Es gab eine bessere Zeit – jedenfalls in den kleinen Dingen. Sie war schön, als die kleinen künstlichen Wesen unter sich waren, an der Seite ihres Meisters, Mister Sir Crumpett’s. Sie waren gesellig und vorwitzig, ein wenig schlau, nicht immer komplett und in den seltensten Fällen neu. Sie wurden gewarnt vor der Welt da draußen, vor den Menschen. Wenn ihr einen Menschen seht, so hieß es, dann lauft weg! Mister Sir Crumpett’s meinte es ernst und er wusste, wovon er sprach. Inzwischen forschte er an einem ganz persönlichen Projekt, abgeschieden von allem, wünschte er auch nicht von seinen Geschöpfen gestört zu werden, denn er suchte die Feenaugen.
Dieser ganz besondere Glanz, dieses besondere Leben in einer Puppe, wie lange suchte er schon danach? Und plötzlich, eines Tages machte ihn ausgerechnet eine Puppe namens Jam auf das Feenauge aufmerksam. Er musste nichts anderes tun, als die Fee fertig zu stellen. – Leider tritt nun das ein, wovor er seine Figuren immer gewarnt hat. Die Menschen greifen an. Drinnen, in diesem gewaltigen Haus, herrschte bisher Frieden. Dieser wird nun durch das brutale Eindringen der Menschen gebrochen.
Fee ist ein Märchen. Es ist traurig. Es bezeugt den Niedergang der Menschen, seiner edelsten Eigenschaften, die schließlich nur noch bei Puppen zu finden sein sollen. Und so ist es Jam, die Hauptfigur, die die Zeiten überdauert, wartet und sucht. Téhy, bereits hierzulande bekannt durch Yiu und Der Engel und der Drache, erweitert mit dieser Geschichte die Palette der unterschiedlichen Genre-Pfade, die er beschreitet. Mit Fee erfindet er seine Erzählweise neu, kombiniert und experimentiert.
Es beginnt in der Gegenwart, einer Gegenwart, die wir so nicht kennen, aber deren Szenario eine gewisse Verwandtschaft zu mancher Einbrecherhandlung nicht verleugnen kann. Hier lernt der Leser Jam kennen und weiß sogleich: Dieser junge Mann riskiert alles für seine Liebe, mehr noch, der Leser bekommt sogar gleich den Beweis geliefert, denn Jam verliert einen Arm …
An dieser Stelle fängt es an kurios zu werden. Im bloß liegenden Armgelenk wird eine Apparatur sichtbar. Schmerzen kennt Jam offensichtlich nicht. Außerdem schlägt die Figur seines Verlangens die Augen auf, bewegt sich – dabei besitzt sie keinerlei Mund.
Téhy macht es dem Leser schwer. Die Hauptakteure sind Puppen, engelsgleich zu nennen, aber letztlich Puppen. Der Mensch ist das Monster, personifiziert durch eine regelrechte Ausgeburt des Schlechten, dem nichts mehr heilig ist und der seinen ureigenen Auftrag darin zu sehen scheint, alles Schöne zu zerstören oder wenigstens zu besudeln. Die Probleme dieser Helden der Geschichte sind ähnlich weit weg vom Leser, wie es jene aus Blade Runner sind. Wen kümmern die Schwierigkeiten von künstlichen Wesen?
Eigentlich niemanden, weshalb die Geschichte eher als ein Gleichnis aufzufassen ist und gleichzeitig zu jenen gehört, die häufiger gelesen werden können. Jedes neue Lesen dürfte – auch je nach Stimmungslage – weitere Interpretationen zutage fördern und neue Geheimnisse aufdecken. Die Geschichte romantisiert die Liebe und mag auch an Märchen wie Dornröschen erinnern. Jam ist auf der Suche nach der eingeschläferten Liebe, bricht diese eiskalte Barriere auf, kämpft gegen den Bösewicht und schließlich …
Würde ein Italiener ein romantischeres Ende gefunden haben? Schwer, diese Frage zu beantworten, eigentlich auch unnötig, bleibt zu sagen, dass es traurig ist und die Tatsache dieser Emotion ist am Ende ein gutes Ergebnis und eine gute Note für den Erzähler. Nur für den Erzähler? Nein, denn Béatrice Tillier hat mit ihren Vorgaben für die ersten beiden Teile dieser hier zusammengefassten Trilogie eine, man könnte sagen, hauchzarte Atmosphäre geschaffen. Hier atmet die Optik des Jugendstils durch, finden sich Anleihen eines Toulouse-Lautrec, leuchten die Farben eines Moulin Rouge, einfache, kräftige und doch auch verschnörkelte Formen einer Aubrey Beardsley ziehen sich meisterhaft durch die ersten beiden Bände und werden im dritten Band von Frank Leclercq aufgegriffen und fortgeführt. Schlägt man die Seiten auf, ist es ein wenig wie das Betreten eines Louvre, einer schönen musealen Umgebung, in der aber auch durch die Gestaltung ein venezianischer Hauch zu finden ist, figürlich ebenso wie farblich.
Erzähler wie Künstler eifern auf prächtige Weise alten Mythen nach, präsentieren sie anders, erkennbar, verfremdet und in manchen Aspekten neu. Der Leser muss sich auf die Geschichte richtig einlassen, ihre Romantik, Freundlichkeit, aber auch auf ihre Brutalität. Ein Ausnahmealbum im Genre Fantasy in jeder Hinsicht. 🙂
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