Das kleine Neugeborene ist für das kinderlose Paar ein Geschenk des Himmels. Doch ein Mischling ist in Japan nicht gerne gesehen, obwohl es in japanischer Tradition aufwächst. Und es kommt der Tag, da die Wut sich nicht mehr unterdrücken lässt, da sich eine Macht ihren Weg bahnt, die das Kind nicht zu steuern vermag. An diesem Tag nimmt sich jemand anderes des Kindes an.
Zeitgleich zum Start des Wolverine-Kinofilms erwacht auch die Serie zu neuem Leben. Im Gegensatz zu mancher anderen Comic-Figur gehört Wolverine zu einer der langlebigsten auf dem deutschen Comic-Markt. Wolverine ist der Rächer, der bärbeißige Mutant, oft ein wenig im Schatten anderer Superhelden und doch hat er es geschafft, sich in die Herzen der Fans zu agieren.
Seine Langlebigkeit, infolge seiner Selbstheilungskräfte, bietet genügend Möglichkeiten immer neue Geschichten aus der Vergangenheit einzuflechten. Dabei enstehen und entstanden nicht unbedingt Geschichten, die Wolverine sympathischer machen, im Gegenteil. So ist auch dieser Blick in die Vergangenheit Wolverines nicht von Mitgefühl geprägt. 1943 sind mehrere japanische Familien in Kalifornien interniert worden. Wolverine ist hier nicht der große Befreier, er ist ein Peiniger, der über die Leichen von Frauen und Kindern geht.
Also sollte der Fan tunlichst den smarten Hugh Jackman vergessen und sich wieder zurückbesinnen auf die kleine, haarige, muskelbepackte und wölfische Figur, die Wolverine einmal war und von der Autor Daniel Way hier einiges zurückgebracht hat. In der Gegenwart weiß Wolverine um seine Fehler aus der Vergangenheit, aber er kann sie nicht wieder gut machen. Einzig kann er versuchen aufzuräumen. Sofern es ihn nicht vorher aufräumt. Wolverine wird hier von den Geistern der Vergangenheit einmal mehr eingeholt, ein beliebtes Thema bei Wolverine (erst jüngst geschehen mit Wolverine: Logan).
Aber es sind nicht nur die Opfer unmenschlicher Experimente, die Daniel Way hier beschwört, es ist auch ein Sohn, der Wolverine hier Schwierigkeiten macht. Nach X 23 gibt sich nun eine weitere wölfische Kreatur mit Klingen die Ehre. Daniel Way lässt den ebenfalls wölfischen und sehr geheimnisvollen Romulus im Hintergrund agieren. Wie ein Dr. Mabuse< zieht ein scheinbar Unsterblicher im Hintergrund die Fäden. Auch Parallelen zur Highlander-Serie sind spürbar. Way geht nicht den geraden Weg, er lässt Wolverine Hürden überwinden, bevor der Leser endlich die Zusammenkunft von Vater und Sohn bewundern darf. Cut! Fortsetzung folgt.
Bis zu diesem Punkt war es allerdings sehr spannend. Es wird gekämpft, doch in den meisten Fällen bleiben die Ergebnisse von Gewalt diffus. Da ist es erstaunlich, wenn Zeichner Stephen Segovia plötzlich die Zügel fahren lässt und zeigt, wie jemandem der Kopf zertrümmert wird, weil er seinen sadistischen Ausbilder böse angeschaut hat. (Natürlich muss er die textliche Vorlage Ways befolgen, doch diese Darstellung wirkt irritierend.) Segovia arbeitet ähnlich wie ein Leinil Francis Yu, etwas weniger zerbrechlich, aber seine Figuren sind ähnlich gestreckt und sehr statuenhaft. Die metallisch ausschauende Kolorierung von Matt Milla verstärkt diesen Eindruck noch. Interessant ist Segovias Nasentick, wenn man es so nennen möchte. Gerne schraffiert er den Nasenbereich, obwohl es von den Schattenrichtungen her unnötig erscheint.
Ein anderes zeichnerisches Kaliber ist Marcelo Frusin. Sehr viel reduzierter, mehr ein Pat Lee (Wolverine/Punisher) oder ein Sean Phillips. Betrachtet man die Zeichnungen wird auch sehr schnell deutlich, wie Frusin einen Wolverine im Film besetzt hätte: mit einem jungen Clint Eastwood. Unter der Maske fällt es freilich nicht mehr so auf. Autor Gregg Hurwitz, der hier eine abgeschlossene Geschichte abliefert, schreibt über einen Rachefeldzug Wolverines. Auch schon Thor empörte sich auf seine Art über den Tod einer alten Frau, die von Verbrechern eher zufällig getötet wurde. Aber Thor gab seiner Wut nicht dadurch Ausdruck, indem er die Gangster massakrierte. Wolverine kennt keine Grenzen. Ein Auge für ein Auge nimmt er wörtlich.
Wolverine trägt zwar immer noch eine Variante des klassischen X-Men-Kostüms, doch die klassischen Zeiten sind lange vorbei. Längst ist er Richter und Henker in einer Person geworden. Es mag seine Fans haben, es nimmt der Figur aber auch die Tiefe, wenn sie auf Dauer auf diese Eigenschaften reduziert wird. Spannend bleibt es dank guter Autoren und ebensolcher Zeichner. 🙂