Ein ganz normaler Tag für einen Mann, der nur seinen Job macht. Die Straßen sind voller Autos, die Bürgersteige voller Menschen und so mancher Mensch ist auch schon voll. Oder voll zu Gange. In dieser Stadt ist alles möglich. Nixon, ein Steuereintreiber, weiß das. Er macht seinen Job, nötigenfalls mit Waffengewalt – eigentlich immer mit Waffengewalt. Aber Nixon hat ein Geheimnis, eines, das selbst er nicht kennt. Und für kurze Zeit gerät eine Lawine ins Rollen, die selbst die Verantwortlichen im Hintergrund zu Überrollen droht.
Gewalt. Gewaltsamer. Am gewaltsamsten. So ungefähr könnte es sich Frank Miller gedacht haben, als er die Geschichte um Mr. Nixon in Angriff nahm. Obwohl das nicht so ganz stimmen kann. Wer sich andere Werke von Miller betrachtet, findet bei ihm immer Gewalt als Stilmittel, meist völlig überzogen, aber nicht gleichzusetzen mit ästhetisch. Miller-Fans werden den Dark Knight kennen, 300 oder auch Sin City. Die eheste Verwandtschaft zum vorliegenden Hard Boiled findet sich wohl in der Comic-Umsetzung von Robocop – Dark Side, der sich Steven Grant annahm und so aus der Geschichte von Frank Miller (Co-Autor des Drehbuchs von Robocop 2) etwas sehr eigenständiges schuf.
Interessanter ist die grafische Verwandtschaft der beiden Geschichten. Geof Darrow hat in dem 1990 geschaffenen Comic eine über die Maßen hohe Detailverliebtheit, wie sie der Leser sicherlich nur selten findet – oder eben in der erwähnten Robocop-Geschichte, gezeichnet von Juan José Ryp. Wenn in beiden Szenarien die Autos aufeinanderkrachen, Kugeln zerfetzen und zersplittern, was so alles zu zerfetzen und zersplittern ist, könnten die beiden Zeichner Brüder im Geiste sein.
Darrow geht allerdings noch einen Schritt weiter. In Szenen, in denen sich Sex und Gewalt Hand in Hand mitunter zeigen, kreiert er regelrechte Suchbilder auf Doppelseiten. Innerhalb der eigentlichen Geschichten kann der Leser nun Mini-Szenarien entdecken, einen tiefschwarzen Humor oder auch eine überspitzte, satirische Voraussicht. Der Welt, wie sie Darrow und Miller zeigen ist nichts heilig. Zurückhaltung ist out, Privatsphäre ist ein Fremdwort. Jeder macht alles, wo er will. Nebenbei ist alles größer, schneller sowieso, bulliger, gewaltiger, voller, nur nicht unbedingt schöner.
Geof Darrow erweckt einen Steuerfahnder zum Leben, der eigentlich ein Roboter mit einer fleischlichen Hülle ist. Die zeitliche Entstehung der Geschichte passt in jene Zeit, als der Terminator durch die Verfilmungen von 1984 und 1991 in aller Munde war. So passt es auch jetzt wieder thematisch, parallel zu einer erfolgreichen Fernsehserie und einer neuen Kinoverfilmung des Terminators. Vieles fließt in diese Geschichte Nixons ein, der Figur, die sich weigert, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Nach einem furchtbaren Kampf der Hülle beraubt, auf das Metallskelett hin entblößt, will er die Tatsache seines Daseins immer noch nicht wahrhaben. Sein Unglauben gipfelt in einer drastischen Verweigerung eines metallenen Stelldicheins unter Robotern auf einem Schrottplatz.
So beharrt Nixon auf seine Menschlichkeit, ist jedoch meilenweit davon entfernt, sich auch so zu verhalten. Wie sehr er auch die Körperteile anderer während seines Arbeitstages verteilt, so kommt ihm zu keinem Zeitpunkt in den Sinn, dass daran irgendetwas falsch sein könnte. Was Darrow alles zu zeichnen hat, um Nixon vom Gegenteil zu überzeugen, ist Wahnsinn mit Methode und optisch nichts für zartbesaitete Gemüter. Wer sich allerdings in Themen wie Blade Runner, Cyber Punk, dem erwähnten Terminator oder anderen futuristischen Action-Krachern zuhause fühlt, den kann auch hier nichts aus der Ruhe bringen – allenfalls zum Lachen.
Die Bilder mögen auf eine sehr einfache Weise von Claude legirs koloriert sein, aber das genügt auch angesichts der übrigen Bildgewalt und des beständig durchblitzenden schwarzen Humors. Die Abarten und Spielformen menschlicher Verhaltensweisen, die Darrow ganz genüsslich und in penibler Klein(st)arbeit zu Papier gebracht hat, ist mittlerweile nicht nur ein Angriff auf den American Way of Life. Beispielhaft ist die Gigantomanie, die in einem Supermarkt zu sehen ist. Wenn Bierdosen in Regentonnengröße oder Paprikaschoten in der Größe eines Outdoor-Rucksacks verkauft werden, dann ist das nur die Spitze des Eisbergs. Da nicht nur die Bilder für Überraschungen sorgen, sondern auch Millers Geschichte, ist es kein Wunder, dass in dieser Rebellion der Maschinen jene, die zu viel Fragen stellen, auch schon mal die Toilette heruntergespült werden – im wahrsten Sinne des Wortes.
Bitterböser Humor, Gewalt im Quadrat, ein SciFi-Totentanz, eine Abrechnung mit dem System – nicht jedem wird eine Gewaltorgie wie diese gefallen, nicht jeder wird sie so auffassen, wie sie (vermutlich) aufgefasst werden soll. Wer Miller noch nie mochte: Finger weg. Wer Miller nur mag: Vorsicht. Wer ihn verehrt: Zugreifen! – Und wer Gewalt in Comics verkraften kann und einmal grafische Kleinstarbeit in Perfektion sehen möchte: Unbedingt reinschauen. 🙂
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