind, sie zu führen, noch weiß dieser Besitzer, dass er eine Waffe hat: Melanie. Alles, was Melanie sehr schnell herausfindet, ist, dass sie gejagt wird. Monströsitäten, dämonisch, hündisch verfolgen sie durch die Stadt, bis sich plötzlich und unerwartet eine dritte Partei einmischt und ihr Interesse an der Waffe bekundet.
Wraithborn, eine magische Waffe. Eine Auserwählte wider Willen. Dämonen, Konkurrenten um ein Erbe. Joe Benitez und Marcia Chen haben sich einer ganzen Reihe von bekannten Elementen angenommen und diese rigoros zu ihren Bedingungen neu gemischt. Der Fan wird dies oder jenes wiedererkennen. Voodoo Child, Buffy, Witchblade, Magdalena, als Gegenspieler lässt etwas wie die Darkness finden. Manche Monster erinnern an Mutanten aus Warhammer, Ekelpakete aus The Tenth oder Zenobiten aus Hellraiser. Benitez und Chen kennen ihr Genre, kein Wunder, haben sie doch schon ausreichend daran mitgefeilt und gearbeitet.
Benitez ist für seine grazilen Figuren einerseits bekannt, aber auch für seine bombastischen Figuren, die vor Muskeln nur so platzen. Im direkten Vergleich könnte er mit Tony Daniel verwandt sein, jenem Zeichner, der einmal mit The Tenth auf sich aufmerksam machte. Wie Daniel verleiht auch Benitez seinen Frauengestalten kilometerlange Beine, übertrieben gesprochen, macht aus ihnen elfengleiche Sexbomben mit großen Augen und anderen übergroßen weiblichen Attributen. Als Leser verzeiht man ihm, nicht nur, weil es gut ausschaut, sondern weil es sehr gut ausschaut. Benitez zeichnet seine Zoe, seine Kiara, später auch seine Melanie in Posen und Szenen, die geradewegs aus einem Storyboard entsprungen sein können und die höchstmögliche Bewegungen vortäuschen müssen.
Denn Benitez geht mit größtmöglicher Präzision und einem Hang zum vorgetäuschten Realismus zu Werke. Zwar sind die kleinen und großen Monster, die sich in Wraithborn finden, nicht echt (das will ich jedenfalls hoffen), aber sie mit allerlei Hingabe zum hässlichen Objekt entworfen. Brigits Hunde, die Hauptübel, denen sich Melanie alias Wraithborn stellen muss, sind es denn auch, die an die Mutanten aus Warhammer erinnern. Andere gestalten könnten jederzeit auf Verwandtschaftsbesuch bei Resident Evil auftauchen. Benitez, man kann es nicht oft genug sagen, versteht sein Handwerk. Zwischen schönen Frauen und Monstern füllt er die gesamte Bandbreite eines modernen Zeichners aus, der sich die Zeit nehmen kann beste Arbeit abzuliefern und dazu noch auf der Welle der MTV-Generation zu schwimmen, obwohl er ihr eigentlich schon eine Generation voraus ist.
Wer sich auf allerfeinste Horror-Action einstellen mag, diverse Anleihen aus anderen Produktionen nicht als Makel empfindet, eine sehr gepflegte Zwischenmahlzeit auf diesem Gebiet braucht, sollte zugreifen. Wer Gewalt, auch blutiger Natur, in Comics nicht so gerne mag: Finger weg. 🙂
Links: www.wraithborn.com